Hohe Abfindung auch nach kurzer Beschäftigung nach Kündigung

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Viele Arbeitnehmer orientieren sich an der häufig zitierten Faustregel „ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr“, wenn es um die Höhe ihrer Abfindung geht.

Diese Formel dient zwar oft als Richtwert bei Verhandlungen oder vor Gericht, doch aus wirtschaftlicher Sicht ist sie für Arbeitnehmer in vielen Fällen nachteilig.

Abfindungen bei kurzer Beschäftigungsdauer

Besonders deutlich wird das bei Beschäftigten, die nur relativ kurz – zum Beispiel sechs Monate bis zwei Jahre – bei einem Arbeitgeber gearbeitet haben.

In diesen Fällen würde die Berechnung nach der gängigen Faustformel zu einer vergleichsweise geringen Abfindung führen, die den eigentlichen Risiken und Kosten, die ein Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess tragen müsste, nicht annähernd gerecht wird, erklärt der Rechtsanwalt und Abfindungsexperte Christian Lange aus Hannover.

Abfindungshöhen im Branchenvergleich

In manchen Wirtschaftszweigen werden erfahrungsgemäß höhere Abfindungen gezahlt als in anderen. Klassische Beispiele für großzügige Abfindungen finden sich in der Automobilindustrie.

Arbeitgeber in bestimmten Dienstleistungssektoren oder der Pflege hingegen sind oft eher bereit, gekündigte Mitarbeitende wieder einzustellen, als ihnen eine hohe Abfindung zu zahlen.

“Aus branchenspezifischer Sicht kann es daher entscheidend sein, wie groß die Bereitschaft des Arbeitgebers ist, ein kostenintensives Risiko einzugehen, wenn es zu einem länger andauernden Rechtsstreit über die Kündigung kommt”, so Lange im Interview mit “Gegen-Hartz.de”.

Keine Angst vor Kündigungsschutzklagen

Abfindungen sind in der Regel Verhandlungssache. Arbeitgeber zahlen Abfindungen, um sich vom Risiko eines verlorenen Kündigungsschutzprozesses freizukaufen.

Im Falle einer Niederlage droht ihnen nicht nur die Verpflichtung, das entgangene Gehalt nachzuzahlen, sondern auch die Wiedereinstellung eines Mitarbeiters, den sie eigentlich nicht mehr beschäftigen möchten.

Wer diesen Prozessverlust unbedingt vermeiden will, ist bereit, deutlich höhere Summen anzubieten.

“Lässt sich das Unternehmen hingegen auf eine mögliche Wiedereinstellung ein oder sieht es darin kein wirtschaftliches Risiko, kann ein Arbeitnehmer nur schwer Druck aufbauen. Die Abfindung fällt in solchen Fällen entsprechend gering aus”, so Lange.

Warum können kurze Beschäftigungsverhältnisse besonders lukrativ sein?

Überraschenderweise sind Arbeitnehmer, die nur wenige Monate bis zwei Jahre bei einem Unternehmen beschäftigt waren, oft im Vorteil, wenn sie im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens mit Nachdruck auf eine höhere Abfindung drängen.

“Das liegt daran, dass ein Arbeitgeber bei Verlust des Prozesses nicht nur das Gehalt für die gesamte Prozessdauer, sondern womöglich bis zum endgültigen Abschluss des Verfahrens nachzahlen müsste”, sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Lange.

“Ein Kündigungsschutzverfahren kann sich leicht über Monate hinziehen, in manchen Fällen sogar über zwei Instanzen und damit über mehr als ein Jahr. Die Kosten für den Arbeitgeber summieren sich entsprechend. Wer ein Gehalt von beispielsweise 5000 Euro brutto bezieht, verursacht dem Arbeitgeber im Jahr, inklusive Sozialversicherungs- und Verwaltungskosten, nach Schätzungen rund 78.000 Euro. Ein längerer Rechtsstreit kann für den Arbeitgeber also teuer werden, was die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers stärkt.”

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Wie hoch kann eine Abfindung im Einzelfall sein?

In der Praxis zeigt sich, dass eine Abfindung von fünf bis sechs Bruttomonatsgehältern für Arbeitnehmer mit kurzer Betriebszugehörigkeit durchaus realistisch sein kann – deutlich mehr, als die bekannte Faustformel hergibt. In Einzelfällen ist sogar ein ganzes Jahresgehalt als Abfindung möglich.

Eine solche Höhe kommt erfahrungsgemäß eher dann in Betracht, wenn die betroffene Person ein höheres Bruttogehalt bezieht, beispielsweise ab 5000 Euro brutto. Arbeitgeber sind in diesen Fällen weniger geneigt, den Arbeitnehmer erneut einzustellen, und haben ein starkes Interesse daran, ein langwieriges und kostspieliges Gerichtsverfahren zu vermeiden.

Was sollten gekündigte Arbeitnehmer im Kündigungsfall beachten?

Wer eine Kündigung erhält, sollte sich frühzeitig fachkundigen Rat suchen und mögliche Ansprüche überprüfen lassen. “Gerade in Branchen, in denen überdurchschnittlich hohe Abfindungen vorkommen, kann eine professionelle Verhandlungsführung entscheidend sein”, bestätigt der Anwalt.

Arbeitnehmer, die ihre Chancen realistisch einschätzen und den möglichen Prozesskostenaufwand des Arbeitgebers in den Vordergrund stellen, können oftmals ein deutlich besseres Ergebnis herausholen als jene, die sich mit der halben Monatsgehalts-Formel zufriedengeben.

Wer sich frühzeitig über seine Rechte informiert und eine qualifizierte anwaltliche Vertretung in Anspruch nimmt, erhöht die Chancen erheblich, am Ende eine deutlich höhere Abfindung zu erzielen, als es die gängige Faustformel vermuten lässt.