Hartz IV Sanktions-Modell auch in Österreich

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Auch in Österreich wird das Sozialsicherungssystem nach dem deutschen Vorbild Hartz IV umgestaltet. Erwerbslose wehren sich gegen die willkürliche Kürzungen und Sanktionen.

01.09.2011

Als „einen entscheidenden Schritt weiter“ in der österreichischen Sozialpolitik, ja sogar als „sozialpolitischer Meilenstein“ und als „Trampolin in ein eigenständiges Leben" wurde die Wiener Mindestsicherung von Sozialstadträtin Sonja Wehsely angepriesen. Erste Erfahrungen zeigen deutlich die repressiven Züge der Mogelpackung Mindestsicherung die neben geheimen Regeln vor allem auf die willkürliche Androhung von Existenzvernichtung baut.

Böse Überraschung: Automatische Bezugskürzungen bis zur Existenzvernichtung
Ein Jahr nach der vollmundigen Ankündigung erlebt so mancher seine Überraschung, wenn wegen mitunter völlig absurder Vorwürfe eine tödliche Maschinerie anläuft: Zuerst wird um 25% gekürzt, im zweiten Monat um 50% und dann bleibt nichts mehr übrig für die „Deckung des Lebensbedarfs“. Völlig verfassungswidrig (siehe VfGH G7/99) und entgegen der Artikel 15a Vereinbarung verweigert nur Wien die aufschiebende Wirkung von Berufungen gegen Bezugskürzungen. Der Kampf um die eigenen Rechte gefährdet aufgrund langer Verfahrendsauer daher das eigene Überleben.

Ebenfalls entgegen der Artikel 15a Vereinbarung gibt es in der „Sozialhauptstadt Wien“ erst recht keine Verwarnung vor einer Bezugskürzung. Die Existenzgefährdung trifft daher mit voller Wucht ein. Wovon die Menschen ohne Geld leben und ihre Rechnungen bezahlen sollen wollte und konnte bislang kein mitverantwortlicher Politiker beantworten.

Österreichs Politiker weigern sich unverdrossen, entsprechend den sozialen Menschrechten so wie in die meisten Ländern Europas das „Recht nicht verhungern zu müssen“ (Existenzrecht) anzuerkennen. Ewald Wiederin, Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien stellt daher wohl zutreffend fest: "Österreich zählt in der Tat zu den letzten Staaten der Erde, die ihre Bürger und Einwohner ohne Verfasssungs­bruch verhungern lassen können."

Fiese Falle „Arbeitswilligkeit“ – Täuschung mit Absicht?
Um Bezugskürzungen scheinbar zu legitimieren, wendet Sonja Wehselys MA 40 ganz besonders heimtückische Tricks an: Wer aufmuckt und um seine Rechte kämpft, dem kürzt die MA 40 nicht (nur) wegen der vorgeworfenen Tat, sondern auch wegen zugleich generell unterschobenen Arbeitsunwilligkeit ohne auch nur irgend etwas zu prüfen: In einem offenbar standardmäßig in Kürzungsbescheiden eingefügten Textbaustein wird vorgeworfen, der/die Betroffene hätte „weder Tatsachen, noch Unterlagen vorgelegt, die glaubhaft machen, dass trotz Arbeitsfähigkeit die Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs voll eingesetzt wird.“

Der Trick der MA 40 ist, den Antragstellern die Information vorzuenthalten, dass laut Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) „von sich aus alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen“ seien. Weder in der „Information gemäß § 33 WMG“ zum Antragsformular steht das und auf der Homepage wird gar mitgeteilt, die Meldung beim AMS als Arbeit suchend reiche aus, um seine Arbeitswilligkeit zu beweisen. Die MA 40 verlangt zuerst nie solche Belege und wiegt die Hilfe Suchenden in trügerischer Sicherheit. Die MA 40 setzt bricht das Verwaltungsrecht und sagt den Betroffenen vor der Bezugskürzung nicht was sie Ihnen noch vorwirft und velretzt so das grund­legende Recht auf Parteiengehör. Die MA 40 lässt also die Not leidenden und Hilfe suchenden Menschen möglicherweise mit voller Absicht ins offene Messer laufen.

In einem Fall, hat ein an Projekten für neuen Start in die Selbständigkeit arbeitenden Wiener so wegen dessen Weigerung einen rechtswidrigen Vertrag bei „Vorzeigeprojekt“ step2jobs zu unter­schreiben ohne die Maßnahme selbst in Frage zu stellen, den Bezug gekürzt. In einem anderen Fall wurde jemanden, der wegen Krankenstand, von dem nach dessen Angaben AMS und die MA 40 informiert worden war, Termine bei step2jobs nicht wahrnehmen konnte, eiskalt der Bezug mit dem Vorwand der „Arbeitsunwilligkeit“ gekürzt und angedroht, bei weiterer „Weigerung“ zu step2jobs zu erscheinen, den Lebensunterhalt bis zu 100% zu kürzen.

Wiener Mindestsicherung – Ein Geheimgesetz für Menschen zweiter Klasse?
Der Rechtsverschleierung dient wohl auch die beharrliche Weigerung von Sonja Wehsely die Richtlinien zur Durchführung der Mindestsicherung zu veröffentlichen, obwohl das Mindest­sicherungs­gesetz so vage formuliert, dass für dessen Verwaltungsvollzug reichlich Platz für Willkür bleibt. Anfragen Klarheit suchender BürgerInnen werden vom Büro Wehsely laut Betroffener nicht beantwortet. Im Hartz-IV-Deutschland sind die Sozialbehörden nach einem Gerichtsurteil verpflichtet, alle Durchführungsrichtlinien zu veröffentlich. Nicht so in der „Sozialhauptstadt Wien“. In geradezu kafkaesker Weise werden die Menschen ihnen unbekannten und willkürlich erscheinenden Regeln unterworfen und bei deren Verletzung unverzüglich bestraft.

Nicht ohne Grund hat Sonja Wehsely die Mogelpackung Mindestsicherung eilig ohne Begutachtungs­verfahren durch den Wiener Gemeinderat gepeitscht. Die Menschen sollten wohl nicht merken, wie sie von der herrschenden Politik betrogen werden. Die österreichischen Arbeitsloseninitiativen fordern statt dessen keine Bezugskürzungen unter das Existenzminimum, ein Recht auf aufschiebende Wirkung von Berufungen gegen Bezugskürzungen, eine unverzügliche und vollständige Veröffentlichung der Durchführungsrichtlinien sowie eine komplette Überarbeitung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes unter demokratischer Einbeziehung der Betroffenen. (Aktive Erwerbslose Österreich)