Hartz IV Geständnis eines Doppelstrich

Lesedauer 3 Minuten

Hartz IV-Geständnis eines Doppelstrich.
Ein Leserbeitrag von Judith Kyselo

"Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das gilt natürlich nicht für mich, denn ich bin nur ein Strich — ein Doppelstrich, um genau zu sein. Oder auch ein Nichts. Und ein Nichts kann keine Würde haben. Ich bin ein Strich weniger in der Arbeitslosen- und ein Strich weniger in der Hartz IV-Statistik. Oh nein, nicht daß ihr denkt, ich habe einen Job oder ich bin gar selbständig. Ja, sicher, ich HATTE einen Job und ich WAR selbständig, aber eben nur 34 Jahre lang. Danach zählte ich, bevor ich ein Doppelstrich wurde, zum alten Eisen, denn schließlich erfüllte ich nicht die Anforderungen weiser Personalchefs: ich war keine 25 Jahre jung, war nicht steril und hatte auch keine 30jähriger Berufserfahrung. Ich war nur ein Mensch, der arbeiten WOLLTE und gelernt hatte, daß Abstriche zu machen in der Natur auf dem Weg zum Alter gehört. Und ja, ich sträubte mich einen Job anzunehmen, bei dem ich Kunden über den Tisch ziehen und die Reibung als Nestwärme verkaufen sollte.

Sicherllich hätte ich auch für einen fetten Stundenlohn von 5,00 Euro irgendwo, irgendwas vertickern können, in Büros flott den Feudel schwingen können, auf 400,- Euro-Basis versteht sich, oder schwarz in Heimarbeit Kugelschreiber montieren, doch um die Einzelteile zu kaufen, fehlte mir dann doch das Geld. Also tat ich das, was Millionen willige Arbeitssuchende taten, ich schrieb mir die Finger an Bewerbungen wund. So gingen sechs Monate ALG I ins Land und ich blickte stolz 98 verschickten Bewerbungsmappen und 33 Mails hinterher. Als Doppelstrich habe ich es dagegen einfach: ich bin ein Nichts. Und ein Nichts hat keine Würde, hat keine Gefühle, kennt weder Enttäuschung noch Wut. Ich bin ein Nichts, das es vor vier Jahren wagte, mit einem verheirateten Mann und seinen fast erwachsenen Kindern eine Wohngemeinschaft zu bilden um Kosten zu sparen. Böse, böse, denn damals rechnete ich nicht mit den perfiden Spitzfindigkeiten schlecht ausgebildeter und überarbeiteter ARGE-Mitarbeiter, die uns Mitmieter flugs zu einer Bedarfsgemeinschaft machten. Schließlich sind wir treue Untertanen unserer Politiker und gespart wird an allen Enden und Ecken. Und dazu gehört nun mal auch Hartz IV.

Seien wir doch mal ehrlich, Gesetze sind zum Umgehen da. Wen schert es, daß die Voraussetzungen für eine Bedarfsgemeinschaft in keinem der Punkte erfüllt wurden? Die sich regelmäßig abwechselnden sogenannten Fallmanager waren emsig in ihrem Bestreben Arbeitsplätze zu sichern: in Widerspruchsstellen der ARGE und in den Sozialgerichten. Es ist mir eine Ehre, wenigstens einen klitzekleinen Anteil mit meiner Klage gegen die ARGE bereits 2007 geleistet zu haben und hoffe inständig, daß sich Tausende, wenn nicht gar Millionen Kläger die gleiche Mühe gemacht haben und so wenigsten Anderen ihren Job gesichert haben. Oh nein, es macht mir nichts aus, daß der Mitarbeiter in der Antragsstelle der ARGE — immerhin vier Jahre später — meinen erneuten Antrag nur unter der Bedingung, daß ich in einer Bedarfsgemeinschaft lebe, entgegen nehmen würde, wie er mit ausdrücklich versicherte. Ich muß eben nur ein wenig mehr Druck auf meinen Mitmieter ausüben, im Angesichts der Mündung meiner noch nicht vorhandenen Schreckschußpistole würde er sicherlich in freudiger Erwartung Kommendem seinen finanziellen Stand offenlegen und mit einem Begeisterungsschrei der Zwangsbedarfsgemeinschaft zustimmen. Sicherlich würde sein Engagement von den um die Kasse des Staates und die Fälschung der Statistiken bemühten Mitarbeiter der ARGE mit einem wertvollen Abnicken geehrt werden.

Ein Doppelstrichstreich, denn schließlich reicht sein Einkommmen mich zu finanzieren und damit wäre ich nicht mehr bedürftig. Und wenn ich nicht bedürftig bin, braucht mein Antrag auf Hartz IV auch nicht bewilligt werden. Und wird er nicht bewilligt, spart der Staat sogar noch die Krankenversicherung, die mir natürlich so nicht zusteht. Aber wie ich ihn kenne, wird er einen Teufel tun. Aber auch das macht mir nichts aus, denn ich bin stolz, auch auf diese Weise dem Staat Geld zu sparen, die Banken und die hochbezahlten Manager, die gradlienig Unternehmen in die Pleite und die um ihre Arbeit geprellten Menschen kosten eh genug. Nicht zu vergessen die Weltwirtschaftskrise! Zwar werde ich wegen "unterlassene Mitwirkung" in Regress genommen, doch das schadet mir nicht, mein Antrag auf Hartz IV wird zwar auch dann nicht angenommen, doch das Ergebnis wäre das Gleiche; Kein Geld, keine Krankenversicherung! Hatte ich schon erwähnt, daß ich, selbst wenn ich ich einer Bedarfsgemeinschaft leben würde, auch nicht Familienversichert werden könnte? Wieso kriege ich die Katze, die sich in den Schwanz beißt nicht mehr aus dem Kopf? Aher juhu, ich darf ein Doppelstrich sein, ich muß nicht essen oder trinken, brauche kein Dach über den Kopf und verursache auch keine Nebenkosten. Meine Emotionen habe ich unter dem Kirschbaum beim Nachbarn begraben, sie störten und erinnerten mich stündlich daran, daß ich einmal ein Mensch war, dessen Würde laut Grundgesetz unantastbar ist.

Der Tag ist nicht mehr fern, da verbiege ich mich und aus dem Doppelstrich wird ein Haken. So ein Haken, wie beim Boxkampf! Dann wehre ich mich und schlage zurück, reiche erneut Klage ein und sichere ganz allein mit meiner Entscheidung, wenn nicht zwar meinen aber dann wenigstens fremde Arbeitsplätze: beim Sozialgericht und wenn man mich läßt, auch am Obersten Bundesgerichtshof! Ähm, kennst du jemanden in Den Haag?" (04.04.2010, Judith Kyselo)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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