Hartz IV: Die wahren Sozialschmarotzer

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Hartz IV: Die wahren Sozialschmarotzer

Als Sozialschmarotzer werden von unseren Politikern, insbesondere denen der CDU, CSU und allen voran der FDP, sowie den selbst ernannten Meinungswächtern der Republik wie die Bild-Zeitung, ALG II-Bezieher bezeichnet, weil diese auf Steuerzahlerkosten leben – wenn man so wagemutig sein will, die Bestreitung des Lebensunterhalts mit 215 bis max. 359 Euro je Monat als „Leben“ bezeichnen.

Nun ist ALG II (Arbeitslosengeld II) bekanntermaßen nicht die einzige Sozialleistung. Kindergeld, ebenfalls eine Sozialleistung, wird auch von Gutverdienern und Reichen bezogen, quasi als Zubrot oder Notgroschen, da es für diese Personen nur Kleingeld darstellt. Niemand käme auf die Idee, diese Personen deshalb als Sozialschmarotzer zu bezeichnen. Warum eigentlich nicht?
Auch Wohngeld ist eine Sozialleistung, trotzdem bezeichnet niemand Wohngeldempfänger als Sozialschmarotzer. Warum nicht? Wo liegt denn der Unterschied zum ALG II-Bezieher?

Auch unsere Politiker leben von Steuergeldern – und das sehr gut. Jeder Bundestagsabgeordneter, der nicht noch anderweitig beschäftigt ist, erhält seit dem 1. Januar 2009 monatlich 7.668 Euro, bezeichnet als Abgeordnetenentschädigung oder Diät, zuzüglich seines hälftigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrags, sowie einer Altersentschädigung in Höhe von 2,5% der Abgeordnetenentschädigung, wobei diese Altersentschädigung auch noch pro Jahr um jeweils 2,5% auf bis zu 67,5% steigt. Dazu kommt eine monatliche steuerfreie Kostenpauschale von aktuell 3.969 Euro, sowie weitere Sach- und Finanzleistungen für tatsächliche Aufwendungen. Die Diäten und Pauschalen orientieren sich dabei an den Lebenshaltungskosten und werden jährlich angepasst, so dass unsere Bundestagsabgeordneten auch ja vor Inflation geschützt sind.

Zum Vergleich: die Höhe der Regeleistung eines ALG II-Empfängers orientiert sich am Rentenwert, der vom Einkommen abhängig ist, welches – im Gegensatz zur steigenden Inflation – einer permanenten Schrumpfung unterliegt. Außerdem wird der Eckwert der Regelleistung nur alle 5 Jahre überprüft. Soviel zum Schutz der Ärmsten vor Inflation.

Ein Bundestagsabgeordneter hat also monatlich nach Steuern mindestens 9000 Euro Steuergelder zu seiner freien Verfügung. Zum Vergleich: ein alleinstehender ALG II-Bezieher bekommt ca. 700 Euro im Monat.

Nun wollen wir unsere Bundestagsabgeordneten nicht gleich als Sozialschmarotzer bezeichnen, denn im Gegensatz zu ALG II-Beziehern tun sie ja was für ihr Geld – doch: Moment! Das ist so nicht ganz korrekt. Auch ALG II-Bezieher tun ja was für ihr Geld: sie müssen erhebliche Eigenbemühungen unternehmen, um einen Job zu finden, sie müssen in sog. 1 Euro Jobs unendgeldlich arbeiten, sie müssen an diversen Maßnahmen zur Eingliederung teilnehmen, auch wenn letztere meist vollkommen sinnlos sind und nur der Existenz der Maßnahmeträger dienen. Das tun aber lt. BA (Bundesagentur für Arbeit) nur 73 % aller 4.896.000 ALG II-Bezieher, den die restlichen 27% sind bereits in Jobs gebunden, von deren meist sittenwidriger Entlohnung sie weder leben noch sterben können. Diese 27% sind aber voll ausgelastet mit ihrem Job und den Mühen, sich gegen die Aufzwingungen von 1 Euro Jobs und Eingliederungsmaßnahmen zu wehren, die ihnen die weitere Ausübung ihres Jobs unmöglich machen und deshalb für diese 27% eigentlich verboten sind. Außerdem müssen sich diese 27% ebenfalls erhebliche Eigenbemühungen unternehmen, um einen Job zu finden, der besser bezahlt wird, als ihr aktueller.

Ein Bundestagsabgeordneter reist herum, nimmt, wenn er nicht gerade anderweitig beschäftigt ist, an Bundestagssitzungen und Sitzungen von Fachausschüssen, denen er angehört, teil, äußert seine Meinung und muss sich mit Wählern abgeben. Auch ein Bundestagsabgeordneter tut also was für sein Geld.

Wo liegt also der Unterschied?
Nun, de facto gibt es keinen: beide, sowohl Bundestagsabgeordnete als auch ALG II-Empfänger tun etwas für ihre Bezahlung aus Steuermitteln. Allerdings wäre es vollkommen ungerecht, Bundestagsabgeordnete als Sozialschmarotzer zu bezeichnen, da sie ja im Monat ca. 13 Mal so viel Steuergelder erhalten, wie ein ALG II-Bezieher, hier wäre vielmehr die Bezeichnung „Premium-Sozialschmarotzer“ angebracht – insbesondere für die Politiker und Minister, die sich immer wieder durch erhebliche fachliche und menschliche Inkompetenz hervortun.

Allerdings sind unsere Bundestagsabgeordneten nicht die Einzigen „Premium-Sozialschmarotzer“, zu denen gehören auch diejenigen, die direkt von ALG II-Beziehern und damit von den Steuern profitieren, die im Bundeshaushalt für ALG II vorgesehen sind.

Da wären zum Zweiten diejenigen Arbeitgeber als „Premium-Sozialschmarotzer“, welche heute keine kostendeckenden Löhne mehr zahlen, sondern sog. Aufstocker beschäftigen, ALG II-Bezieher, die von ihrer Entlohnung weder leben noch sterben können. Die Lohneinsparungen, und damit Profite, die hierbei von solchen Arbeitgebern erzielt werden, sind gigantisch und betragen bis zu 75% des branchenüblichen Bruttolohnes. Diesen Arbeitgebern wird somit eine direkte Lohnsubvention zu teil. Aktuell gibt es lt. BA ca. 1,4 Millionen dieser Aufstocker, also 1,4 Millionen Jobs mit dieser direkten Lohnsubvention aus Steuermitteln.

Eine weitere direkte Lohnsubvention gibt es bei ehemaligen ALG II-Beziehern, wo die Arbeitgeber direkt von der BA aus Steuermitteln 2 Jahre lang 75% des Bruttolohnes dieser Angestellten erstattet erhalten. Lt. BA befinden sich aktuell 42.196 ehemalige ALG II-Bezieher in solchen Beschäftigungsverhältnissen mit dieser Art direkter Lohnsubvention aus Steuergeldern des Bundeshaushaltes für ALG II.

Zum Dritten wären da die Maßnahmeträger für sog. 1 Euro Jobs, korrekt: Arbeitsgelegenheiten (AGH) mit Mehraufwandsentschädigung (MAE) als „Premium-Sozialschmarotzer“.

Während der ALG II-Bezieher nur eine Aufwandsentschädigung von bis zu 1,50 Euro je Stunde erhält, also zwischen 6 und 9 Euro pro Arbeitstag, von der er alle mit der Maßnahme verbundenen Mehrkosten wie Fahrkosten, Arbeitsbekleidung und Reinigung derselben, Mehrausgaben für auswärtiges Essen usw. bezahlen muss, erhält der Maßnahmeträger als Dankeschön dafür, dass der Arbeitslose kostenlos bei ihm arbeiten darf, von der BA eine „Entschädigung“ in Höhe von ca. 600€ pro Monat und 1 Euro Jobber, also ca. doppelt so viel, wie der 1 Euro Jobber im Monat an Regelleistung erhält. Zusammen mit der Aufwandsentschädigung kostet ein 1 Euro Job (nur der Job, nicht der ihn ausführende Jobber) im Monat den Steuerzahler genau soviel wie ein alleinstehender ALG II-Bezieher, ca. 750€, wovon der Löwenanteil aber dem Maßnahmeträger geschenkt wird und wovon dieser ausschließlich existiert. In solchen Jobs befinden sich lt. BA aktuell 270.995 ALG II-Bezieher. Würde man alle 1 Euro Jobs per sofort streichen, könnte man mit den damit eingesparten Steuergeldern stattdessen 270.995 alleinstehende ALG II-Bezieher bezahlen.

Zum Vierten wären da die Maßnahmeträger für Arbeitsgelegenheiten (AGH) mit Entgeldvariante als „Premium-Sozialschmarotzer“. Hierbei handelt es sich um das Gegenstück zu ABMs, wobei die Maßnahmeträger von der BA eine Pauschale erhalten, die sich nach Qualifikation des ALG II-Empfängers, Anforderungen des Jobs und dem branchenüblichen Lohnniveau richtet. Von dieser Pauschale bezahlt der Maßnahmeträger dem ALG II-Empfänger dessen Lohn, wobei dieser regelmäßig deutlich unter der Pauschale, welche der Maßnahmeträger von der BA bekommt, liegt. Im Durchschnitt wendet der Maßnahmeträger weniger als 80% der Pauschale zur Entlohnung auf, um die Lohnsittenwidrigkeitsgrenze von -30% nicht zu unterschreiten, womit diese Jobs für Maßnahmeträger nur etwa halb so lukrativ sind, wie 1 Euro Jobs, was wohl erklärt, warum es davon nur so wenig gibt. Von solchen Jobs gibt es lt. BA im Rechtskreis des SGB II aktuell 55.505.

Zum Fünften wären da die Maßnahmeträger für andere Maßnahmen zur Eingliederung (wie die „heißgeliebten“ Trainingsmaßnahmen, die selbst lt. Stellungnahmen der BA vollkommen nutzlos sind) als „Premium-Sozialschmarotzer“.
Hier erhalten die ALG II-Maßnahmeteilnehmer nur eine Erstattung ihrer Fahrkosten. Der ihnen entstehende Mehraufwand (Arbeitsmaterialien, Mehrkosten für auswärtiges Essen usw.) wird nicht erstattet.

An solchen Maßnahmen nehmen lt. BA im Rechtskreis des SGB II aktuell 4.511 ALG II-Bezieher teil. Wie hoch die Pro-Kopf-Kosten für diese Sinnlos-Maßnahmen sind, konnten wir nicht genau ermitteln, sie dürften aber nach unseren Informationen den Maßnahmekosten eines 1 Euro Jobs entsprechen. Auch hier finanzieren diese Maßnahmeträger ihre Existenz ausschließlich aus Steuermitteln, die im Bundeshaushalt für ALG II vorgesehen sind.

Wie man sieht, gibt es jede Menge Personen und Berufsgruppen, die ebenfalls ausschließlich von Steuergeldern leben und somit per Definition ebenfalls als Sozialschmarotzer bezeichnet werden müssen. Bei allen weiteren „Premium-Sozialschmarotzern“, die wir hier nicht genannt haben, möchten wir uns an dieser Stelle für deren Nichtnennung entschuldigen. (Quelle: Statistik der BA für Dezember 2009, / Artikel von F.M., 23.01.2010)