Alltag in den Hartz IV Behörden: Tumult um Wartemarke Nr. 146
von Die Keas e.V.
Das Vorspiel
Der Hilfesuchende kommt um Viertel nach Acht zur ARGE Mülheim, zieht eine Wartemarke und richtet sich auf’s Warten ein. Er ist um zehn Uhr mit einem Beistand verabredet, der ihn unterstützen soll beim Stellen eines Erstantrags und Erlangen eines Vorschusses. Denn er ist völlig mittellos, sein Erspartes schon lange aufgebraucht, die letzten Euro Bares ausgegeben.
Eine junge Frau mit Kind soll Wartemarke Nr. 146 bekommen
Wie vereinbart zieht er nach einer Weile eine weitere Wartemarke, später dann nochmal eine, um mit dem Beistand im Frontoffice der ARGE vorsprechen zu können. Als dieser eintrifft, schlägt er vor, die nicht mehr benötigte Nr. 146 einer jungen Mutter zu geben, die gerade mit ihrem Kleinkind im Wagen angekommen ist. Es weiß nämlich jeder, der es erlebt oder beobachtet hat, dass die kleinen Kinder am meisten unter der desolaten Situation in der Eingangszone leiden: öde Gänge und stickige Räume mit widerlicher Auslegeware sind schlicht eine Zumutung. Von Spielecke oder gar Wickelraum weit und breit keine Spur.
Auftritt Erkun Panzer
Der Hilfesuchende hält der Frau die Wartemarke entgegen. Diese freut sich: "Oh fein, dann brauche ich nicht so lange zu warten!" Da löst sich aus dem Pulk der Wartenden ein junger Mann von kräftiger Statur (nennen wir ihn Erkun Panzer), baut sich vor dem Hilfesuchenden auf und blafft ihn an: "Geben Sie mir die Marke!" Der ist verdutzt, zieht die Hand mit der Karte zurück, nach der Erkun Panzer greift. Dieser wiederholt: "Geben Sie mir die Marke!" "Nein, die bekommt die Frau", entgegnet der Hilfesuchende. "Geben Sie mir die Marke!" Erkun Panzer ist sehr hartnäckig.
Der Beistand wird körperlich bedrängt
Jetzt mischt sich der Beistand ein: "Was soll das hier? Halten Sie sich da raus!" Erkun Panzer lässt sich nicht irritieren: "Geben Sie mir die Marke! Geben Sie mir die Marke!" Er versucht nochmal, dem Mann die Wartemarke abzunehmen. Der Beistand übernimmt nun die Marke, um das lästige Spiel abzubrechen und endlich ins angezeigte Büro zu gehen. Doch Erkun Panzer ist eine Kämpfernatur, so schnell gibt er nicht auf. Er packt den Beistand an dem Arm, mit dem der die Marke in die Tasche steckt und fordert ihn auf: "Sie geben mir sofort die Marke!" "Ich gebe Ihnen gar nichts. Lassen Sie mich sofort los!" hält der Beistand dagegen und will den Gang runtergehen. Erkun Panzer stellt sich ihm in den Weg: "Sie geben mir sofort die Marke!" Jetzt fällt ihm wie aus heiterem Himmel ein Argument ein: "Ich bin vom Sicherheitsdienst. Sie geben mir sofort die Marke!" Beistand: "Es ist mir egal, wer Sie sind, geben Sie den Weg frei." Er versucht, rechts an Erkun Panzer vorbeizugehen, der stellt sich in den Weg, er versucht, links an Erkun Panzer vorbeizugehen, der stellt sich in den Weg und stößt ihn vor den Bauch, um ihn am Weitergehen zu hindern. "Lassen Sie mich gefälligst vorbei, wir haben jetzt einen Termin!" versucht der Beistand es weiter im Guten. "Ich diskutiere nicht mit Ihnen, geben Sie mir die Marke!" Er versperrt weiter den Weg.
Im Büro des Sachbearbeiters
Der Hilfesuchende hat inzwischen bemerkt, dass das angezeigte Büro schräg hinter ihnen ist. Gerade hat ein anderer ARGE-Geplagter den Raum verlassen, er und der Beistand gehen hinein. Erkun Panzer hinterher. Inzwischen ist ein weiterer Sicherheitsmann gekommen, der an seiner Kleidung als solcher zu erkennen ist: schwarze Hose, dunkle Jacke mit Kötter-Emblem.
Der ARGE-Mann im Büro will wissen: "Was ist denn hier los?" Herr Panzer beschwert sich, dass "die hier" eine Wartemarke zuviel haben. "Das geht aber nicht!" ist die Ansicht des Herrn hinterm Schreibtisch. "Das ist nicht erlaubt." Er erklärt kurzerhand das Gespräch für beendet und fordert dazu auf, sein Büro zu verlassen. "Wir bleiben hier, wie wollen einen Antrag stellen", stellt der Beistand klar.
Hilfebedürftiger und Beistand sind verwirrt: Verbot der Weitergabe einer Wartemarke? Keine Antragsabgabe wegen einer überzähligen Wartemarke? So was kann es doch nur in Absurdistan geben, und dort waren sie noch nie. Bis jetzt nicht.
Erkun Panzer will die Polizei rufen
Erkun Panzer droht damit, die Polizei zu rufen, wenn die beiden den Raum nicht verlassen würden. Der Beistand stimmt zu: "Ja, rufen Sie die Polizei!" Das wiederum lässt Erkun Panzer verdutzt aus der Wäsche schauen. Er wollte doch einschüchtern, nicht Aussicht auf mögliche Hilfe bieten.
Der hinzugekommene Sicherheitsmann versucht, vermittelnd einzugreifen. Er bietet von sich aus den Weg an, der nun sowieso angesagt ist: "Wir gehen jetzt zum Teamleiter." Zu viert machen sie sich auf den Weg. Doch die Tür des Teamleiters ist verschlossen. Sie warten. Der Hilfesuchende spricht das unfassbare Geschehen noch mal an, es wird diskutiert. Der Beistand beschwert sich bei Erkun Panzer: "Sie haben mich tätlich angegriffen!" Der sieht das natürlich ganz anders: "Sie sind gegen mich gestolpert!" Bekräftigend nickt er mit dem Kopf: "Ja! Sie sind gegen mich gestolpert!" Wiederholung derselben Sätze scheinen fürs Selbstverständnis wichtig zu sein.
Bei der Standortleitung
Nach einigen Minuten des Wartens wird der nächste Schritt angegangen, wieder auf Vorschlag des freundlichen Sicherheitsmannes: rauf zur Standortleitung. Erkun Panzer darf nun aber nicht mit, er muss wieder zurück auf seinen Platz. Er muss aufpassen, dass keine Wartemarken weitergegeben werden.
Für den Hilfesuchenden und seinen Beistand geht es nun allmählich zurück in die Normalität einer ARGE. Die Sekretärin des Leiters hört sich nacheinander die zwei Seiten der Auseinandersetzung an und sorgt für eine erneute Vorsprache in der Eingangszone. Dort werden die Daten aufgenommen, dann geht’s zum Sachbearbeiter für Antragsabgabe. Dort erhält der Hilfesuchende schließlich eine Zuweisung, eine Eingliederungsvereinbarung und dann die Antragsformulare. In dieser Reihenfolge. Der Sachbearbeiter versucht, mit dem Back Office Kontakt aufzunehmen, aber dort ist mittlerweile Mittagspause.
Das lange Warten hat Erfolg
Eine Dreiviertelstunde später endlich rückt die Barauszahlung näher. Doch dauert es ungewöhnlich lange, bis nach dem "Warten Sie einen Moment" sich irgendetwas tut. Die Nachfrage des Beistands nach ungeduldigem Warten, wann denn nun mit der Geldkarte zu rechnen ist, führt nochmal zu einer Begegnung mit Erkun Panzer. Beide Sicherheitsleute kommen den Gang herunter, um nach dem Rechten zu sehen. Der Freundliche bietet an, ein Fenster zu öffnen. Hilfesuchender und Beistand stimmen erfreut zu. So kann man noch mal Luft holen nach der langen Warterei. Irgendwann danach ist dann auch die Karte für den Geldautomaten gebacken.
Ende gut, alles gut?
Der Betroffene hat schlussendlich sein ihm zustehendes Geld bekommen. Aber es verbleibt ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Nämlich genau an der Stelle, wohin der Beistand von dem aggressiv auftretenden Sicherheitsmann gestossen wurde. Und so etwas ist einfach nicht hinnehmbar! (die Keas, 23.11.2009)
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