Was sich derzeit im Amt für Soziales Treptow‑Köpenick abspielt, geht weit über das hinaus, was Leistungsberechtigte normalerweise schon erleben müssen. Mehrere Betroffene berichten übereinstimmend von existenzgefährdenden Zahlungsstopps, widersprüchlichen Bescheiden und einer Praxis, gerichtliche Entscheidungen erst nach deutlichem Druck umzusetzen.
Öffentlich geworden sind die Vorwürfe durch Tacheles Sozialhilfe e. V. Der Verein berichtet, von einem ganzen Bündel fragwürdiger Verwaltungsakte und unterlassener Hilfeleistungen.
Zustehende Leistungen werden einfach nicht gezahlt
Besonders gravierend wirken sich die Verzögerungen bei Leistungen der Grundsicherung aus. In mehreren Fällen blieben Zahlungen so lange aus, dass Mietrückstände entstanden und Vermieter fristlos kündigten.
Einer der Betroffenen musste nach Angaben seiner Rechtsvertretung gleich drei Eilverfahren anstrengen, um zunächst die Mietschulden, dann die Umzugs‑ und schließlich die Renovierungskosten für eine unbewohnbare Wohnung durchzusetzen.
Die Schulden und Lücken die entstanden, seien nur mit privaten Darlehen und Hilfe von Freunden überbrückt worden. Die Betroffenen schildern große psychische Belastungen durch die Ungewissheit, ob am Monatsanfang Geld auf dem Konto eingeht.
Gerichte müssen immer wieder hart durchgreifen
Immer wieder endet die Auseinandersetzung vor dem Sozial‑ oder Verwaltungsgericht. In dem bekanntesten Fall hob das Amt zunächst die Zuweisung eines obdachlosen Leistungsberechtigten in eine Notunterkunft auf.
Erst eine gerichtliche Entscheidung gab dem Mann Recht – er durfte bleiben, bis seine Wohnung renoviert und bezugsfertig war.
Auch bei einer unzulässigen Aufrechnung von Leistungen lenkte das Amt erst nach Klageerhebung ein, ohne den Widerspruch formal anzuerkennen. Die Gerichte gaben den Klägern Recht und ließen die Verwaltung nicht nur auf den Kosten sitzen, sondern warfen ihr teilweise auch Verfahrensfehler vor.
Doppelter Rechtsbruch?
Juristinnen und Juristen sprechen von einem „doppelten Rechtsbruch“. Zum einen verweigere das Amt teils Akteneinsicht und die Herausgabe von Widerspruchsbescheiden – beides zwingende Voraussetzungen, um Rechtsmittel einzulegen.
Zum anderen stoße der Hinweis, elektronische Post sei „nicht eingegangen“, obwohl ein Zugangsnachweis vorliege, auf Unverständnis.
Fachleute sehen darin eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör. Dass eine einst erteilte Vollmacht nach Aufhebung einer rechtlichen Betreuung automatisch entfallen solle, hält selbst die Rechtsstelle des Bezirksamtes nach Informationen unserer Redaktion inzwischen für zweifelhaft, eine offizielle Korrektur steht aber aus.
Bezirksverwaltung reagiert nicht auf die Vorwürfe
Anfragen an die Pressestelle des Bezirksamts blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Zuständig ist Bezirksstadträtin Carolin Weingart (parteilos), die die Abteilung Soziales, Gesundheit, Arbeit und Teilhabe leitet. Auf der offiziellen Bezirksseite gibt es bislang weder eine Stellungnahme noch Hinweise auf interne Untersuchungen.
Öffentlichkeit und Betroffene können ihre Beschwerden über ein Online‑Formular einreichen, das Amt verweist darin jedoch lediglich auf allgemeine Kontaktmöglichkeiten.
Ist Treptow‑Köpenick ein Einzelfall oder Symptom eines größeren Problems?
Schon Anfang 2024 schlug eine Umfrage unter Berliner Sozialämtern Alarm: Viele Häuser seien „am Limit“, Stellen blieben unbesetzt, Antragsberge wüchsen schneller, als Personal eingestellt werde. Das Bezirksamt Treptow‑Köpenick wurde dabei ausdrücklich als besonders angespannt genannt.
In bundesweiten Fach‑Newslettern des Sozialrechtsexperten Harald Thomé sind ähnliche Rechtsverletzungen aus anderen Städten dokumentiert; der Autor spricht von „gewollten und planmäßigen Rechtsbrüchen“ gegen Menschen ohne Lobby.
Experten fordern mehr Personal und digitales Fallmanagement
Fachverbände fordern ein digitales Fallmanagement, das Zahlungsabbrüche technisch verhindert und gerichtliche Entscheidungen automatisch in die Akte einspielt. Gleichzeitig brauche es mehr Personal in den Widerspruchs‑ und Rechtsstellen, um Fehler früh zu korrigieren.
Im Berliner Abgeordnetenhaus liegt seit März ein interfraktioneller Antrag vor, der Sozialämter verpflichten soll, überfällige Bescheide binnen zehn Tagen zu begründen und – falls dies nicht geschieht – eine automatische Vorabzahlung auszulösen.