Ein Berliner Arzt will gegen seine Verhaftung während der Gipfeltage klagen. Unhaltbare Zustände im Rostocker Sammelgefängnis. Ein Gespräch mit Michael Kronawitter aus der Jungen Welt Dr. med. Michael Kronawitter arbeitet als Arzt in Berlin und ist aktiv in der linken und antifaschistischen Bewegung
Sie sind am Mittwoch bei einer Blockade der G-8-Gegner vor Heiligendamm verhaftet worden, obwohl Sie dort deutlich erkennbar in Rettungsweste als Arzt tätig waren …
Berliner Zivilpolizisten haben behauptet, ich hätte Demonstranten durch Polizeisperren geführt. Selbst wenn ich das getan hätte, wäre das keine Straftat gewesen. Aber die Beamten sprachen von schwerem Landfriedensbruch und beauftragten uniformierte Kollegen, mich festzunehmen. Ein unglaublicher Vorgang. Ich war im Einsatz und habe Leute medizinisch versorgt. Zum Zeitpunkt der Festnahme war ich auf dem Weg zu einem Journalisten, der in der Nähe von Bad Doberan Atemprobleme hatte, wahrscheinlich ein Asthmaanfall. Ich bin nicht mehr bis zu ihm hingekommen.
Bei Ihnen sollen »Tatwaffen« beschlagnahmt worden sein. Worum handelte es sich?
Unter anderem um mein Funkgerät und mein Handy. Beides diente der Kommunikation zwischen den Ärzten und Sanitätern, die bei den Blockaden unterwegs waren, um bei Notfällen zu helfen. Die Polizei behauptet, ich hätte damit Proteste und Aktionen der G-8-Gegner koordiniert.
Sie sind dann in die Gefangenensammelstelle in der Industriestraße in Rostock gebracht worden. Können Sie die Kritik des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins an den dortigen Haftbedingungen bestätigen?
Was ich da erlebt habe, kann ich kaum beschreiben. Viele der Gefangenen fühlten sich an die Bilder aus Guantánamo erinnert. Wir waren wirklich in Käfigen, etwa fünf mal fünf Meter, die von allen Seiten einsehbar und von oben mit einem Netz abgedeckt waren. Von der Galerie aus filmte ständig ein Polizeibeamter in die »Zellen«. Es gab keine Waschmöglichkeiten. Dauernd, auch nachts, brannte Neonlicht, und durch die Lüftungen dröhnten Propellergeräusche. Wir wurden praktisch mit Schlafentzug gequält. Es gab unzureichend zu essen und kaum Decken. Die Leute haben angefangen zu bellen und zu knurren, um sich dagegen zu wehren, wie Hunde behandelt zu werden. Das waren Zustände, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Ich hielt so etwas in Deutschland für unvollstellbar.
Sie sollten eigentlich bis Freitag in Unterbindungsgewahrsam bleiben, sind dann aber doch Donnerstag abend entlassen worden. Wie kam es dazu?
Das Amtsgericht hatte den Unterbindungsgewahrsam zunächst bestätigt. Da saß eine Strafrichterin, die der Sachverhalt nicht im geringsten interessierte. Meine Beschwerde vor dem Landgericht veranlaßte aber die dort tätigen Richter dazu, die Maßnahme sofort aufzuheben. Sie waren äußerst empört, mit was für fadenscheinigen Gründen die Polizei Freiheitsentziehungen durchgeführt hat.
Bis zu Ihrer Verhaftung waren Sie als Arzt im Einsatz. Können Sie eine Bilanz ziehen?
Das ist schwer überschaubar, denn es gab viele Orte, an denen es zu Polizeiübergriffen gekommen ist. Ich vermute, daß es mehr als 500 verletzte Blockadeteilnehmer gegeben hat. Allein an dem Tag, an dem die friedlichen Sit-ins begonnen haben, kam es zu etlichen Übergriffen. Die Situation an den Blockadepunkten glich teilweise einem Bürgerkriegsszenario: Knüppel- und Wasserwerfereinsätze, dazu Hubschrauberstaffeln, die über den Leuten hingen. Es war gespenstisch und natürlich auch einschüchternd. Und trotzdem: Die Menschen haben sich aber nicht beirren lassen.
Dann ist das Widerstandskonzept aufgegangen?
Ich denke ja. Das war natürlich alles auf einer symbolischen Ebene. Es wäre naiv, zu glauben, an dem G-8-Gipfel und seinem Verlauf wirklich etwas ändern zu können. Aber es war klar: Es gibt Widerstand, der Gipfel wird nicht einfach hingenommen.
War die Polizei tatsächlich überfordert, oder war es nach der Kritik an deren Einsatz auch Kalkül, Protestbilder am Zaun zuzulassen?
Ich glaube, daß die Polizei ihre Verbotszone gerne freigehalten hätte. Die Beamten haben nicht damit gerechnet, daß so viele Leute entschlossen Blockaden durchführen würden. Die Polizei war am Ende ihrer Kräfte und auf dem weiten Gelände nicht in der Lage, alle Wege freizuhalten.
Werden Sie Ihre Verhaftung auf sich beruhen lassen?
Nein, gegen die bewußt falsche Verdächtigung, die von Berliner Zivilbeamten des Landeskriminalamtes geäußert wurde, werde ich strafrechtlich vorgehen. Die Beamten waren codiert, also namenlos, was die Richter auch nicht begeistert hat. Darüber hinaus werde ich versuchen, mit möglichst vielen, die diese Guantánamo-ähnlichen Zustände über sich ergehen lassen mußten, rechtliche Schritte einzuleiten. Das war Körperverletzung. (12.06.07, aus Junge Welt)
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors