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Historische Chance verpasst – โKindergrundsicherungโ ist Etikettenschwindel
Der Verein Tacheles e.V., Interessenvertretung fรผr Einkommensschwache, Erwerbslosen und Sozialhilfeverein, hat eine fachliche Stellungnahme zur von der Bundesregierung proklamierten Kindergrundsicherung abgegeben โ mit niederschmetterndem Ergebnis.
Der Hilfe- und Beratungsverein wird hรคufig bei Gesetzesvorhaben vom Bundessozialministerium zu einer Stellungnahme aufgefordert. Dieses Mal kam diese Einladung nicht. War das eine bewusste Entscheidung? Darรผber kann man freilich nur spekulieren. Dennoch hat Tacheles unaufgefordert eine Auswertung erstellt.
Keine Verbesserung fรผr die รrmsten
So biete die Kindergrundsicherung keine Verbesserung der Leistungen fรผr die รคrmsten Familien (mit geringem oder ohne Einkommen) – gegenรผber den vorhandenen Leistungssystemen. Vielmehr entstรผnden in manchen Fรคllen sogar Verschlechterungen gegenรผber der heutigen Situation. So werde ein scharfes sozialrechtliches Sanktionsrecht geschaffen, falls die Betroffenen nicht mitwirkten.
Darรผber hinaus sei die sogenannte Kindergrundsicherung sogar ein rassistisch gepรคrgtes Vierklassensystem. Kinder ohne deutsche Staatsangehรถrigkeit wรผrden ausgeschlossen. Der Zweck, nรคmlich Kinderarmut tatsรคchlich zu bekรคmpfen, wรผrde vรถllig verfehlt.
Bis 1.600 Euro Einkommen kein Vorteil
Mehrere Musterrechnungen zeigen auf, dass sich bis zu einem Einkommen eines Elternteils von bis zu 1.600 Euro brutto keine Verbesserung ergรคbe – gegenรผber der aktuellen Rechtslage mit Bรผrgergeld und Wohngeld. โEine Familie mit 2 Kindern hรคtte mit der Kindergrundsicherung bis zu einem Einkommen eines Elternteils von 1.600 โฌ brutto keinen Cent mehr,โ so Tacheles.
Kein Erwerbsanreiz
Da das Einkommen der Eltern nach SGB II nach wie vor angerechnet wรผrde, gรคbe es auch keinen Erwerbsanreiz fรผr Eltern, eine Beschรคftigung aufzunehmen. Im Vergleich zum bisherigen Wohngeld und Kinderzuschlag gรคbe es keine Verbesserung. Ab einem bestimmten Punkt stagniere auch mit Kindergrundsicherung das Haushaltseinkommen bei steigendem Erwerbseinkommen.
Plus nur fรผr die etwas weniger Armen
Lediglich fรผr die hรถher verdienenden Familien ergรคbe sich ein Plus, und das seien genau die, die an der Grenze der Hilfsbedรผrftigkeit stรผnden. Ausgerechnet die finanzielle Situation der รrmsten unter den Hilfsbedรผrftigen verbessere sich nicht.
Manche stehen schlechter da als zuvor
Mehr noch: Manchen Gruppen unter den Bedรผrftigen drohen sogar verschlechterte Leistungen. Dazu zรคhlten Kinder in zeitweisen Bedarfsgemeinschaften, Studierende im Haushalt ihrer Eltern oder Kinder, bei deren Eltern rapide das Einkommen sinkt.
Eltern, deren Kinder einen Mehrbedarf hรคtten, mรผssten nun einen hรถheren Aufwand auf sich nehmen, um die jeweilige Leistungen zu erhalten. Einmalleistungen und Erstausstattungen seien in der Kindergrundsicherung nicht mehr enthalten.
Strafe statt Hilfe
Statt das zu tun, was eine echte Kindergrundsicherung wรคre โ bedรผrftige Familien abholen, denen Behรถrden helfend zur Seite stรผnden- fรผhrten die geplanten Sanktionen zum exakten Gegenteil. Zudem wรผrde an vielen Stellen allgemeines Sozialrecht ausgehรถhlt und durch restriktives Sonderrecht ersetzt.
Offenkundige Ungleichbehandlung
Die Kindergrundsicherung sei keine Leistung fรผr alle Kinder in Deutschland, wie die Bundesregierung behaupte: Kinder ohne deutsche Staatsangehรถrigkeit sollen ausgeschlossen werden, wenn die Eltern den falschen Aufenthaltsstatus hรคtten. Dies gelte fรผr Kinder, deren Eltern eine Duldung hรคtten oder bestimmte Aufenthaltserlaubnisse hรคtten, sowie partiell fรผr EU-Bรผrger/innen.
Dieser Ausschluss sei im Kern rassistisch motiviert und eine Ungleichbehandlung. Es werde mit der Kindergrundsicherung ein stรคrkeres Mehrklassensystem von Kindern geben als zuvor.
Fazit der Autoren: Es ist keine Kindergrundsicherung
Die Kindergrundsicherung sei eine Enttรคuschung. Fรผr viele Familien wรผrden lediglcih Antragsverfahren zusammengelegt. Das Ziel, Kinder aus der Armut zu holen, wรผrde vollkommen verfehlt. Die Regelbedarfe seien zu niedrig fรผr einen Systemwechsel. Der Entwurf sei ein Stรผckwerk halbherziger Ideen, finanziell unzureichend und praktisch nicht zu Ende gedacht. Es sei eine historische Chance verpasst worden, Kinderarmut grundsรคtzlich zu bekรคmpfen. Der Begriff Kindergrundsicherung sei fรผr das neue Gesetz unangebracht.
Link: Hier geht es zur Stellungnahme (im PDF Format)