Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD trรคgt den Anspruch, das Rentensystem โzukunftsfestโ zu machen. Im Kapitel Arbeit und Soziales taucht jedoch dazu ein kurzer, aber folgenreicher Satz auf: Die Partner โwollen mit RehaโLeistungen diejenigen zielgenauer erreichen, die bereits in einer befristeten Erwerbsminderungsrente sindโ
Hinter dieser Formulierung verbirgt sich mehr als nur der Wunsch nach besserer Versorgung. Sie erรถffnet die Mรถglichkeit, รผber obligatorische Rehabilitationsmaรnahmen den Gesundheitszustand von rund einer halben Million Menschen mit zeitlich begrenzter EMโRente noch einmal auf den Prรผfstand zu stellen โ und im Ergebnis ihre laufende Leistung zu verkรผrzen oder zu streichen.
Befristete EMโRenten im Visier der Koalition?
Befristete Renten wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung werden fรผr maximal drei Jahre bewilligt und kรถnnen, anders als unbefristete EMโRenten, immer wieder รผberprรผft werden (ยงย 43ย SGBย VI)
Die mรถgliche kรผnftige Bundesregierung argumentiert, man mรผsse Erwerbsfรคhigkeit konsequent wiederherstellen, wenn eine gesundheitliche Besserung realistisch sei.
Kritiker sehen darin jedoch den Einstieg in eine systematische Leistungskรผrzung: Wem nach einer Reha zumindest eine teilweise Belastbarkeit attestiert wird, der kรถnnte seinen Rentenanspruch verlieren und sich in einem erneuten Antragsโ, Widerspruchsโ und Klagezyklus wiederfinden.
Psychische Leiden sind lรคngst Hauptursache fรผr Erwerbsminderung. 2020 entfielen bereits 41,5ย Prozent der neu zugesagten EMโRenten auf entsprechende Diagnosenย und aktuelle interne DRVโDaten zeigen, dass der Anteil inzwischen bei fast jedem zweiten Fall liegt.
Rehabilitationsberichte belegen zwar eine hohe Wirksamkeit: Zwei Jahre nach Abschluss einer medizinischen Reha sind 83ย Prozent der Teilnehmenden wieder arbeitsfรคhig.
Gerade bei komplexen psychischen Erkrankungen bleibt die Rรผckkehr in den Arbeitsmarkt jedoch oft brรผchig und von Rรผckfรคllen begleitet โ ein Risiko, das sich im nรผchternen Zahlenwerk kaum abbilden lรคsst.
Wie begrรผndet die Politik ihren Vorstoร?
Im Regierungsbรผndnis wird auf den Grundsatz โPrรคvention vor Reha vor Renteโ verwiesen. Das RehaโSystem solle besser verzahnt, Verfahren digitalisiert und ein bundeseinheitliches FallโManagement aufgebaut werden. In Interviews verteidigt das Arbeitsministerium die Plรคne als โAktivierungsoffensiveโ, die niemanden an den Rand drรคngen, sondern faire Chancen erรถffnen solle.
Zugleich soll das Rentenniveau bis 2031 stabil bei 48ย Prozent gehalten werden โ eine Zusage, die Milliarden kostet und Einsparpotenziale in anderen Bereichen umso verlockender erscheinen lรคsst.
Welche Sorgen รคuรern Betroffene und Experten?
โDas Vorhaben kann zur RehaโPflicht mit dem versteckten Ziel werden, Renten zu entziehenโ, warnt Frank Weise, gerichtlich zugelassener Rentenberater bei “Rentenbescheid24”.
Menschen, die ihre Rente erst nach GutachtenโMarathons und Gerichtsverfahren erstritten haben, fรผrchten eine neue Runde psychischer Belastungen.
Kommt es zu einer ablehnenden Neubewertung, droht nicht nur Einkommensverlust. Oft geht es auch um das Scheitern bewรคltigter Lebenskrisen, denn die EMโRente sichert hรคufig Therapiefortschritte und eine mรผhsam erreichte Alltagsstabilitรคt ab.
Welche Rolle kann die Rehabilitation kรผnftig spielen?
Medizinische Reha ist erwiesenermaรen erfolgreich, wenn sie frรผh einsetzt und passgenau erfolgt. Doch ihr Charakter รคndert sich, sobald sie Voraussetzung fรผr den Rentenbezug wird. RehaโKliniken mรผssten dann zugleich behandeln und begutachten, was das Vertrauensverhรคltnis zwischen Patient und Therapeut belastet.
Selbst die Deutsche Rentenversicherung spricht in einer aktuellen Pressemitteilung von der Notwendigkeit โklarer Spielregelnโ, um die Unabhรคngigkeit rehabilitativer Maรnahmen zu schรผtzen.
Was sagen Rentenversicherung und Wirtschaftswissenschaftler?
Offiziell begrรผรt die DRV den politischen Fokus auf Rehabilitation, erinnert jedoch daran, dass die Rentenkasse selbst kein reines Sparinstrument sein dรผrfe.
Wirtschaftsweise wie Prof.ย Veronikaย Grimm kritisieren hingegen, die Koalition schiebe notwendige Strukturreformen auf und setze mit kostspieligen Rentenzusagen falsche Prioritรคten.
Fรผr sie ist der RehaโPassus Teil einer Strategie, kurzโ bis mittelfristig Ausgaben zu dรคmpfen, ohne das demografische Grundproblem anzugehen.
Unklar, ob RehaโAufforderungen verpflichtend oder nur โdringende Empfehlungenโ sein werden
Bis zur Vorlage eines Gesetzentwurfs ist unklar, ob RehaโAufforderungen verpflichtend oder nur โdringende Empfehlungenโ sein werden, wie viele Nachuntersuchungen vorgesehen sind und welche Rechtsmittel Betroffenen zustehen.
Sozialverbรคnde fordern deshalb eine Beteiligung der Betroffenenverbรคnde an der Ausarbeitung konkreter Regelungen. Transparente Verfahren, ein klares Abgrenzungskriterium zwischen Therapie und Begutachtung sowie ein Ausbau psychosozialer Nachsorge gelten als Mindestvoraussetzungen, um das Vertrauen in die Reform nicht von Beginn an zu verspielen.