Bürgermeister entfernt persönlich Anti-Obdachlosen-Bänke

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In Dornbirn / Österreich hat Bürgermeister Markus Fäßler von der SPÖ mit einer kleinen, aber symbolträchtigen Handlung eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen. Er entfernte eigenhändig jene hölzernen Trennkeile von mehreren Sitzbänken, die verhindern sollten, dass obdachlose Menschen darauf liegen oder schlafen.

Was zunächst wie eine technische Anpassung wirkt, entpuppt sich als klare Botschaft: Ausgrenzung hat im öffentlichen Raum keinen Platz, und Städte sind auch für diejenigen da, die kein Dach über dem Kopf haben.

In Dornbirn wächst der Widerstand gegen ausgrenzende Gestaltung

Mit seinem entschlossenen Handeln greift Fäßler eine Entwicklung auf, die längst viele europäische Städte betrifft. Die Gestaltung öffentlicher Räume wird zunehmend zum politischen Feld – und zum Spiegel gesellschaftlicher Haltung. Während manche Kommunen auf schwer erkennbare, aber wirkmächtige Abwehrmechanismen gegen die Ärmsten der Gesellschaft setzen, öffnet Dornbirn bewusst Räume und sendet damit ein Gegenbild zu dieser wachsenden Tendenz.

Defensive Architektur – Gestaltung mit weitreichenden Folgen

Die entfernten Trennelemente symbolisieren ein Phänomen, das sich weltweit ausbreitet: defensive oder feindliche Architektur. Sie umfasst bauliche Maßnahmen, die bestimmte Personengruppen aus angrenzenden Bereichen verdrängen sollen, ohne dies offen zu benennen.

Unterteilte Sitzflächen, schräg montierte Bänke oder Metallstifte auf Mauern verhindern das Liegen, Schlafen oder Verweilen – und treffen gezielt Menschen, die ohnehin am Rand der Gesellschaft stehen.

Hinter der Fassade von Ordnung und Sauberkeit steckt oft ein tiefer gesellschaftlicher Konflikt. Denn solche Maßnahmen verhindern keine Armut und schaffen keine Sicherheit, sondern verschieben soziales Leid aus dem Sichtfeld der Mehrheit. Die Betroffenen verlieren Räume, die sie dringend benötigen – und damit ein Stück Teilhabe.

Beispiele defensiver Architektur in deutschen Städten

Wie stark sich diese Praxis im deutschsprachigen Raum verbreitet hat, zeigen zahlreiche Beispiele. In Hamburg wurden unter Brücken Metallgitter und geneigte Flächen installiert, die Schlafplätze verhindern. Auch Parkbänke mit massiven Mittelstegen und unbenutzbare steinerne Sitzflächen sind dort zum Stadtbild geworden.

Scharfe Kanten in Berlin

Berlin fällt besonders durch Bahnhöfe auf, in denen schräg montierte Sitzflächen, zusätzliche Armlehnen und Einzelsitze aus Stahl das Liegen unmöglich machen. Unter mehreren Brücken tauchten zudem scharfkantige Steinstrukturen auf, die keinen Zweifel an ihrer Funktion lassen.

Schräge Betonflächen und Metallrohre in München und Köln

München setzt auf Trennstege und schmale Einzelsitze, während Unterführungen durch schräg gegossene Betonflächen unbewohnbar gemacht wurden. Köln installierte unter der Zoobrücke schräge Metallrohre, die Schlafplätze verhindern sollen. In Frankfurt ersetzte man frühere Ruhezonen durch geneigte Steinplatten und Einzelsitze ohne Rückenlehnen – das lange Verweilen wird dadurch systematisch unterbunden.

Architektur als stille Sprache gegen die Ärmsten

Diese Maßnahmen zeigen, wie tief sich Ausgrenzung in die Struktur moderner Städte eingeschrieben hat. Architektur wird zur stillen Sprache, und diese Sprache sagt oft mehr über gesellschaftliche Prioritäten aus als politische Programme.

Gestaltung als Barriere statt Brücke

Kritiker warnen seit Jahren, dass defensive Architektur Symptome versteckt, statt Ursachen zu bekämpfen. Metallstifte vertreiben keine Armut. Schräge Bänke lösen keine sozialen Konflikte. Stattdessen verdrängen sie Menschen, die ohnehin kaum sichere Orte finden. Die Stadtgestaltung wird so zur Barriere – für jene, die Schutz und Sichtbarkeit am dringendsten brauchen.

Verbinden oder Spalten?

Städte stehen damit vor einer grundsätzlichen Frage: Gestalten sie Räume, die verbinden, oder solche, die spalten? Dornbirn setzt mit der Entfernung der Trennkeile ein Zeichen für ein anderes Verständnis von Stadtpolitik, das Begegnung über Abschottung stellt.

Ein wichtiges Symbol zur richtigen Zeit

Die Entscheidung des Dornbirner Bürgermeisters fällt in eine Phase zunehmender Polarisierung. In Österreich und Deutschland verzeichnen Sozialverbände eine spürbare Zunahme von Hetze gegen hilfebedürftige Menschen. Politische Debatten stellen Bedürftige immer häufiger unter Generalverdacht oder reduzieren sie auf vermeintliche „Belastungen“.

Mitgefühl wirkt politisch

Das gesellschaftliche Klima wird rauer, Begriffe werden härter, die Menschlichkeit dünner. Ausgrenzende Stadtgestaltungen wirken in diesem Umfeld nicht nur wie bauliche Maßnahmen, sondern wie sichtbare Signale einer Politik der Kälte. Das Eingreifen Fäßlers durchbricht diese Entwicklung: Er zeigt, dass Mitgefühl politisch wirksam werden kann – und muss.

Dornbirn schlägt einen neuen Weg ein

Die Stadt will es nicht bei symbolischen Gesten belassen. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Sozialarbeit, Polizei und Verkehrsplanung soll neue Formen der Stadtgestaltung entwickeln, die Sicherheit gewährleisten, ohne Menschen aus dem öffentlichen Leben zu drängen. Es geht um Räume, die allen offenstehen – auch jenen, die keine Lobby haben.

Dornbirn formuliert damit eine Vision, die weit über die Region hinausreicht: Ein öffentlicher Raum soll nicht zur Barriere werden, sondern ein Ort der Begegnung, der Rücksicht und der Teilhabe bleiben.