Bürgergeld und Armut: Die 5 häufigsten Vorurteile gegen Armutsbetroffene

Lesedauer 4 Minuten

In der gesellschaftlichen Diskussion um Armut und Bürgergeld tauchen immer wieder Vorurteile auf, die nicht der Realität entsprechen. Der Paritätische Gesamtverband hat die häufigsten Vorurteile herausgegriffen und widerlegt.

Vorurteil 1: In Deutschland gibt gibt es keine Armut

Die Behauptung, in Deutschland gäbe es keine Armut, ist falsch. Diese Aussage vermischt die Begriffe absolute und relative Armut. Absolute Armut bedeutet, dass Menschen aus materiellen Gründen ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können. Die Weltbank definiert extreme Armut als einen Zustand, in dem jemand weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag zur Verfügung hat. Das ist das absolute Minimum, das ein Mensch zum Überleben braucht.

In Deutschland sprechen wir dagegen von relativer Armut. Hier steht das Verhältnis der materiellen Ressourcen einer Person zum gesellschaftlichen Wohlstand im Vordergrund. Es geht um die Frage, ob ein Mensch materiell, kulturell und sozial am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann.

Denn je wohlhabender eine Gesellschaft im Durchschnitt ist, desto höher sind auch die Lebenshaltungskosten. Wer in Deutschland in Armut lebt, hat beispielsweise Schwierigkeiten, sich eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu leisten, seinem Kind ein Fahrrad zu kaufen oder eine kaputte Waschmaschine zu ersetzen.

Nach dieser Definition gelten in Deutschland derzeit rund 14,1 Millionen Menschen als arm. Um ein umfassendes Bild der Armutssituation in Deutschland zu erhalten, ist es wichtig, zwischen absoluter und relativer Armut zu unterscheiden. Auch in einem wohlhabenden Land wie Deutschland gibt es Menschen, die mit materiellen Einschränkungen und sozialen Herausforderungen konfrontiert sind.

Vorurteil 2: Arme Menschen geben ihr Geld falsch aus

Dieses Vorurteil zeugt von Unkenntnis der finanziellen Realität von Menschen in Armut. Die Aussage geht davon aus, dass man mit sehr wenig Geld durch einen sparsamen Lebensstil über den Monat kommen kann. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, wie angespannt und belastend die finanzielle Situation armer Menschen tatsächlich ist.

Ein anschauliches Beispiel ist die Situation einer Alleinerziehenden, die mit weniger als 1489 Euro auskommen muss – das ist die Armutsschwelle für einen Einpersonenhaushalt mit einem Kleinkind im Jahr 2021. Diese Person lebt bereits in äußerst sparsamen Verhältnissen und kann sich viele Dinge, die für andere Menschen alltäglich sind und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einfach nicht leisten.

Es ist wichtig zu erkennen, dass sich Menschen in Armut nicht einfach durch einen sparsamen Lebensstil aus dieser Situation befreien können. Die finanziellen Belastungen und Einschränkungen, mit denen sie konfrontiert sind, sind oft erdrückend.

Sie stehen vor der Herausforderung, ihre Grundbedürfnisse zu decken und gleichzeitig den Anforderungen des täglichen Lebens gerecht zu werden. Das Vorurteil, dass arme Menschen problemlos mit wenig Geld auskommen können, blendet diese Realität aus und trägt zur Stigmatisierung und Abwertung von Menschen in Armut bei.

Vorurteil 3: Arme Menschen brauchen einen Job, keine Bürgergeld-Leistungen

Das Vorurteil, arme Menschen bräuchten Arbeit und keine Sozialleistungen, wird in verschiedenen Formen immer wieder geäußert, aber es wird dadurch nicht wahrer.

Es ist zwar richtig, dass Arbeitslosigkeit ein hohes Armutsrisiko darstellt, aber daraus folgt nicht zwangsläufig, dass Arbeit das beste Mittel gegen Armut ist. Für die große Mehrheit der 14 Millionen armen Menschen in Deutschland ist Arbeit kein Weg aus der Armut.

Das liegt daran, dass sie entweder zu jung oder zu alt sind, sich in der Ausbildung befinden oder außerhalb des Arbeitsmarktes mit Sorgearbeit beschäftigt sind. Es gibt auch Menschen, die bereits erwerbstätig sind, was im Jahr 2021 auf mehr als ein Viertel aller Armen zutraf.

Es ist wichtig zu erkennen, dass Armut nicht immer auf fehlende Erwerbstätigkeit zurückzuführen ist. Die strukturellen und individuellen Gründe für Armut sind vielfältig und gehen über Arbeitslosigkeit hinaus.

Es gibt Menschen, die trotz ihres Engagements auf dem Arbeitsmarkt nicht genug verdienen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Es gibt auch Situationen, in denen Menschen aufgrund persönlicher Umstände wie Krankheit, Behinderung oder familiärer Verpflichtungen nicht erwerbstätig sein können.

Daher ist es wichtig, dass wir als Gesellschaft nicht nur auf Beschäftigung als Lösung für Armut setzen, sondern auch die Bedeutung angemessener Sozialleistungen und Unterstützungssysteme anerkennen. Diese können dazu beitragen, denjenigen, die aufgrund ihrer individuellen Lebensumstände nicht erwerbstätig sein können, ein Leben in Würde zu ermöglichen.

Vorurteil 4: Arme Menschen haben nichts zutun

Dieses Vorurteil zeigt ein sehr enges Verständnis von Armut, das der Realität armer Menschen nicht gerecht wird. Es betrachtet Armut ausschließlich im Zusammenhang mit der Integration in den Arbeitsmarkt und vernachlässigt andere Aspekte des Lebens.

Tatsächlich sind arme Menschen auf vielfältige Weise aktiv. Sie engagieren sich ehrenamtlich, pflegen Angehörige und betreuen Kinder. Sie besuchen Schulen, Universitäten oder absolvieren eine Ausbildung.

Wie bereits in der Antwort auf Vorurteil 2 erwähnt, sind sie häufig auch erwerbstätig. Es ist also falsch, pauschal zu behaupten, arme Menschen hätten nichts zu tun. Sie können genauso viel oder wenig beschäftigt sein wie Menschen, die nicht von Armut betroffen sind.

Es ist wichtig, die Vielfalt der Aktivitäten und des Engagements armer Menschen anzuerkennen. Armut bedeutet nicht, untätig zu sein oder keine Verantwortung zu haben. Viele arme Menschen kämpfen hart, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern und ihre Familien zu unterstützen. Sie stehen vor vielfältigen Herausforderungen und müssen oft mehrere Rollen gleichzeitig erfüllen.

Vorurteil 5: Bildung ist das beste Mittel gegen Armut

Dieses Argument wird häufig aus Kreisen der Union oder FDP formuliert. Bildung ist zweifellos ein wirksames Mittel gegen Kinderarmut. Es ist wichtig, das Bildungssystem so zu stärken, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben wie ihre wohlhabenden Altersgenossen.

Problematisch wird es jedoch, wenn diese Aussage dazu benutzt wird, Bildung und Geld gegeneinander auszuspielen. Die Behauptung, arme Kinder bräuchten nicht mehr Geld, sondern nur eine bessere Bildung, ist irreführend.

Tatsächlich ist Geld der schnellste und effektivste Weg, Kinderarmut zu bekämpfen. Ein besseres Bildungssystem unterstützt arme Kinder in ihrer zukünftigen Entwicklung, aber zusätzliches Geld hilft den knapp drei Millionen Kindern in Deutschland, die derzeit in materieller Not leben. Es ermöglicht ihnen, an Aktivitäten teilzunehmen, die für ihre Freunde normal sind, und verringert die langfristigen gesundheitlichen und psychischen Folgen einer Kindheit in Armut.

Es ist wichtig zu wissen, dass sowohl Geld als auch Bildung wichtig sind, um Armut zu bekämpfen. Beide Aspekte sind untrennbar miteinander verknüpft. Ein starkes Bildungssystem eröffnet armen Kindern bessere Zukunftschancen, während zusätzliches Geld ihnen unmittelbar hilft, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen und eine würdige Kindheit zu erleben.

Anstatt Bildung und Geld gegeneinander auszuspielen, sollten wir anerkennen, dass sie gemeinsam wirksam sind. Ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl die Stärkung des Bildungssystems als auch die Bereitstellung finanzieller Ressourcen für arme Familien umfasst, ist der Schlüssel, um Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen und allen Kindern gleiche Chancen auf eine erfolgreiche Zukunft zu ermöglichen.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

Wird geladen ... Wird geladen ...