Wer gesundheitlich nicht mehr arbeiten kann, steht oft vor der Frage: Bürgergeld, Sozialhilfe oder Erwerbsminderungsrente? Die Antwort hängt von zwei Punkten ab: Erwerbsfähigkeit und Versicherungszeiten. Dieser Überblick ordnet die wichtigsten Regeln ein und zeigt, wie Sie bei Unklarheiten vorgehen.
Inhaltsverzeichnis
Erwerbsminderungsrente: Voraussetzungen auf einen Blick
Für eine Rente wegen Erwerbsminderung (EM) genügt nicht allein eine Versicherungszeit von fünf Jahren. In der Regel sind erforderlich:
- Allgemeine Wartezeit von fünf Jahren und
- 36 Monate Pflichtbeiträge innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung.
Es gibt Ausnahmen, etwa die 20-Jahres-Sonderwartezeit bei früh eingetretener voller EM sowie die vorzeitige Wartezeiterfüllung (z. B. volle EM binnen sechs Jahren nach Ausbildungsende plus mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge).
Wer die rentenrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt und hilfebedürftig ist, fällt in der Regel in den Bereich der Sozialhilfe.
Kein Bürgergeld bei fehlender Erwerbsfähigkeit – mit einer wichtigen Ausnahme
Bürgergeld erhält nur, wer erwerbsfähig ist. Als erwerbsfähig gilt, wer mindestens drei Stunden täglich unter üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann. Wer das auf absehbare Zeit nicht kann, ist nicht erwerbsfähig – und hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Bürgergeld.
Ausnahme Bedarfsgemeinschaft: Leben nicht erwerbsfähige Personen in Bedarfsgemeinschaft mit mindestens einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person, können auch sie Bürgergeld erhalten. Diese Konstellation ersetzt das frühere „Sozialgeld“.
Sozialhilfe statt Bürgergeld: Welche Leistung ist zuständig?
Entscheidend ist, ob die volle Erwerbsminderung dauerhaft ist:
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Bescheid prüfen- Dauerhafte volle EM + Hilfebedürftigkeit (außerhalb der BG-Ausnahme): Zuständig ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Viertes Kapitel SGB XII).
- Nicht dauerhafte volle EM (außerhalb der BG-Ausnahme): Zuständig ist die Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel SGB XII).
Bürgergeld während des EM-Verfahrens: AU ist nicht gleich fehlende Erwerbsfähigkeit
Solange keine verbindliche Feststellung der Nicht-Erwerbsfähigkeit vorliegt, bleibt in der Regel das Jobcenter zuständig – auch wenn Sie arbeitsunfähig (AU) geschrieben sind. Arbeitsunfähigkeit bedeutet lediglich, dass Sie Ihre bisherige Tätigkeit vorübergehend nicht ausüben können; sie ersetzt nicht die rechtliche Feststellung, dass Sie weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig sind.
Die Feststellung zur Erwerbsfähigkeit erfolgt nach den Regeln des § 44a SGB II, häufig auf Basis eines Gutachtens (z. B. der Deutschen Rentenversicherung). Erst wenn Nicht-Erwerbsfähigkeit festgestellt ist, wechselt die Zuständigkeit regelmäßig zur Sozialhilfe.
Widerspruch, Klage und laufende Leistungen
Lehnt die Rentenversicherung eine volle EM-Rente ab oder erkennt nur eine teilweise EM an, können Betroffene Widerspruch einlegen und später Klage erheben. Während dieses laufenden Verfahrens bleibt die bisherige Zuständigkeit (meist Jobcenter) in der Regel bestehen – bis eine belastbare Entscheidung zur Erwerbsfähigkeit vorliegt.
Rückwirkende EM-Bewilligung: So werden Leistungen verrechnet
Wird eine EM-Rente rückwirkend bewilligt, rechnen die Leistungsträger (Jobcenter/Sozialamt) in der Regel untereinander ab. Für Betroffene bedeutet das: Es kommt typischerweise nicht zu einer doppelten Belastung durch parallele Rückforderungen und Nachzahlungen; die Behörden klären die Erstattung im Hintergrund.
Praxisfall – so ordnen Sie Ihre Situation richtig ein
Ausgangslage: Eine 62-jährige Betroffene ist laut ärztlichen Unterlagen „dauerhaft arbeitsunfähig“. Seit Jahren erhält sie Bürgergeld, obwohl eine Überleitung ins SGB XII angekündigt war.
Einordnung: „Dauerhaft arbeitsunfähig“ (AU) ist nicht automatisch „nicht erwerbsfähig“ im Sinne des SGB II. Entscheidend ist die formelle Feststellung der Nicht-Erwerbsfähigkeit (i. d. R. per § 44a-Prüfung). Liegt diese vor und besteht Hilfebedürftigkeit, ist regelmäßig das SGB XII zuständig; nur in einer Bedarfsgemeinschaft mit einer erwerbsfähigen Person bleibt Bürgergeld möglich.
Was Sie bei Unklarheiten konkret tun können
- Status klären: Beim Jobcenter schriftlich erfragen, ob eine § 44a-Feststellung zur Erwerbsfähigkeit getroffen wurde.
- Unterlagen sammeln: Aktuelle Befunde, Reha-Berichte, DRV-Bescheide und AU-Nachweise bereitlegen.
- DRV-Bezug prüfen: Läuft ein EM-Verfahren? Wurde ein DRV-Gutachten erstellt? Ergebnis anfordern.
- Zuständigkeit einfordern: Liegt Nicht-Erwerbsfähigkeit vor, die nicht nur vorübergehend ist, schriftlich die Fallabgabe an den zuständigen SGB-XII-Träger verlangen (mit Fristsetzung).
- Beratung sichern: Bei Bedarf Sozialberatungsstelle, Sozialverband oder Fachanwalt für Sozialrecht einbinden (Beratungshilfe prüfen).