Ein aktueller Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG BW, Beschl. v. 28.02.2025 – L 7 AS 507/25 ERB) bringt neue Klarheit für Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz. Das Gericht entschied, dass eine Beschwerde des Jobcenters unzulässig ist, wenn der Streitwert unter 750 Euro liegt und keine wiederkehrenden Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind.
Der Beschluss stärkt die Rechtsposition von Bürgergeld Beziehenden, da er langwierige Beschwerdeverfahren in bestimmten Konstellationen von vornherein ausschließt.
Der Fall betraf eine Antragstellerin, der das Sozialgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 10. Februar 2025 vorläufige Leistungen in Höhe von insgesamt 581,56 Euro zugesprochen hatte. Das Jobcenter legte Beschwerde gegen diese einstweilige Anordnung ein. Die Beschwerde wurde vom LSG als unzulässig verworfen. Zugleich wies das Gericht einen Antrag des Jobcenters auf Berichtigung des ursprünglichen Beschlusses zurück.
Der Sachverhalt im Überblick
In dem Verfahren hatte das Sozialgericht Karlsruhe das Jobcenter verpflichtet, der Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zusätzliche Leistungen nach dem SGB II zu gewähren: 161,00 € für Februar 2025, 98,56 € für März sowie je 161,00 € für April und Mai 2025. Der Gesamtbetrag belief sich damit auf 581,56 Euro.
Gegen diesen Beschluss legte das Jobcenter am 14. Februar 2025 Beschwerde ein. Diese blieb jedoch erfolglos. Das LSG Baden-Württemberg verwarf die Beschwerde am 28. Februar 2025 gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG als unzulässig, weil der Streitwert unterhalb der gesetzlich vorgesehenen Grenze lag.
Darüber hinaus versuchte das Jobcenter, durch einen sogenannten Berichtigungsantrag eine nachträgliche Änderung des Beschlusses zu erreichen. Der Antrag zielte darauf ab, den Tenor des Beschlusses abzuändern – mit dem Argument, der zugesprochene Betrag sei zu hoch angesetzt worden. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt.
Die rechtliche Grundlage: § 172 SGG und § 144 SGG
Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Danach ist eine Beschwerde gegen Beschlüsse des Sozialgerichts im einstweiligen Rechtsschutz ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache eine Berufung nur mit besonderer Zulassung möglich wäre.
Ob eine solche Zulassung notwendig ist, bestimmt sich nach § 144 Abs. 1 SGG. Nach dessen Nr. 1 ist eine Berufung nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage auf Geld, Dienst oder Sachleistungen mehr als 750 Euro beträgt. Eine Ausnahme besteht dann, wenn wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Im konkreten Fall lag der Wert des Beschwerdegegenstands deutlich unter der 750-Euro-Grenze. Es ging zudem lediglich um Leistungen für vier Monate. Damit waren die Voraussetzungen für eine zulässige Beschwerde nicht erfüllt.
Das Gericht stellte klar, dass sich der maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstands danach bemisst, was die Antragstellerin erhalten hat und wogegen sich das Jobcenter konkret wendet. Dabei ist nicht die rechtliche Einordnung der Leistungen entscheidend, sondern der tatsächliche Umfang des zugesprochenen Anspruchs.
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Berichtigungsantrag scheitert ebenfalls
Neben der eigentlichen Beschwerde versuchte das Jobcenter, durch einen Berichtigungsantrag nach § 142 i. V. m. § 138 SGG Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen. Die Argumentation: Der vom Sozialgericht zugesprochene Leistungsbetrag sei fehlerhaft, da zu hoch. Ziel war es, den Tenor des Beschlusses korrigieren zu lassen.
Das LSG wies auch diesen Antrag zurück. Es begründete dies unter anderem mit der Zuständigkeitsfrage: Eine Berichtigung durch das Beschwerdegericht sei jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn das Ausgangsgericht – hier das Sozialgericht Karlsruhe – bereits selbst über den Berichtigungsantrag entschieden habe. Das war der Fall. Das Sozialgericht hatte mit Beschluss vom 26. Februar 2025 die begehrte Berichtigung ausdrücklich abgelehnt.
Die Entscheidung des LSG verweist hierbei auch auf die ständige Rechtsprechung anderer Landessozialgerichte und Kommentarliteratur (u. a. LSG NRW, Beschl. v. 02.08.2018 – L 9 SO 413/18 B ER; MeyerLadewig/Keller/Schmidt, SGGKommentar, § 172 Rn. 6f).
Bedeutung für Eilverfahren im Bürgergeld
Eilverfahren (eA) spielen im Kontext der Grundsicherung nach dem SGB II eine zentrale Rolle – insbesondere dann, wenn Antragsteller\innen kurzfristig auf Leistungen angewiesen sind, etwa zur Deckung des Lebensunterhalts, zur Mietzahlung oder im Fall besonderer Notlagen.
Die Entscheidung des LSG schafft in diesem Bereich Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie. Wenn ein Sozialgericht in einem Eilverfahren unterhalb der 750-Euro-Grenze entscheidet und keine längerfristigen Leistungen betroffen sind, muss nicht damit gerechnet werden, dass ein zeitaufwendiges Beschwerdeverfahren folgt. Für Betroffene bedeutet dies: Der Rechtsfrieden tritt früher ein, das Verfahren endet schneller, die zugesprochenen Leistungen sind gesichert.
Zugleich zeigt die Entscheidung eine Grenze auf, ab der das Jobcenter seine Rechtsmittel mit größerer Sorgfalt prüfen muss. Die bloße Einlegung einer Beschwerde als „Standardreaktion“ auf ablehnende Entscheidungen im Eilverfahren wird durch diese Rechtsprechung infrage gestellt.
Hinweise für Beratungsstellen und Betroffene
Für Beratungsstellen, Sozialrechtsanwälte und Sozialberatungen ergibt sich aus dem LSG-Beschluss ein wertvolles Instrument für die tägliche Arbeit. In Fällen, in denen ein Sozialgericht Leistungen in einem Eilverfahren zugesprochen hat, lohnt sich eine umgehende Prüfung des Streitwerts.
Liegt dieser unterhalb von 750 Euro und werden keine langfristigen Leistungen bewilligt, ist eine Beschwerde durch das Jobcenter gemäß § 172 Abs. 3 SGG grundsätzlich ausgeschlossen.
Sollte dennoch eine Beschwerde eingelegt werden, empfiehlt sich ein frühzeitiger Hinweis auf die einschlägige Rechtslage sowie das Urteil des LSG Baden-Württemberg. So kann das Verfahren beschleunigt und die unzulässige Beschwerde rasch zurückgewiesen werden.
Ebenso relevant ist die Abwehr von Berichtigungsanträgen, die sich inhaltlich gegen die Entscheidung richten. Wenn das Ausgangsgericht bereits eine solche Berichtigung abgelehnt hat, ist eine neuerliche Befassung durch das Rechtsmittelgericht in der Regel nicht mehr möglich.
Was ist eine einstweilige Anordnung (eA)?
Die einstweilige Anordnung ist ein gerichtliches Eilverfahren, das zum Einsatz kommt, wenn eine rasche Entscheidung erforderlich ist. In der Grundsicherung wird sie häufig genutzt, wenn das Jobcenter Leistungen zu Unrecht verweigert oder verzögert.
Ziel ist nicht eine abschließende Klärung der Rechtslage, sondern eine vorläufige Regelung, um eine unzumutbare Härte zu vermeiden. Das Gericht prüft, ob ein Anspruch zumindest wahrscheinlich besteht und ob besondere Eilbedürftigkeit vorliegt. Die endgültige Entscheidung erfolgt später im Hauptsacheverfahren. Bis dahin sorgt die einstweilige Anordnung für eine Sicherstellung existenzieller Leistungen.