Wer Bürgergeld bezieht, spürt jeden Euro. Umso schneller verbreiten sich Hinweise, wonach das Jobcenter angeblich pauschal 30 Euro im Monat für eine Brillenversicherung „übernimmt“.
Gemeint ist dabei in aller Regel nicht, dass das Jobcenter Versicherungsbeiträge auszahlt. Es geht um eine Rechenregel bei der Einkommensanrechnung, die dazu führen kann, dass sich der Bürgergeldanspruch um bis zu 30 Euro erhöht – weil weniger Einkommen angerechnet wird.
Die 30 Euro sind kein Zuschuss, sondern eine Pauschale bei der Einkommensbereinigung
Im Bürgergeld werden Einnahmen nicht eins zu eins vom Bedarf abgezogen. Vor der Anrechnung werden bestimmte Absetzbeträge berücksichtigt. Dazu gehört eine Versicherungspauschale von 30 Euro im Monat für Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Art und Beitragshöhe als angemessen gelten. Rechtsgrundlagen sind § 11b SGB II und die Bürgergeld-Verordnung (§ 6), die diese Pauschbeträge konkretisiert.
Für Volljährige ist diese Pauschale besonders weit gefasst: Sie wird beim Einkommen pauschal berücksichtigt, ohne dass im Regelfall konkrete Versicherungsbeiträge nachgewiesen werden müssen. Für Minderjährige ist die Lage anders.
Bei ihnen gibt es die 30 Euro nicht automatisch, sondern nur, wenn für das Kind selbst ein entsprechender Versicherungsschutz besteht. Genau an dieser Stelle kommt in manchen Ratgebern die Idee ins Spiel, eine „Brillenversicherung“ für Jugendliche abzuschließen, um die Pauschale auszulösen.
Brillenversicherung für Jugendliche: rechnerisch attraktiv, in der Praxis häufig angreifbar
Die Idee: Das Kind hat Einkommen, etwa in Form von Kindergeld, Unterhalt oder Waisenrente, das Jobcenter rechnet dieses Einkommen an, und durch den Abschluss einer Brillenversicherung könne dann zusätzlich die 30-Euro-Pauschale abgezogen werden. Dadurch steige der Auszahlbetrag beim Bürgergeld rechnerisch.
So glatt ist es in der Praxis oft nicht. Denn die Pauschale setzt voraus, dass es sich um eine private Versicherung handelt, die nach „Grund und Höhe“ angemessen ist.
In den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit wird gerade bei Minderjährigen betont, dass an die Angemessenheit nach dem Grund der Versicherung hohe Anforderungen zu stellen sind. Dort findet sich auch ein sehr deutlicher Hinweis, dass eine zusätzliche Krankenversicherung für ein Kind als nicht angemessen angesehen wird.
Eine Brillenversicherung ist zwar kein Vollersatz für eine Krankenversicherung, sie ist aber typischerweise ein Zusatzschutz rund um Sehhilfen und wird häufig als Ergänzungstarif im Gesundheitsbereich vermarktet.
Genau deshalb besteht ein reales Risiko, dass Jobcenter sie als „zusätzliche Krankenversicherung“ einordnen und die Pauschale bei Minderjährigen ablehnen.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der oft übersehen wird: Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich einen Anspruch auf Sehhilfen.
Wer also allein wegen der 30-Euro-Pauschale eine Brillenversicherung abschließt, zahlt möglicherweise Beiträge für einen Zusatzschutz, der in wesentlichen Teilen gar keinen echten Bedarf abdeckt oder aus Sicht des Jobcenters nicht begründbar ist. Dann bleibt am Ende unter Umständen ein Versicherungsvertrag – ohne den erhofften Effekt beim Bürgergeld.
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Bescheid prüfenWann die 30 Euro überhaupt wirken und wann nicht
Die Pauschale kann nur dann etwas verändern, wenn es anrechenbares Einkommen gibt. Wer ausschließlich Bürgergeld erhält und kein Einkommen hat, bekommt durch die 30-Euro-Regel keinen zusätzlichen Betrag.
Außerdem verschwindet der Effekt häufig dort, wo ohnehin schon ein Grundabsetzbetrag beim Erwerbseinkommen greift.
In vielen Fällen ist die Versicherungspauschale in diesem Grundabsetzbetrag bereits enthalten, sodass sie nicht noch einmal „oben drauf“ angesetzt wird.
Relevant wird die 30-Euro-Pauschale daher vor allem bei Einkommen, das nicht aus Erwerbstätigkeit stammt, oder in Konstellationen mit Kindeseinkommen, bei denen die Absetzbeträge sorgfältig geprüft werden müssen.
Ein wichtiger Einschnitt kommt außerdem mit der Volljährigkeit. Nach den fachlichen Hinweisen kann die Pauschale bei volljährigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft pauschal abgezogen werden und sogar beim Kindergeld eines 18- bis 24-jährigen Kindes berücksichtigt werden.
Das bedeutet: Spätestens ab 18 ist für viele Familien kein „Versicherungs-Trick“ mehr nötig, weil die Pauschale ohnehin im System angelegt ist – sofern überhaupt Einkommen anzurechnen ist.
Die eigentliche Brillenfrage: Wer zahlt die Sehhilfe, wenn das Geld nicht reicht?
Die Debatte über eine Brillenversicherung verdeckt oft das Hauptproblem: Eine neue Brille kann schnell teuer werden, und die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt Kosten bei Erwachsenen nur in bestimmten Ausnahmefällen. Bei Erwachsenen besteht ein Anspruch auf therapeutische Sehhilfen nur unter klar definierten Voraussetzungen; außerdem umfasst der Anspruch ausdrücklich nicht die Kosten des Brillengestells. Für viele Betroffene bleibt damit ein erheblicher Eigenanteil.
Im Bürgergeldsystem gilt grundsätzlich: Bedarfe für Gesundheit und Sehhilfen sind in den Regelbedarfen nur in sehr kleinen Anteilen einkalkuliert. Das führt dazu, dass Jobcenter eine Brillen-Neuanschaffung häufig als aus dem Regelsatz zu bestreiten ansehen.
Gleichwohl gibt es in der Praxis Konstellationen, in denen eine Unterstützung möglich ist, etwa bei Reparaturen als einmaligem Bedarf oder in besonderen gesundheitlichen Situationen, in denen wiederkehrende Anschaffungen wegen einer chronischen Augenerkrankung entstehen.
Auch Darlehenslösungen können – je nach Einzelfall – eine Rolle spielen. Welche Variante tragfähig ist, hängt stark von medizinischen Nachweisen, der Dringlichkeit und der Einordnung als Reparatur oder Neuanschaffung ab.
Was sich aus der 30-Euro-Diskussion ableiten lässt
Die 30-Euro-Pauschale ist ein Mittel der Einkommensbereinigung, keine zweckgebundene Hilfe für Brillen. Als „Brillenversicherung wird vom Jobcenter bezahlt“ stimmt das so nicht. Wer das Modell bei Minderjährigen über eine Brillenversicherung nutzen will, sollte damit rechnen, dass das Jobcenter die Angemessenheit hinterfragt und den Abzug verweigert.
In der Realität ist der deutlich stabilere Weg, die tatsächlichen Leistungsansprüche bei Sehhilfen über Krankenkasse, Hilfsmittelrecht und – falls nötig – über die im SGB II vorgesehenen Sonderkonstellationen zu prüfen, statt auf einen pauschalen Recheneffekt zu setzen, der im Einzelfall wegfallen kann.
Quellen
Bürgergeld-Verordnung, § 6 „Pauschbeträge für vom Einkommen abzusetzende Beträge“ (30-Euro-Pauschale für private Versicherungen, Differenzierung Volljährige/Minderjährige).




