Die Diskussion um das Bürgergeld wird momentan stark von dem Vorwurf dominiert, es gäbe viele, die bewusst nicht arbeiten wollen. Tatsächlich fordern einige Politiker drastische Maßnahmen – bis hin zur Komplettstreichung des Bürgergelds. Aber wie viele sogenannte „Totalverweigerer“ gibt es in Deutschland wirklich?
Streit ums Bürgergeld: Wie viele Arbeitsverweigerer gibt es überhaupt?
Aktuell beziehen rund vier Millionen erwerbsfähige Menschen Bürgergeld, davon etwa 370.000 in Baden-Württemberg. Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) können jedoch nicht alle tatsächlich arbeiten. Die Gründe reichen von Krankheit über Pflegeverpflichtungen bis zu fehlenden Betreuungsmöglichkeiten.
Im Kern geht es um 1,7 Millionen Personen, die grundsätzlich vermittelbar wären – allerdings oft mit „Vermittlungshemmnissen“, wie fehlender Ausbildung, höherem Alter oder körperlichen Einschränkungen.
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Die Zahl der Totalverweigerer
Die BA nennt für das vergangene Jahr etwa 16.000 Personen, die alle Jobangebote oder Weiterbildungsmaßnahmen kategorisch ablehnten. Das entspricht nur einem Bruchteil der Menschen, die Bürgergeld beziehen. Dennoch ist diese Zahl zum Zankapfel in der Politik geworden.
Hintergründe: Warum Arbeit nicht angenommen wird
Experten der Wohlfahrtspflege – wie Tanja Herbrik von der Diakonie Württemberg – beobachten hauptsächlich Fälle, in denen Menschen arbeiten wollen, aber kaum eine Chance bekommen. Ein Beispiel ist der 58-jährige Dietmar Decker aus dem Kreis Esslingen, der trotz diverser Zusatzqualifizierungen und Umschulungen keinen Job findet.
Er mutmaßt, dass seine angeborene Gehbehinderung eine Rolle spielt. Um nicht tatenlos zu sein, engagiert er sich ehrenamtlich in Tafelläden – unbezahlt, aber sinnvoll für ihn und andere.
CDU-Vorschlag: Vollständige Streichung des Bürgergelds bei Arbeitsverweigerung?
Carsten Linnemann (CDU) geht mit seiner Forderung an die Öffentlichkeit, dass bei grundsätzlicher Ablehnung jeglicher Beschäftigung das Bürgergeld komplett gekappt werden soll. Er beruft sich dabei auf die Annahme, es gebe mehr als 100.000 Arbeitsverweigerer.
Kritiker bezweifeln diese Zahl jedoch: SPD-Abgeordnete wie Martin Rosemann aus Tübingen sprechen von „blankem Populismus“. Auch Beate Müller-Gemmeke (Grüne) stuft die Behauptung als nicht fundiert ein und verweist auf die 16.000 offiziell erfassten Totalverweigerer.
Politische Fronten: Wie die Parteien das Bürgergeld verändern wollen
Die Bundesregierung plant ohnehin, strengere Vorschriften einzuführen. Künftig soll es beispielsweise akzeptiert werden müssen, länger zur Arbeit zu pendeln. Zudem wird eine 30-prozentige Kürzung für drei Monate erwogen, wenn zumutbare Stellen grundlos abgelehnt werden.
Wer Schwarzarbeit betreibt, soll ebenfalls sanktioniert werden. Gleichzeitig bleibt jedoch das Existenzminimum laut Bundesverfassungsgericht unantastbar. Komplette Streichungen sind daher nur in extremen Ausnahmefällen legal.
Auch das Land Baden-Württemberg ist aktiv: Die CDU-Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut fordert radikalere Reformen, weil sie das Bürgergeld für teuer und ineffizient hält. Ob sich diese Forderungen durchsetzen, ist offen, da das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen für Kürzungen setzt.
Bereits jetzt können Jobcenter das Bürgergeld für maximal zwei Monate ganz streichen, wenn jemand sich beharrlich weigert, überhaupt zu arbeiten.
Ehrenamt statt Erwerbsarbeit: Die Situation von Betroffenen
Der Fall von Dietmar Decker verdeutlicht, dass manche Menschen trotz intensiver Bemühungen keinen Einstieg mehr in den regulären Arbeitsmarkt finden. Seine ehrenamtliche Arbeit dient ihm nicht nur als sinnvoller Zeitvertreib, sondern auch als sozialer Anker.
Viele Betroffene wollen grundsätzlich unabhängig sein und eigenes Geld verdienen. Härtefälle wie schwere Krankheiten, Pflege von Angehörigen oder andere persönliche Umstände stehen einer Jobaufnahme jedoch oft im Weg.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.