Die Einführung des Bürgergeldes sollte -im Vergleich zu Hartz IV- besonders die Beratung und Vermittlung der Arbeitssuchenden verbessern. Mit dem Bürgergeld sind nicht mehr EU und die Länder, sondern der Bund für die Beratung zuständig. Damit könnten diverse Förderprojekte der Bundesländer auslaufen, und dies bedeutet allein in Thüringen voraussichtlich das Aus für hundert Berater/innen.
Mitarbeiter / innen in Förderprojekten wird zwar durch die Regierung in Thüringen suggeriert, „man versuche, einen Teil der Richtlinien beibehalten und suche nach einer Lösung“. Doch wie diese aussehen soll, ist ebenso unklar wie unsicher.
Jobcentern werden Mittel gekürzt
Theoretisch wäre zwar eine Umstrukturierung denkbar, in der die Beratungsstellen erhalten bleiben, und die zuständigen Berater/innen in Zukunft unter Leitung der Jobcenter arbeiten.
Doch 2024 werden bundesweit den Jobcentern 500 Millionen Euro gekürzt. Jobcenter wie Frankfurt am Main kündigten bereits an, dass keine freien Stellen ausgeschrieben und zeitlich begrenzte Stellen auslaufen.
Voraussichtlich haben die Jobcenter also überhaupt keine Kapazitäten, die derzeit noch vorhandenen Förderprojekte, die die Länder und die EU finanzieren, zu integrieren. Für Langzeitarbeitslose ist das Ende solcher Förderungen eine Katastrophe.
Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit
Als langzeitarbeitslos gilt, wer länger als ein Jahr arbeitslos ist. Für schwere Fälle gibt es keine klare Definition, generell fallen darunter Menschen, die seit fünf Jahren oder länger keiner regulären Erwerbstätigkeit nachgehen.
Hier gilt die Regel: Je länger jemand ohne Arbeit ist, desto schwer fällt es, wieder in Arbeit zu kommen, und umgekehrt. Je kürzer jemand aus dem Job draußen ist, desto schneller ist er auch wieder drinnen.
Rechtspopulisten stellen die Betroffenen als „faul“ dar und wollen sie zur Arbeitspflicht in den Gemeinden zwingen. Doch jeder und jede, der oder die diese Menschen berät, weiß, dass die Probleme fast immer woanders liegen.
So gut wie alle von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen trauen sich nicht mehr zu, beruflich etwas zu erreichen. Fallmanager /innen stehen darum erst einmal vor der Aufgabe, Vertrauen auf Augenhöhe zu schaffen und dieser Menschen zu zeigen, dass sie weder wertlos noch allein sind.
Psychische Probleme und prekäre Qualifikation
Sehr viele Langzeitarbeitslose schleppen einen Berg von Problemen mit sich. Das können Schulden sein, dysfunktionale Beziehungen, aber auch psychische Probleme wie Angststörungen oder Depressionen, die sowohl in die Arbeitslosigkeit führten, wie sie durch diese verstärkt werden.
Manche haben körperliche Einschränkungen, durch die sie in ihrem Beruf nicht mehr arbeiten können, anderen fehlt eine Berufsqualifikation. Wieder andere übten einen Beruf ausgeübt, der der Digitalisierung zum Opfer gefallen ist, oder heute solcher Skills bedarf, in denen die „alten Hasen“ nicht mehr gefragt sind.
Manche hatten Spezialtätigkeiten, bei denen nach dem Ende der alten Stelle keine andere in Sicht war – sei es die Tibetologin oder die Chorleiterin.
Sonderprogramme der Agentur für Arbeit
Das Bewusstsein über das besondere Problem, die Menschen haben, die sechs oder mehr Jahre arbeitslos sind, ist der Bundesagentur für Arbeit bewusst. Deshalb zahlen die Jobcentern Arbeitgeber/innen, die Betroffene einstellen, über fünf Jahre hinweg finanzielle Zuschüsse und übernehmen für die ersten zwei Jahre die Lohnkosten, finanzieren Fortbildungen und betreuen die Betroffenen auch, wenn diese eine reguläre Arbeit haben.
Coaching und Psychologie
Im Jobcenter Lichtenberg zum Beispiel arbeitet ein „Aktiv-Team“ daran, Langzeitarbeitslosen reguläre Arbeit zu vermitteln. Die 14 Mitarbeiter/innen kommen aus Psychologie und Sozialpädagogik.
Bei Maßnahmen, wird erst einmal analysiert, welche Probleme zuerst gelöst werden müssen. Oft brauchen Betroffene Betreuung, um den Alltag zu organisieren, ebenso wie Hilfe bei Bewerbungsschreiben oder eine psychosoziale Therapie wegen starken Prüfungsängsten.
Warum sind die auslaufenden Förderprojekte notwendig?
Langzeitarbeitslose, die über die auslaufenden Förderprojekte in Thüringen vom MDR befragt wurden, empfinden diese als Anker in ihrem Leben, ohne den sie keine Anlaufstelle hätten. Die Berater/innen sind mit den Situationen der Betroffenen vertraut, und die Betroffenen vertrauen ihnen.
Es ist für diese Langzeitarbeitslosen nicht nur ein Fall ins Bodenlose, wenn die Betreuung komplett wegfällt, sondern auch ein Ersatz kann diese Vertrauensbasis nicht ausgleichen.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.