Das Bundesarbeitsministerium will den Druck auf Bürgergeld-Beziehende deutlich erhöhen. Alleinstehende sollen künftig verpflichtet werden, Vollzeit zu arbeiten – selbstständige Leistungsbezieher nach spätestens einem Jahr.
Was wie ein pragmatischer Schritt gegen Langzeitarbeitslosigkeit erscheint, könnte in der Praxis vor allem eines bedeuten: Mehr Zwang, mehr Kontrolle – und weniger individuelle Lebensplanung.
Die neue Linie: Fördern war gestern, jetzt wird gefordert
Mit dem „Dreizehnten Gesetz zur Änderung des SGB II“ setzt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Konfrontation. Der bislang oft beschworene „Kooperationsansatz“ soll durch mehr Verbindlichkeit ersetzt werden. Besonders auffällig: § 2 SGB II wird verschärft.
Leistungsberechtigte sollen ihre Arbeitskraft künftig „im maximal zumutbaren Umfang“ einsetzen – für Alleinstehende bedeutet das im Klartext: Vollzeit oder nichts.
Noch weiter geht die Neuregelung für Selbstständige: Wer nach einem Jahr weiterhin Bürgergeld bezieht, muss sich auf eine sogenannte „Zumutbarkeitsprüfung“ einstellen.
Wenn das Einkommen aus der Selbstständigkeit nicht reicht, soll das Jobcenter prüfen, ob eine andere Arbeit – etwa im Angestelltenverhältnis – zugemutet werden kann.
Ein Paradigmenwechsel mit Signalwirkung
Offiziell wird die neue Linie mit dem Ziel begründet, Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden, Erwerbsarbeit zu stärken und Fachkräfteengpässe zu mildern. Doch hinter der Reform steckt ein klares Misstrauen gegenüber Leistungsbeziehenden.
Wer allein lebt, gilt offenbar automatisch als voll belastbar. Die individuelle Lebenssituation? Spielt kaum noch eine Rolle.
Während Partner oder Alleinerziehende unter bestimmten Bedingungen weiterhin Teilzeit arbeiten dürfen, trifft die neue Vollzeitpflicht ausgerechnet jene besonders hart, die keine familiären oder sozialen Puffer haben – darunter viele mit gesundheitlichen Einschränkungen oder belastenden Erwerbsbiografien.
Selbstständige im Visier: Der Rückzug auf Raten
Besonders umstritten ist der geplante Umgang mit Selbstständigen im Bürgergeldbezug. Schon jetzt sind viele Solo-Selbstständige durch schwankende Einnahmen und gestiegene Betriebskosten belastet.
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Bescheid prüfenDer neue Gesetzentwurf setzt sie zusätzlich unter Druck: Wer nach einem Jahr im Leistungsbezug nicht genug verdient, muss sich auf einen Wechsel in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis einstellen – notfalls gegen den eigenen Willen.
Das BMAS verkauft dies als „Vermeidung langfristiger Hilfebedürftigkeit“. Kritiker sehen darin jedoch einen schleichenden Rückbau der geförderten Selbstständigkeit – und einen Angriff auf unternehmerische Freiheit.
Was droht bei Verweigerung?
Die Jobcenter sollen künftig Verpflichtungen zur Arbeitsaufnahme schneller und ohne große Umwege per Verwaltungsakt durchsetzen können. Wer sich weigert oder Termine versäumt, muss mit deutlich verschärften Sanktionen rechnen.
Bei Arbeitsverweigerung kann sogar der gesamte Regelbedarf gestrichen werden – lediglich Unterkunftskosten werden dann direkt an den Vermieter gezahlt.
Für viele bedeutet das: Wer die „Pflicht zur Vollzeit“ nicht erfüllt, riskiert den kompletten Verlust der Existenzsicherung. Dabei ist unklar, wie mit gesundheitlichen Einschränkungen, psychischen Belastungen oder schwer vermittelbaren Berufsprofilen umgegangen werden soll.
Ein Gesetz gegen die Realität?
Der Arbeitsmarkt ist längst nicht so aufnahmefähig, wie es die Reform glauben machen will. In vielen Regionen fehlen nicht nur Jobs, sondern auch Qualifizierungsangebote, flexible Beschäftigungsmodelle oder gesundheitlich angepasste Tätigkeiten. Die pauschale Verpflichtung zur Vollzeitarbeit ignoriert diese Realitäten – und trifft vulnerable Gruppen besonders hart.
Wer sich heute aus guten Gründen für eine selbstständige Tätigkeit entscheidet – etwa zur besseren Vereinbarkeit mit der Pflege Angehöriger oder gesundheitlicher Rücksichtnahme – wird bald zum Risikoempfänger abgestempelt.
Fazit: Klare Linie – aber fragwürdige Gerechtigkeit
Die geplante Reform mag fiskalisch sinnvoll erscheinen – politisch und sozial ist sie ein Drahtseilakt. Die Balance zwischen Fordern und Fördern droht endgültig zu kippen. Die Jobcenter werden nicht nur zu Vermittlern, sondern zu Durchsetzungsinstanzen. Und Bürgergeld-Beziehende, die nicht in das neue Raster passen, könnten in Zukunft noch stärker unter Druck geraten.
Was fehlt, ist ein differenzierter Blick auf Lebensrealitäten, auf gesundheitliche Belastungen, auf biografische Brüche. Stattdessen setzt das Gesetz auf maximale Verwertbarkeit der Arbeitskraft. Und riskiert dabei, genau jene zu verlieren, die eigentlich Unterstützung bräuchten.




