Viele Betroffene erleben es nach einer langen Erkrankung gleich doppelt: Erst fällt das Gehalt weg und wird durch Krankengeld ersetzt, Monate später folgt ein Steuerbescheid mit Nachzahlung.
Der Effekt überrascht, weil Krankengeld steuerfrei ist – er hat aber System. Der Mechanismus dahinter heißt „Progressionsvorbehalt“ und greift typischerweise in genau den Jahren, in denen Einkommen aus Arbeit nur zeitweise fließt und Krankengeld den Rest des Jahres überbrückt.
Krankengeld: Anspruch, Höhe und Dauer
Nach sechs Wochen Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber übernimmt die gesetzliche Krankenkasse mit dem Krankengeld. Es beträgt in der Regel 70 Prozent des Bruttoeinkommens, höchstens jedoch 90 Prozent des Nettoentgelts, und ist durch einen gesetzlichen Höchstbetrag gedeckelt. Gezahlt wird – bezogen auf dieselbe Krankheit – grundsätzlich bis zu 72 Wochen innerhalb von drei Jahren. Für 2025 liegt der maximale Tagessatz bei 128,63 Euro.
Steuerfrei – und doch steuersensibel: der Progressionsvorbehalt
Krankengeld ist steuerfrei, erhöht aber den Steuersatz auf Ihr übriges zu versteuerndes Einkommen. Juristisch wird das Krankengeld bei der Ermittlung des persönlichen Steuersatzes fiktiv hinzugerechnet; der so ermittelte – in der Regel höhere – Steuersatz wird anschließend auf das tatsächlich zu versteuernde Einkommen angewendet.
Das führt häufig zu einer Nachzahlung, weil während des Arbeitslohns nur die reguläre Lohnsteuer ohne diesen Progressionseffekt einbehalten wurde. Rechtsgrundlage ist § 32b Einkommensteuergesetz.
Warum die Nachzahlung oft erst im Folgejahr kommt
Während des Jahres fließt auf den Arbeitslohn Lohnsteuer ab; auf Krankengeld wird keine Steuer einbehalten. Der Progressionsvorbehalt wird erst mit der Einkommensteuerveranlagung für das Kalenderjahr „kassiert“. Viele Betroffene haben also in einem Teil des Jahres regulären Arbeitslohn bezogen und im anderen Teil Krankengeld – das Finanzamt rechnet beides am Ende zusammen und korrigiert die Steuerlast nach oben. Genau dann entsteht die Nachzahlung.
Abgabepflicht: Wer Krankengeld bezieht, muss in der Regel eine Steuererklärung abgeben
Wer im Kalenderjahr Lohnersatzleistungen, darunter Krankengeld, von mehr als 410 Euro erhält, ist grundsätzlich zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet.
Diese Grenze ist eine Freigrenze; wird sie überschritten, greift die Pflicht. Grundlage ist § 46 EStG; die Finanzverwaltung erläutert dies in ihren Informationen zur Veranlagungspflicht.
Typische Konstellationen mit spürbarer Nachzahlung
Besonders ausgeprägt ist der Effekt in Jahren mit „gemischten“ Einkünften, etwa wenn bis zum Frühjahr normaler Lohn floss und anschließend viele Monate Krankengeld. Auch Konstellationen mit Steuerklasse V können den Eindruck verstärken, weil hier die laufende Lohnsteuer ohnehin knapp bemessen ist und die Progression im Nachhinein zusätzlich wirkt.
Werden zudem Einmalzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld noch vor Beginn des Krankengeldbezugs ausgezahlt, kann das den Durchschnittssteuersatz weiter erhöhen – mit Folgen für die Schlussrechnung.
Ein Beispiel mit Erfahrungen aus der Praxis
Angenommen, jemand verdient in den ersten vier Monaten regulär und erhält in den restlichen acht Monaten Krankengeld. Ohne Krankengeld ergäbe sich aus dem Teiljahreslohn ein bestimmter Durchschnittssteuersatz. Für den Progressionsvorbehalt wird nun so gerechnet, als ob zum Lohn zusätzlich das gesamte Krankengeld steuerpflichtig wäre.
Der dadurch höhere Durchschnittssteuersatz wird dann auf das tatsächlich zu versteuernde Einkommen (also ohne das Krankengeld) angewandt.
Die Differenz zur bereits einbehaltenen Lohnsteuer ist die Nachzahlung. Das Verfahren ist gesetzlich vorgegeben; der Rechenschritt selbst ändert nichts daran, dass das Krankengeld steuerfrei bleibt.
Sonderfälle: Privatversicherte und Rentennachzahlungen
Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung ist zwar ebenfalls steuerfrei, wird aber nach den Verwaltungsanweisungen im Regelfall nicht in den Progressionsvorbehalt einbezogen.
Umgekehrt gibt es Fallkonstellationen, in denen die Krankenkasse beim Rentenversicherungsträger Erstattungsansprüche hat; dann kann gezahltes Krankengeld ausnahmsweise steuerlich wie Rente behandelt werden.
Die Einkommensteuer-Hinweise des Bundesfinanzministeriums stellen diese Abgrenzung dar. Im Zweifel lohnt der Blick in den Steuerbescheid, welcher Rechtsgrund angewendet wurde.
Zinsen auf Nachzahlungen: wann es teurer wird
Kommt die Veranlagung verspätet zustande oder wird die Steuer erst lange nach Jahresende festgesetzt, fallen unter Umständen Nachzahlungszinsen an. Für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 beträgt der Zinssatz 0,15 Prozent pro Monat (1,8 Prozent pro Jahr).
Der Zinslauf beginnt grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Die Finanzverwaltung erläutert die Regeln zur Vollverzinsung nach § 233a AO.
Welche Unterlagen das Finanzamt kennt – und warum Planung hilft
Lohnersatzleistungen werden den Finanzämtern regelmäßig elektronisch gemeldet; zusätzlich erhalten Versicherte Bescheinigungen ihrer Kasse. Unerwartet ist also selten dass eine Nachzahlung kommt – überraschend ist eher wie hoch sie ausfällt.
Wer bereits im Krankengeldbezug ist, sollte deshalb realistisch kalkulieren, welche Steuerlast am Jahresende entstehen kann, und frühzeitig Rücklagen bilden. Steuerlich absetzbare Ausgaben – von außergewöhnlichen Belastungen bei Krankheitskosten bis zu haushaltsnahen Dienstleistungen – mindern zwar das zu versteuernde Einkommen, ändern aber nicht die Logik des Progressionsvorbehalts selbst.
Praxisempfehlungen, um Überraschungen zu vermeiden
Sinnvoll ist es, während des Krankengeldbezugs monatlich Geld für die absehbare Nachzahlung zurückzulegen.
Wer die Größenordnung genauer abschätzen will, kann mithilfe der öffentlich zugänglichen Progressionsvorbehalt-Rechner der Finanzverwaltung oder mit seriöser Software eine Prognoserechnung erstellen.
Bei gravierenden Änderungen im Jahresverlauf ist eine freiwillige Anpassung von Vorauszahlungen möglich, um Zinsen zu vermeiden; alternativ lässt sich die Nachzahlung beim Finanzamt auf Antrag in Raten begleichen, wenn die Liquidität knapp ist. Für zusammen veranlagte Ehepaare lohnt ein prüfender Blick auf die Steuerklassenwahl im Folgejahr, sobald die Rückkehr in den Job absehbar ist.
Fazit
„Ein Jahr Krankengeld – und dann die Steuernachzahlung“ ist kein Rechenfehler, sondern die Konsequenz einer gesetzlich gewollten Verteilungslogik: Lohnersatzleistungen bleiben steuerfrei, erhöhen aber den Steuersatz auf das übrige Einkommen.
Wer das weiß, kann vorsorgen, Fristen im Blick behalten und die eigene Steuerlast seriös planen – damit die Post vom Finanzamt nach einer langen Krankheit nicht zur dritten Belastungsprobe wird.




