Beirat will die Rente stark einkürzen

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Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat deutliche Einschnitte in der Rentenpolitik angeregt. So empfehlen die Ökonominnen und Ökonomen, das Renteneintrittsalter dynamisch an die steigende Lebenserwartung zu koppeln, hohe Renten stärker nur an der Inflation statt an der Lohnentwicklung zu orientieren und die abschlagsfreie „Rente mit 63“ grundsätzlich abzuschaffen – mit Ausnahmen für gesundheitlich beeinträchtigte Rentenberechtigte.

Zur Begründung verweisen sie auf die wachsenden Belastungen für Staatshaushalt und Beitragszahler sowie auf Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Vergleichbare Forderungen hat der Beirat in früheren Papieren bereits ausführlich begründet.

Wer der Beirat ist – und warum seine Stimme Gewicht hat

Der Wissenschaftliche Beirat berät das Bundeswirtschaftsministerium unabhängig und veröffentlicht regelmäßig Gutachten zu struktur- und ordnungspolitischen Weichenstellungen.

In der Vergangenheit hat das Gremium wiederholt Reformvorschläge zur Alterssicherung vorgelegt, unter anderem zur Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung und zu einer weniger lohn-, stärker inflationsorientierten Rentenanpassung. Diese Vorschläge zielen nicht auf kurzfristige Einsparungen, sondern auf langfristige Finanzierbarkeit und Generationengerechtigkeit.

Was genau soll bei den Renten eingespart werden

Umgesetzt werden soll eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Entwicklung der Lebenserwartung. Je länger Menschen statistisch leben, desto länger – so die Logik – sollten sie im Schnitt arbeiten, damit die Verhältniszahl von Beitragsjahren zu Rentenbezugsjahren stabil bleibt.

In früheren Konzepten wurde als Daumenregel diskutiert, dass zwei Drittel jedes zusätzlichen Lebensjahres der Erwerbsphase zugeschlagen werden könnten, ein Drittel der Ruhestandsphase.

Damit würde die „Rente mit 67“ perspektivisch kein Fixpunkt bleiben, sondern sich graduell weiterentwickeln.

Zweitens raten die Fachleute, hohe laufende Renten künftig vorrangig an der Preis- statt an der Lohnentwicklung zu orientieren.

Diese Umsteuerung soll die Dynamik der Rentenausgaben bremsen und die Belastung künftiger Beitragszahler dämpfen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte werden Varianten diskutiert – von einer generellen Inflationsanpassung bis hin zu Mischformen oder zu einer stärkeren Rolle des Nachhaltigkeitsfaktors.

Drittens steht die „Rente mit 63“ im Fokus. Nach Auffassung vieler Ökonominnen und Ökonomen verstärkt die abschlagsfreie Frühverrentung den Fachkräftemangel und verschiebt Kosten in die Umlage. Eine Beschränkung auf gesundheitlich beeinträchtigte Personen wird daher als zielgenauer und fairer bewertet.

Ähnliche Positionen wurden in den vergangenen Jahren von namhaften Wirtschaftsinstituten und Mitgliedern der Wirtschaftsweisen vertreten.

Demografie, Arbeitsmarkt, Staatsfinanzen

Der demografische Wandel erhöht den Druck auf das umlagefinanzierte System spürbar. Deutschland altert rasant: Bereits heute ist jede fünfte Person 66 Jahre oder älter, und bis Mitte der 2030er Jahre wird die Zahl der Menschen ab 67 Jahren um rund vier Millionen steigen. Die Folge sind steigende Rentenausgaben bei zugleich relativ weniger Erwerbstätigen, die die Beiträge tragen.

Für die Staatsfinanzen bedeuten ungebremst wachsende Zuschüsse in die Rentenkasse weniger Spielraum für Investitionen, Bildung und Klimaschutz. Zudem könnten steigende Lohnnebenkosten die Wettbewerbsfähigkeit belasten, weil sie Arbeit verteuern und Beschäftigung dämpfen.

Vor diesem Hintergrund plädieren auch andere Institutionen – etwa Bundesbank und Sachverständigenrat – für eine Kombination aus höherem Renteneintrittsalter, gezielteren Anreizen zum längeren Arbeiten und einer gedämpften Rentendynamik.

Auswirkungen auf verschiedene Rentnerinnen und Rentner – und Berechtigte

Für Beschäftigte mit langen, körperlich belastenden Erwerbsbiografien sind pauschale Anhebungen sensibel. Genau hier setzt die vorgeschlagene Ausnahme bei gesundheitlichen Einschränkungen an.

Für Gutverdienende mit überdurchschnittlicher Lebenserwartung wirken längere Erwerbsphasen weniger gravierend, während Geringverdienende häufiger früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Die Umstellung auf eher inflationsnahe Anpassungen hoher Bestandsrenten schützt die Kaufkraft, bremst aber reale Zugewinne. Jüngere Beitragszahler profitieren tendenziell von einem stabileren Beitragssatzpfad, älteren Jahrgängen sichern Übergangsregeln Planbarkeit.

Die Verteilungsfrage bleibt damit politisch heikel und verlangt präzise Härtefallklauseln sowie eine Versorgungsprüfung, die Erwerbsbiografien, Gesundheit und Branchenrealitäten abbildet. (Einordnung auf Basis der genannten Gutachten und Debattenbeiträge.)

Arbeitsmarkt und Produktivität: Was flankierend nötig wäre

Längeres Arbeiten setzt gesundes Arbeiten voraus. Prävention, Reha, ergonomische Arbeitsplätze und Qualifizierung im Lebensverlauf sind unabdingbar, damit Beschäftigte nicht nur länger, sondern auch nachhaltig arbeiten können.

Ebenso wichtig sind flexible Übergänge, Teilrentenmodelle und Anreize für Arbeitgeber, Ältere weiterzubeschäftigen. Parallel können Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, bessere Kinderbetreuung sowie weniger Bürokratie die Erwerbsbeteiligung erhöhen und Produktivitätsschübe ermöglichen – Voraussetzungen, damit Reformen nicht nur sparen, sondern Wachstum stützen. Auch diese Punkte werden in der ökonomischen Debatte regelmäßig betont.

Hürden, Konsense, Kompromisse

Rentenpolitik lebt von Verlässlichkeit über Legislaturperioden hinweg. Jede Reform muss übergangsweise Jahrgänge unterscheiden, Bestandsrenten schützen und Vertrauensschutz wahren.

Die Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung ließe sich über eine transparente, automatisch wirkende Formel gestalten, die rechtzeitig kommuniziert wird und Abweichungen nur in klar definierten Krisen zulässt. Die Umstellung der Rentenanpassung verlangte eine gesetzliche Neufassung der Formel und einen breiten politischen Konsens.

Umstritten bleibt, wie stark die „Rente mit 63“ beschnitten wird und wie eng gesundheitliche Ausnahmen definiert sind. Die Erfahrungen anderer Reformrunden zeigen: Ohne flankierende Sozialpolitik und ohne verständliche Kommunikation drohen Akzeptanzprobleme.

Und wie sieht es bei unseren Nachbarn in Sachen Rente aus?

Mehrere europäische Länder haben Mechanismen eingeführt, die das Rentenalter oder die Rentenanpassung automatisch an Demografie und Wirtschaftslage koppeln.

Ziel ist, politisch schwierige Einzeleingriffe durch vorhersehbare Regeln zu ersetzen. Deutschland diskutiert diesen Weg seit Jahren, hat ihn aber bislang nur teilweise beschritten.

Der aktuelle Vorstoß des Beirats reiht sich in diesen Trend ein und will Planbarkeit, Fairness zwischen Generationen und Finanzierbarkeit zusammenführen.

Mögliche Alternativen

Neben den vorgeschlagenen Reformen arbeitet die Forschung an weiteren Stellschrauben: breitere Finanzierungsbasis durch die Einbeziehung weiterer Erwerbstätigengruppen, eine gestärkte kapitalgedeckte Zusatzsäule, eine gezieltere Förderung niedriger Einkommen beim Vorsorgesparen oder eine Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenformel. Keine Option ist ein Allheilmittel; in der Praxis wird es auf eine Kombination ankommen, die soziale Abfederung mit fiskalischer Tragfähigkeit verbindet.