Burnout, Überlastung, ständige Erreichbarkeit: Für immer mehr Beschäftigte wird der Arbeitsplatz zum Risikofaktor für die eigene Gesundheit. Wer permanent an der Leistungsgrenze arbeitet, spürt oft, dass der Körper schneller streikt als die Arbeitswelt sich ändert.
Was aber tun, wenn das Limit überschritten ist, die Motivation im Keller liegt und eine Rückkehr zu normaler Belastbarkeit unrealistisch erscheint?
Viele Betroffene hegen dann den Wunsch nach einem sauberen, finanziell abgefederten Ausstieg. Doch die wenigsten wissen, dass sich auch in scheinbar ausweglosen Situationen durchaus noch eine Abfindung herausholen lässt – vorausgesetzt, man geht strategisch vor. Wie das funktionieren könnte, beantwortet der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange, aus Hannover.
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Überlastung als Wendepunkt
Bis zum Zusammenbruch weitermachen, lautet die unausgesprochene Forderung in manchen Betrieben. Wer innerlich „Stopp“ ruft, genießt nicht selten den Ruf des Querulanten. Dabei ist die Diagnose Burnout längst kein Randphänomen mehr.
Studien des Bundesarbeitsministeriums zeigen seit Jahren, dass psychische Erkrankungen unter allen Gründen für Arbeitsunfähigkeit die höchste Zuwachsrate verzeichnen. Krankenkassen bestätigen den Trend: Die Fehlzeiten aufgrund seelischer Leiden steigen kontinuierlich, und besonders häufig betroffen sind engagierte Leistungsträger – genau jene, die aus Pflichtgefühl stets eine Schippe drauflegen.
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Das arbeitsrechtliche Schutzschild: die Überlastungsanzeige
“Wer die wachsende Last dokumentiert, kann später nicht zum Sündenbock gemacht werden. Das Arbeitsrecht sieht mit der Überlastungsanzeige ein Instrument vor, das Beschäftigte entlastet und Arbeitgeber in die Pflicht nimmt”, sagt der Anwalt.
Schriftlich festgehalten, signalisiert die Anzeige: Die aktuell zugeteilten Aufgaben übersteigen objektiv oder subjektiv die Leistungsfähigkeit. Ohne diesen Schritt laufen Betroffene Gefahr, bei Fehlern oder Verzögerungen plötzlich selbst auf der Anklagebank zu sitzen.
Kommt es zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen wie Abmahnung oder Kündigung, lässt sich mit einer frühzeitig eingereichten Überlastungsanzeige nachweisen, dass der Arbeitgeber in Kenntnis der Umstände handelte – und seine Fürsorgepflicht möglicherweise verletzt hat.
Wenn das Ziel der Ausstieg ist
Viele Leser mögen sich jedoch nicht mehr mit der Idee anfreunden, im gleichen Unternehmen gesund zu werden. Sie wollen weg, und zwar mit einem finanziellen Polster. Genau hier setzt die Taktik an, die Lange skizziert.
Sein Ansatz: Die Überlastungsanzeige nicht allein einreichen, sondern von Beginn an anwaltlich begleiten lassen. Sobald ein Schreiben vom Juristen auf dem Firmenpapier landet, schrillen in Personalabteilungen oft die Alarmglocken – und nicht selten öffnet sich damit der Verhandlungsweg zu einem Aufhebungsvertrag inklusive Abfindung.
Warum Arbeitgeber plötzlich kompromissbereit sind
Unterliegt das Unternehmen dem Kündigungsschutzgesetz, ist eine ordentliche Kündigung schwer durchsetzbar. “Die rechtlichen Hürden steigen zusätzlich, wenn eine dokumentierte Überlastung vorliegt”, so Lange.
Arbeitgeber wissen nämlich: “Kommt es zur Kündigungsschutzklage, drohen langwierige und kostenintensive Verfahren – mit ungewissem Ausgang. Eine vergleichsweise hohe Abfindung kann da das kleinere Übel sein, um Ruhe im Betrieb herzustellen und das Risiko eines Präzedenzfalls zu minimieren”, sagt der Fachanwalt.
Der Weg durch die Verhandlung
Ein erfahrener Anwalt baut Druck auf, ohne die Brücken restlos zu verbrennen. In der Praxis läuft es häufig so: Zuerst landet die Überlastungsanzeige samt anwaltlichem Begleitschreiben auf dem Tisch der Geschäftsführung. Reagiert das Unternehmen nicht mit sofortiger Entlastung, folgt die Ankündigung arbeitsgerichtlicher Schritte. Spätestens jetzt beginnt das Pokern.
Die Höhe der Abfindung richtet sich nach Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Alter, Familienstand, aber auch nach dem Einigungswillen des Arbeitgebers.
Online‑Rechner liefern zwar Orientierungswerte, ersetzen jedoch nicht die individuelle Strategie. Kanzleien, die beide Seiten des Tisches kennen – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer –, können realistisch einschätzen, bei welcher Summe sich das Unternehmen bewegen wird.
Vorsicht vor Eskalationsfallen
So verlockend der goldene Handschlag klingt: Wer unbedacht agiert, riskiert Abzüge. Wutausbrüche, Beleidigungen oder verweigerte Mitarbeit können eine fristlose Kündigung provozieren und die Verhandlungsposition massiv schwächen. Wichtig ist deshalb die juristische Absicherung, bevor emotionale Grenzen überschritten werden. Auch ärztliche Atteste, lückenlose Dokumentation von Arbeitszeiten und E-Mail‑Protokolle erhöhen die Glaubwürdigkeit des eigenen Überlastungsarguments.
Nach dem Deal: gesundheitliche und berufliche Neuorientierung
Eine Abfindung verschafft Zeit zum Durchatmen, heilt aber nicht automatisch die Wunden der Überlastung. Fachärzte raten, den finanziellen Spielraum konsequent für Rehabilitation, Therapie und Neuorientierung zu nutzen.
Wer eine längere Auszeit plant, sollte außerdem die Sperrfrist beim Arbeitslosengeld beachten und sich rechtzeitig mit der Agentur für Arbeit abstimmen, um Nachteile zu vermeiden.
Ein Ausstieg ist kein Scheitern
Den Beruf oder Arbeitgeber zu wechseln, gilt hierzulande noch immer als Makel, wenn die Initiative vom Angestellten ausgeht. Doch in Zeiten rapider Arbeitsverdichtung ist der Schritt häufig die gesündere Option.
Wer seine Leistungsgrenzen kennt und rechtlich klug vorgeht, kann nicht nur eine faire Entschädigung erzielen, sondern auch die Weichen neu stellen – für einen Job, der Leistung und Lebensqualität besser in Einklang bringt.
Fazit: Burnout ist kein Schicksal, dem man tatenlos ausgeliefert ist. Mit einer wohlüberlegten Überlastungsanzeige und professioneller anwaltlicher Begleitung lassen sich aus scheinbar aussichtslosen Situationen noch überraschend gute Ergebnisse erzielen.
Wichtig aber ist, früh die eigenen Rechte zu kennen und konsequent zu nutzen. So wird aus der Krise ein Neubeginn – finanziell abgesichert und mit realer Chance auf nachhaltige Gesundung.