Der Gleichstellungsantrag ist eines der wirksamsten Instrumente im deutschen Arbeitsrecht, wenn es um Kündigungsschutz und um Verhandlungsmacht bei Abfindungen geht. Wer ihn rechtzeitig stellt und klug einsetzt, kann den Arbeitsplatz sichern – oder, wenn der Abschied ohnehin gewollt ist, die Ausgangsposition für eine möglichst hohe Abfindung spürbar verbessern.
Der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange aus Hannover, erklärt, wie Betroffene am besten vorgehen.
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Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen
Gleichstellung bedeutet, dass Beschäftigte mit einem Grad der Behinderung unterhalb der Schwelle zur Schwerbehinderung in zentralen Schutzbereichen so behandelt werden, als wären sie schwerbehindert.
Praktisch wichtig ist das vor allem beim Kündigungsschutz, sagt Lange:” Eine Kündigung ist dann nur noch mit behördlicher Zustimmung möglich. Genau diese Hürde verschiebt die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erheblich – im Kündigungsschutzprozess ebenso wie in Gesprächen über Abwicklungs- oder Aufhebungsverträge.”
Für wen sich der Antrag lohnt
Der Gleichstellungsantrag ist in der Regel einschlägig, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 30, aber weniger als 50 festgestellt ist. Wer bereits einen GdB von 50 erreicht, gilt als schwerbehindert und braucht die Gleichstellung nicht mehr.
Daneben muss ein Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt bestehen, in der Praxis also ein Wohnsitz oder Arbeitsplatz in Deutschland.
“Als dritte Komponente kommt die Frage hinzu, ob die Behinderung den Arbeitsplatz konkret gefährdet oder die Aufnahme beziehungsweise Fortsetzung einer Beschäftigung wesentlich erschwert”, so der Anwalt.
Diese Hürde sollte man pragmatisch betrachten: Absolute Sicherheit im Job gibt es selten.
Weil der Antrag keine Kosten verursacht und eine Ablehnung das Schlimmste ist, was passieren kann, empfiehlt sich die Antragstellung in vielen Grenzfällen.
“In einzelnen Konstellationen kann sogar bei einem geringeren GdB ein frühzeitiger Antrag sinnvoll sein, etwa wenn sich eine Verschlechterung abzeichnet oder der Arbeitsplatz ohnehin als unsicher gilt”, rät der Arbeitsrechtsanwalt.
Der praktische Weg: So läuft die Antragstellung
Die Gleichstellung wird bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt. Das geht persönlich bei der zuständigen Dienststelle oder komfortabel online über die bereitgestellten Formulare. Das Antragsformular fragt zunächst die persönlichen Daten und den festgestellten GdB ab. Es folgen Angaben zum Arbeitsverhältnis und zum Arbeitgeber.
Im Mittelpunkt stehen dann die konkreten Einschränkungen im Arbeitsalltag: Wer glaubhaft schildert, wo Belastungen bestehen, warum etwa Zeitdruck, Schichtarbeit, körperliche Tätigkeiten oder lange Wege problematisch sind, schafft die Grundlage für die Gleichstellung.
Wichtig ist die kurze, nachvollziehbare Darstellung dessen, was man mit dem Antrag erreichen möchte. Wenn der besondere Kündigungsschutz im Vordergrund steht, sollte das so benannt und erläutert werden. Abgefragt werden zudem Fehlzeiten, soweit sie mit der Behinderung zusammenhängen.
Hier gilt Augenmaß sagt Lange: “Weder beschönigen noch dramatisieren, sondern sachlich dokumentieren. Am Ende steht die Unterschrift unter wahrheitsgemäßen Angaben. Falsche Angaben gefährden nicht nur das Verfahren, sie können später im Streitfall erheblich nachteilig wirken.”
Der Effekt: Sonderkündigungsschutz als starkes Druckmittel
Mit der Gleichstellung greift der besondere Kündigungsschutz, der ansonsten schwerbehinderten Menschen zusteht. Arbeitgeber benötigen für eine Kündigung die Zustimmung der zuständigen Behörde. Das ist mehr als eine Formsache – insbesondere wenn die Kündigung in irgendeinem Zusammenhang mit der Behinderung steht.
“Selbst wenn die Behörde am Ende zustimmt, verlängern sich Verfahren, es steigt die Rechtsunsicherheit und die Kostenrisiken wachsen”, sagt der Anwalt im Gespräch mit unserer Redaktion.
“All das erhöht die Vergleichsbereitschaft und damit häufig die Abfindung. Genau deshalb ist die Gleichstellung im „Abfindungspoker“ so wertvoll: Sie verknappt für den Arbeitgeber die gangbaren Optionen und macht einvernehmliche Lösungen attraktiver.”
Zeitpunkt und Taktik: Offenlegen – aber richtig
Eine strategische Frage lautet, wann man den Arbeitgeber über GdB und Gleichstellung informiert.
“Solange keine unmittelbaren Vorteile im Arbeitsalltag zu erwarten sind, entscheiden viele Betroffene zunächst für Diskretion. Spätestens im Fall einer Kündigung ist Tempo gefragt. Maßgeblich ist, dass der Arbeitgeber rechtzeitig informiert wird, damit der besondere Kündigungsschutz greift; in der Praxis orientiert man sich an der dreiwöchigen Klagefrist nach Zugang der Kündigung”, sagt Lange.
Wer den Schutz nutzen will, muss sicherstellen, dass die Information nachweisbar zugeht. “Geeignet sind zum Beispiel die Zustellung durch einen Boten mit späterer Zeugnisfunktion oder die Übergabe gegen Empfangsbestätigung”, rät der Anwalt.
Ob man in besonderen Konstellationen mit der Information taktisch noch wartet, etwa wenn eine Kündigung aus anderen Gründen offensichtlich unwirksam erscheint, sollte man nur nach individueller Prüfung entscheiden.
“Ohne fachliche Begleitung ist Zurückhaltung riskant, weil ein falsches Timing den Sonderkündigungsschutz faktisch entwerten kann”, warnt der Rechtsanwalt.
Offenlegen im laufenden Arbeitsverhältnis: Chancen und Risiken
Die frühe Mitteilung an den Arbeitgeber kann Vorteile bieten, wenn im Betrieb Unterstützung, technische Hilfen oder Umsetzungen auf leidensgerechte Arbeitsplätze realistisch sind. Gerade größere Arbeitgeber verfügen häufig über Strukturen, die Betroffene spürbar entlasten.
In sozialen Auswahlverfahren oder bei Personalabbaurunden lässt sich die besondere Schutzbedürftigkeit zudem positiv berücksichtigen. Dem steht die erfahrungsgesättigte Erkenntnis gegenüber, dass Stigmatisierung möglich ist und die Kenntnis von Gleichstellung und GdB im Unternehmen Vorbehalte auslösen kann.
Diese Ambivalenz spricht dafür, den Kommunikationszeitpunkt bewusst zu wählen und die eigenen Ziele – Arbeitsplatzsicherung, Veränderungswunsch, Verhandlungsstrategie – klar zu definieren.
Auswirkungen auf Abfindung und Verhandlungen
“In laufenden Kündigungsschutzverfahren erhöht die Gleichstellung die Unsicherheiten auf Arbeitgeberseite gleich doppelt, weil nicht nur die Kündigungsgründe, sondern auch die vorgelagerte behördliche Zustimmung angreifbar werden”, so Lange.
Das führt oft zu höheren Vergleichsangeboten: “Bei Aufhebungsverträgen wirkt der Mechanismus ähnlich: Je komplizierter der Weg einer einseitigen Trennung, desto eher zahlt der Arbeitgeber für eine einvernehmliche Lösung. Auch wenn Beschäftigte selbst gehen möchten, kann die Gleichstellung die Verhandlungsposition stärken.”
Wer den Arbeitgeber etwa auf die Pflicht zur Prüfung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes verweist und zugleich die Hürden einer Kündigung in den Raum stellt, schafft Anreize für eine saubere, vergütete Trennung statt einer Eigenkündigung ohne Ausgleich.
In Sozialplan- und Interessenausgleichsverfahren werden schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen regelmäßig besonders berücksichtigt, was sich in Punktesystemen und Faktoren niederschlägt und am Ende die Abfindung zusätzlich erhöht. Sorgfalt in der Umsetzung: Dokumentieren, begründen, belegen.
Für den Erfolg des Antrags zählt die Qualität der Darstellung. “Wer nachvollziehbar erklärt, weshalb die Behinderung die aktuelle Tätigkeit erschwert oder die Beschäftigungsfähigkeit gefährdet, legt das Fundament für die behördliche Entscheidung”, betont Lange.
Dazu gehören stimmige Angaben zur Tätigkeit, konkrete Belastungsbeispiele und – wo vorhanden – ärztliche Unterlagen, die die Funktionsbeeinträchtigungen beschreiben.
Die Behörde bewertet keine Diagnosen, sondern deren Auswirkungen auf den Arbeitsplatz. Ebenso wichtig ist es, im Streitfall die rechtzeitige Information des Arbeitgebers nachweisen zu können. Eine saubere Aktenführung zahlt sich in allen Verfahrensstadien aus.
Kleine Hürde, große Wirkung
Der Gleichstellungsantrag ist ein vergleichsweise niedrigschwelliger Schritt mit erheblichen Effekten. Er kann den Arbeitsplatz schützen, die Verhandlungsposition bei Trennungen stärken und die Aussicht auf eine angemessene Abfindung erhöhen.
Weil der Antrag kostenfrei ist und eine Ablehnung keine Nachteile nach sich zieht, spricht viel dafür, ihn in allen realistischen Risikoszenarien frühzeitig zu stellen. Entscheidend ist, das Vorgehen bewusst zu planen: die Antragsbegründung sachlich aufzubauen, Fristen im Blick zu behalten, die Information an den Arbeitgeber gezielt zu timen und im Zweifelsfall rechtlichen Rat einzuholen.
Wer diese Punkte beherzigt, verwandelt die Gleichstellung von einer Formalität in einen wirkungsvollen Hebel – für mehr Schutz, mehr Optionen und bessere Ergebnisse.