Verhindert oder verringert Leyenโs Chipkarte tatsรคchlich Kinderarmut?
(01.09.2010) Frau von der Leyenโs mรคchtigstes Argument fรผr die Chipkarte, mit der Kinder, die von Leistungen des SGB II (Hartz IV) leben, demnรคchst mit Sachleistungen beglรผckt werden sollen, ist, dass sie โvom Kinde herโ denkt und damit die Kinderarmut effektiv bekรคmpfen kรถnne. Allerdings scheinen ihre Tage als Kind schon sehr lange in Vergessenheit geraten, denn sonst wรผsste sie, dass ein kostenloser Besuch barfuss im Schwimmbad kein Ersatz fรผr fehlende neue Schuhe ist und man mit knurrendem Magen kein Musikinstrument spielen kann.
Natรผrlich kann es auch sein, dass Frau von der Leyenโs Erinnerungen nicht getrรผbt sind, sondern sie sich nur mit der Politikern รผblichen realitรคtsfernen Sichtweise diesem Problem gewidmet hat. Auch Frau Schrรถder, deren Kindertage noch nicht so weit zurรผck liegen, scheint da keine groรe Hilfe gewesen zu sein. Entweder leidet Frau Schrรถder auch schon an massiver Realitรคtsferne, oder es mangelt ihr einfach daran, โvom Kinde herโ zu denken.
Das Hauptproblem ist und bleibt, dass die Kinderregelsรคtze nicht mal annรคhrend bedarfsdeckend sind, da sie โ wie das BVerfG im Februar dieses Jahres monierte โ den speziellen Bedarf Heranwachsender nicht mal ansatzweise berรผcksichtigen und zudem generell, durch unzulรคssige Kรผrzungen, absichtlich falsch berechnet wurden.
Ein Schulkind der 1. bis 8. Klasse hat gerade mal 1,24 Euro fรผr ein warmes Mittagessen zur Verfรผgung (vor dem 01 Juli 2009 waren es sogar nur 1,06 Euro), mehr gibt der Regelsatz nicht her. Das Mittagessen der Schulspeisung kostet aber mindestens 1,80 Euro, oft mehr. Auch ab der 9. Klasse wird es nicht wesentlich mehr, gerade mal 1,42 Euro gibt der Regelsatz dann her, auch die reichen nicht fรผr ein warmes Mittagessen.
Durch den bewusst falsch berechneten ALG II Regelsatz kรถnnen sich also Hartz IV-Schulkinder seit 2005 kein warmes Mittagessen mehr leisten. Das Gleiche trifft auf Hartz IV-Kinder zu, die Kindertagesstรคtten besuchen.
Das nennt und versteht Frau von der Leyen unter Familienpolitik und Bekรคmpfung von Kinderarmut.
Was tun nun Eltern dieser Kinder? Sie nehmen, gezwungenermaรen, Teile der Regelleistung, die fรผr anderes gedacht ist, z.B. fรผr Schuhe und Bekleidung, damit ihre Kinder ein warmes Mittagessen haben. Warmes Essen oder Schuhe/Kleidung fรผr ihre Kinder, vor solchen Entscheidungen stehen diese Eltern seit 2005 jeden Tag.
Das der Regelsatz fรผr Erwachsene und Kinder falsch und โ folgt man der Argumentation des BVerfG โ durch unzulรคssige Kรผrzungen auch unzureichend berechnet wurde, so das es am Nรถtigsten fehlt, daran รคndern auch kostenlose Schwimmbadbesuche oder Musikunterricht nichts. Ein leerer Bauch studiert nicht gern, Frau Leyen. Aber daran hat es Ihnen und Frau Schrรถder vermutlich nie gemangelt, so dass Ihnen solche Erfahrungswerte fehlen.
Frau von der Leyen hat ein Medienfeuerwerk entzรผndet, das nichts als Blendwerk ist und trefflich die wahren Probleme, die es zu lรถsen gilt, verdeckt und aus dem รถffentlichen Bewusstsein verdrรคngt. Frau von der Leyen reduziert die Aufgaben, die das BVerfG im Februar an die Bundesregierung gestellt hat: nรคmlich die korrekte und nachvollziehbare Neuberechnung der Regelsรคtze fรผr Erwachsene und Kinder, so dass diese endlich die tatsรคchlichen Lebenshaltungskosten decken, auf einen โ gegenรผber den wahren Problemen โ unbedeutenden Nebenschauplatz, den das BVerfG in dieser Form gar nicht angesprochen hat, wie man beim Lesen des Urteiles feststellen kann.
Frau Leyens Chipkarte ersetzt weder die bedarfsdeckende Neuberechung der Regelsรคtze, noch bekรคmpft sie Kinderarmut. Sie ist nur eine weitere Maรnahme unserer Regierung zur Volksverdummung, um von den wahren Probleme und der Verantwortung zu deren Lรถsung, zu der das BVerfG die Bundesregierung verurteilt hat, abzulenken. (fm)
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