Eine pauschale Befreiung von der Grundsteuer allein wegen einer Schwerbehinderung gibt es in Deutschland in der Regel nicht. Das überrascht viele Betroffene, weil es in anderen Bereichen durchaus spürbare Nachteilsausgleiche gibt.
Bei der Grundsteuer liegt die Sache jedoch anders: Sie knüpft nicht an die Person, sondern an den Grundbesitz an. Genau an dieser Stelle entstehen Missverständnisse – und genau deshalb lohnt sich ein nüchterner Blick auf Rechtslage, Praxis in den Kommunen und auf jene Wege, die in finanziell belastenden Situationen tatsächlich helfen können.
Gerade seit der Grundsteuerreform, die vielerorts ab 2025 mit neuen Bescheiden spürbar in den Alltag hineinwirkt, taucht die Frage wieder häufiger auf: Wenn eine schwere gesundheitliche Einschränkung das Einkommen senkt, wenn Erwerbsfähigkeit wegfällt oder zusätzliche Ausgaben entstehen, und gleichzeitig Grundsteuerbescheide steigen, wirkt das wie eine doppelte Belastung.
Nur führt dieser nachvollziehbare Druck nicht automatisch zu einem gesetzlichen Befreiungstatbestand. Stattdessen greifen – wenn überhaupt – andere Instrumente: Stundung, Ratenzahlung, Billigkeitsentscheidungen, Sozialleistungen oder in Sonderkonstellationen Erlassregelungen.
Warum das Thema seit der Reform wieder so präsent ist
Die „neue Grundsteuer“ wird seit 2025 nach neuem Recht erhoben. Wie hoch die Belastung ausfällt, hängt vom jeweiligen Landesmodell, den vom Finanzamt ermittelten Grundlagen und am Ende auch vom kommunalen Hebesatz ab. In vielen Regionen bekommen Eigentümerinnen und Eigentümer nicht nur einen Bescheid, sondern erleben ein mehrstufiges Verfahren, in dem verschiedene Behörden unterschiedliche Aufgaben haben.
Das sorgt für Verunsicherung – und macht es leichter, persönliche Ansprüche (wie Nachteilsausgleiche bei Behinderung) gedanklich mit einer Steuer zu verknüpfen, die in Wahrheit objektbezogen funktioniert.
In Niedersachsen etwa wird nicht das Bundesmodell genutzt, sondern ein eigenes Flächen-Lage-Modell. Die Finanzverwaltung weist ausdrücklich darauf hin, dass Niedersachsen eine landeseigene Lösung eingeführt hat und die Grundsteuer seit 1. Januar 2025 nur noch nach neuem Recht erhoben werden kann. Für Betroffene ist das auch deshalb wichtig, weil sich Zuständigkeiten und Rechenwege je nach Bundesland unterscheiden können.
Was die Grundsteuer besteuert – und warum die persönliche Lebenslage meist außen vor bleibt
Die Grundsteuer wird auf den Grundbesitz erhoben. Dazu gehören Grundstücke einschließlich der Gebäude. Zahlungspflichtig ist grundsätzlich die Eigentümerin oder der Eigentümer. Bei Vermietung kann die Grundsteuer nach den zivilrechtlichen Regeln als Betriebskosten auf Mieterinnen und Mieter umgelegt werden. Diese Konstruktion ist der entscheidende Punkt: Besteuert wird der Besitz, nicht die individuelle Leistungsfähigkeit einer Person.
Damit unterscheidet sich die Grundsteuer deutlich von vielen Regelungen, die Menschen mit Schwerbehinderung aus dem Einkommensteuerrecht kennen. Dort geht es um persönliche Belastungen und um individuelle Abzugsmöglichkeiten. Bei der Grundsteuer hingegen sind Befreiungen und Vergünstigungen im Gesetz eng gefasst und überwiegend an bestimmte Nutzungen oder bestimmte Trägergruppen gebunden – nicht an Gesundheitsstatus oder Grad der Behinderung.
Schwerbehinderung und Grundsteuer: Woher der Irrtum kommt
Viele Betroffene schließen vom „Schwerbehindertenausweis“ auf eine Art allgemeine Steuerfreiheit. Das ist verständlich, weil der Schwerbehindertenstatus mit Merkzeichen und Nachteilsausgleichen in vielen Lebensbereichen verbunden ist. Nur folgt daraus nicht automatisch ein Anspruch gegenüber jeder Abgabeart.
Bei der Grundsteuer findet sich kein allgemeiner Tatbestand „Schwerbehinderung = Befreiung“. In Ratgeberdarstellungen wird das häufig damit erklärt, dass die Grundsteuer als Grundstücksabgabe ausgestaltet ist und nicht personenbezogen erhoben wird. So ernüchternd diese Aussage wirkt: Sie ist der Ausgangspunkt, um die realistischen Optionen zu erkennen – und Energie nicht in Anträge zu investieren, die schon rechtlich kaum Aussicht haben.
Welche Befreiungen das Gesetz kennt – und warum private Wohnimmobilien fast immer herausfallen
Das Grundsteuerrecht kennt Steuerbefreiungen, allerdings vor allem für bestimmte Zwecke und Rechtsträger, etwa für öffentliche Träger, Religionsgemeinschaften oder gemeinnützige beziehungsweise mildtätige Körperschaften. Daneben gibt es „sonstige Steuerbefreiungen“ nach der Nutzung, beispielsweise für Bestattungsplätze, Flächen des öffentlichen Verkehrs oder unter bestimmten Voraussetzungen für Grundbesitz, der für Wissenschaft, Unterricht oder Krankenhauszwecke genutzt wird.
Für Privatpersonen mit selbstgenutztem Wohneigentum führt das fast nie zu einer vollständigen Befreiung.
Selbst wenn ein Grundbesitz für steuerbegünstigte Zwecke genutzt wird, bleiben Wohnungen in der Grundsteuer häufig steuerpflichtig. Das ist kein Detail, sondern prägt zahlreiche Fallkonstellationen – etwa bei Einrichtungen, die soziale Zwecke verfolgen, aber Wohnbereiche enthalten.
In Landesunterlagen zur Grundsteuerbefreiung wird das teils sehr deutlich formuliert: Wohnungen seien grundsätzlich steuerpflichtig, auch wenn der Grundbesitz für steuerfreie Zwecke genutzt werde; nur eng begrenzte Ausnahmen seien möglich. Für Betroffene mit Schwerbehinderung ist das relevant, weil der eigene Wohnzweck praktisch immer in den steuerpflichtigen Bereich fällt.
Was in der Praxis dennoch helfen kann: Zahlungserleichterungen statt Befreiung
Wenn die Grundsteuer nicht tragbar ist, dreht sich die Frage in der Praxis selten um „Befreiung“, sondern um „Wie komme ich durch die Fälligkeiten, ohne dass sich Schulden, Säumniszuschläge oder Vollstreckung aufbauen?“. Die Behörden haben dafür Instrumente, die zwar kein Nachteilsausgleich im eigentlichen Sinn sind, aber finanziell Luft verschaffen können.
Eine Stundung ist möglich, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte bedeuten würde und der Anspruch nicht gefährdet ist. Das ist im Steuerrecht ein bekanntes Mittel, das auch bei der Grundsteuer genutzt wird, allerdings in der Regel über die Kommune bzw. Gemeindekasse, weil sie die Grundsteuer erhebt und einzieht. Oft lässt sich eine Ratenzahlung in die Stundung integrieren, wenn man die finanzielle Lage nachvollziehbar darlegt.
Davon zu trennen ist ein Erlass aus Billigkeitsgründen. Das ist die schärfere, aber auch seltenere Maßnahme: Der Staat verzichtet ganz oder teilweise auf eine Forderung, wenn deren Einziehung im Einzelfall „unbillig“ wäre. In der Praxis setzt das eine sehr gut belegte Ausnahmesituation voraus. Eine Schwerbehinderung kann Teil der persönlichen Härte sein, aber sie wirkt nicht automatisch. Entscheidend ist stets, ob gerade die Einziehung dieser konkreten Steuer unter den konkreten Umständen unzumutbar wäre.
Der „Grundsteuererlass“ wegen Ertragsminderung: eher ein Vermieterthema – und regional unterschiedlich
Manche Stoßrichtung der Diskussion geht an der Lebensrealität vieler schwerbehinderter Eigentümerinnen und Eigentümer vorbei, taucht aber in Suchergebnissen ständig auf: der Erlass wegen wesentlicher Ertragsminderung.
Diese Regelung zielt klassisch auf vermietete Objekte, bei denen ein erheblicher Teil der Einnahmen im betreffenden Jahr unverschuldet ausgefallen ist, etwa durch Leerstand oder Mietausfälle. Wichtig ist dabei: Der Antrag ist fristgebunden, und die Frist ist gesetzlich und damit nicht beliebig verlängerbar. Wer diese Schiene nutzen will, muss also vor allem formal sauber sein.
Gleichzeitig zeigt die Reform, dass sich Details je nach Landesrecht anders darstellen können. Dort, wo Landesgrundsteuergesetze gelten, weisen Kommunen teils ausdrücklich darauf hin, dass bestimmte Erlassgründe aus dem alten System nicht mehr vorgesehen seien. Das bedeutet nicht, dass „nichts mehr geht“, aber es bedeutet, dass pauschale Ratgebertexte schnell am falschen Ort landen können.
Mieterinnen und Mieter mit Schwerbehinderung: Warum der Weg über die Grundsteuer meist versperrt ist
Wer zur Miete wohnt, zahlt die Grundsteuer nicht direkt an die Gemeinde – aber häufig indirekt über die Nebenkosten. Denn die Grundsteuer zählt zu den umlagefähigen Betriebskosten, soweit dies mietvertraglich wirksam vereinbart ist.
Praktisch bedeutet das: Auch eine Schwerbehinderung der Mieterin oder des Mieters begründet gegenüber der Kommune keinen Befreiungsanspruch, weil das Steuerrechtsverhältnis bei der Eigentümerseite liegt. Streitpunkte entstehen dann eher im Mietrecht, etwa bei falscher Verteilung oder formell fehlerhaften Abrechnungen, nicht bei einer „Steuerbefreiung“.
Wenn die Nebenkosten wegen der Grundsteuer steigen und die Gesamtmiete dadurch nicht mehr bezahlbar ist, führen die realistischeren Wege über Wohngeld oder – je nach Erwerbssituation – über Leistungen der Grundsicherungssysteme. Das ist weniger „symbolisch“ als eine Befreiung, aber oft finanziell wirksamer.
Eigentümerinnen und Eigentümer mit Schwerbehinderung: Entlastung eher über Wohngeld und Grundsicherung
Bei selbst genutztem Eigentum kommt ein häufig unterschätzter Baustein ins Spiel: Wohngeld für Eigentümerinnen und Eigentümer, der sogenannte Lastenzuschuss. In den anrechenbaren Belastungen ist die Grundsteuer ausdrücklich enthalten. Das ist in der Praxis für viele mit Schwerbehinderung relevanter als jede Diskussion über Befreiungstatbestände, weil gesundheitliche Einschränkungen häufig mit geringerem Einkommen einhergehen und damit die Wohngeldvoraussetzungen eher erreicht werden.
Auch in der Grundsicherungssystematik wird selbst genutztes Eigentum nicht automatisch ausgeschlossen.
Bei Leistungen für Unterkunft und Heizung können bei angemessenem selbst bewohntem Eigentum bestimmte laufende Kosten berücksichtigt werden – und dazu kann ausdrücklich auch die Grundsteuer gehören. Das ist kein „Grundsteuer-Rabatt“, sondern eine sozialrechtliche Kostenübernahme, die am Ende denselben Effekt hat: Die laufende Belastung wird abgefedert.
Wenn der Bescheid falsch ist: Rechtsbehelf ja – aber bitte an der richtigen Stelle
Manchmal steckt hinter dem Wunsch nach „Befreiung“ ein ganz anderes Problem: Der Bescheid enthält Fehler, Daten wurden falsch übernommen, Wohn- oder Nutzflächen sind unzutreffend, oder der Hebesatz wurde falsch angewendet. Dann geht es nicht um einen Nachteilsausgleich, sondern um Korrektur.
Weil die Grundsteuer in Stufen ermittelt wird, ist der richtige Adressat entscheidend. In Niedersachsen wird etwa erläutert, dass Fragen zur Bewertung beziehungsweise zu Grundlagenbescheiden beim Finanzamt liegen, während Fragen zum eigentlichen Grundsteuerbescheid, zu Fälligkeiten oder zum SEPA-Lastschriftmandat bei der Kommune liegen. Wer an der falschen Stelle Widerspruch einlegt, verliert Zeit – und riskiert je nach Verfahren zusätzliche Kosten.
Ein weiterer Punkt, der Betroffene regelmäßig überrascht: Ein Widerspruch oder Einspruch hebt die Zahlungsverpflichtung nicht automatisch auf. In vielen kommunalen FAQ wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zunächst weiter zu zahlen ist und eine Erstattung erfolgt, wenn der Rechtsbehelf Erfolg hat. Wer das finanziell nicht kann, sollte parallel über Stundung oder Ratenzahlung sprechen.
Was man aus all dem ableiten sollte
Schwerbehinderung führt im Grundsteuerrecht in der Regel nicht zu einer generellen Befreiung. Wer dennoch mit dem Begriff „Befreiung“ argumentiert, rennt häufig an einer Wand aus objektbezogenem Steuerrecht entlang. Der sinnvollere Ansatz ist, die Stellschrauben zu nutzen, die tatsächlich existieren: Fehlerkorrekturen im Bescheidverfahren, Zahlungserleichterungen bei Härte, sozialrechtliche Entlastungsinstrumente bei geringem Einkommen und – bei vermieteten Objekten – die eng begrenzten Erlassmöglichkeiten nach den jeweils geltenden Regeln.
Das ist weniger spektakulär als ein „Null-Euro-Bescheid“. Aber es ist der Weg, der in vielen Fällen realistisch die größte Entlastung bringt – und vor allem der Weg, der rechtlich trägt.
Quellen: Bundesfinanzministerium: „Fragen und Antworten zur neuen Grundsteuer“, u. a. zur Einordnung der Grundsteuer als Steuer auf Grundbesitz, Zahlung durch Eigentümer und Umlage auf Mieter und Abgabenordnung: Regelungen zur Stundung (§ 222 AO) und zum Erlass aus Billigkeitsgründen (§ 227 AO).




