Kein Bürgergeld-Mehrbedarf für Behinderung bei nicht behinderungsbedingter Notwendigkeit

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Die Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen behinderungsbedingt nötig sein, um den Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte zu bekommen.

Kein Mehrbedarf für Behinderung nach § 21 Abs. 4 SGB 2 bei nicht behinderungsbedingter Notwendigkeit der Weiterbildungsmaßnahme

Eine Bezieherin von Bürgergeld mit einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 aufgrund einer seelischen Erkrankung sowie eines Wirbelsäulenleiden hat keinen Anspruch auf den Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte nach § 21 Abs. 4 SGB 2 für die Weiterbildungsmaßnahme „Externe Prüfungsvorbereitung Industriekauffrau mit IHK-Abschluss“, weil die Teilnahme an der Maßnahme für die Klägerin nicht behinderungsbedingt notwendig war.

So aktuell der 9. Senat des Landessozialgerichts Hessen mit Urteil vom 07.07.2025 – (L 9 AS 74/23 ).

Kurzbegründung des LSG Hessen:

Die Teilnahme an der Maßnahme war – für die Klägerin nicht behinderungsbedingt notwendig

Weil Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben ist über die Verweisung in § 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II auf das SGB III, dass die Aussichten eines behinderten Menschen, am Arbeitsleben teilzuhaben, wegen Art oder Schwere der Behinderung im Sinne des § 2 Abs 1 SGB IX nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und diese Menschen deshalb Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen (§ 19 Abs. 1 SGB III).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt: Die Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen behinderungsbedingt nötig sein

Daraus folgt, dass nicht jede von § 2 Abs. 1 SGB IX erfasste Behinderung auch die Voraussetzungen des § 19 SGB III erfüllt, wenn aus der Behinderung keine Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit folgen. Vielmehr müssen die Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben behinderungsbedingt nötig sein (zu allem BSG vom 12. November 2015 – B 14 AS 34/14 R).

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Bei der Klägerin durchgeführten Weiterbildungsmaßnahme ist diese Voraussetzung jedoch nicht erfüllt

Die Klägerin hat zwar aufgrund ihrer Behinderung Vermittlungshemmnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch hat das Jobcenter bei der (erneuten) Bewilligung der Weiterbildung nach vorheriger Testung der Klägerin auf ihre behinderungsbedingten Einschränkungen Rücksicht genommen und die Maßnahme speziell für die Klägerin in Teilzeit gewährt.

Keine Bejahung der behinderungsbedingten Notwendigkeit der Maßnahme

Allein durch den Umstand, dass bei der Durchführung einer Teilhabeleistung Rücksicht auf bestehende Einschränkungen des Teilnehmers genommen wird, führt jedoch – nicht zur Bejahung der behinderungsbedingten Notwendigkeit der Maßnahme.

Letztere bezieht sich vielmehr auf den Inhalt der Maßnahme und nicht deren Ausgestaltung. Im Fall der Klägerin hätten jedoch dies behinderungsbedingten Vermittlungshemmnisse durch den Inhalt der streitigen Maßnahme nicht behoben werden können.

Fazit:

Die gewählte und besuchte Weiterbildung hat somit an den schon zuvor bestehenden, behinderungsbedingten Vermittlungshemmnissen keinerlei Änderung bewirkt. Hieraus folgt, dass die streitige Weiterbildung nicht behinderungsbedingt, sondern vielmehr – auch ohne eine Behinderung – aufgrund des beruflichen Werdegangs der Klägerin notwendig war.

Anmerkung vom Verfasser:

§ 21 Abs. 4 SGB II setzt für die Bewilligung eines Mehrbedarfs für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte voraus, dass diese Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3 SGB XII von einem öffentlich-rechtlichen Träger tatsächlich erhalten.

Das heißt, nicht bereits der Anspruch auf diese Leistungen oder Hilfen oder bereits deren Bewilligung, sondern erst die tatsächliche Durchführung der Maßnahme löst den Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag aus. Dies folgt auch aus der Regelung des § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II zur Erbringung des Mehrbedarfs während einer angemessenen Übergangszeit nach Beendigung der Maßnahme (BSG vom 22. März 2010 – B 4 AS 59/09 R -).