Schwerbehinderung: So kannst Du deinen Grad der Behinderung von 30 auf 50 erhöhen

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Wer seinen Grad der Behinderung von 30 auf 50 anheben möchte, zielt auf die Schwelle zur Schwerbehinderteneigenschaft. Ab einem GdB von 50 können ein Schwerbehindertenausweis beantragt und umfassende Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen werden.

Rechtsgrundlage für Feststellung und Änderung des GdB ist § 152 SGB IX; die medizinische Bewertung richtet sich nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Die VersMedV enthält die verbindlichen Begutachtungsgrundsätze und sieht vor, dass der GdB in Zehnerschritten die Teilhabebeeinträchtigung beschreibt – unabhängig von der Krankheitsursache.

Was der Sprung auf GdB 50 bedeutet

Der Unterschied zwischen einem GdB von 30 und 50 ist juristisch bedeutsam: Mit 50 beginnt die Schwerbehinderteneigenschaft und damit die Möglichkeit, den Ausweis zu erhalten. Behörden und Landesämter erläutern, dass der Ausweis erst ab einem festgestellten GdB von mindestens 50 ausgestellt wird.

Widerspruch, Neufeststellung oder Überprüfung

Welche Route sinnvoll ist, hängt von der Verfahrensgeschichte ab. Liegt ein noch junger Bescheid vor, mit dem man nicht einverstanden ist, kommt der fristgebundene Widerspruch in Betracht. In der Regel beträgt die Widerspruchsfrist einen Monat ab Bekanntgabe des Bescheids; bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung kann sie sich verlängern.

Ist die Frist verstrichen oder hat sich der Gesundheitszustand verschlechtert, ist der richtige Weg der Antrag auf Neufeststellung (oft auch Änderungs- oder umgangssprachlich „Verschlimmerungsantrag“ genannt). Ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X kann darüber hinaus ältere, rechtswidrige Bescheide angreifen.

Der Änderungs- bzw. Neufeststellungsantrag in der Praxis

Der Antrag wird bei der für den Wohnort zuständigen Feststellungsbehörde (Versorgungsamt, Landesamt für Soziales oder eine gleichgestellte Stelle) gestellt; vielerorts ist das inzwischen online möglich. Für die Bearbeitung fallen in der Regel keine Gebühren an.

Entscheidend ist, neue oder verschlimmerte Gesundheitsstörungen konkret zu benennen und aktuelle medizinische Unterlagen beizufügen oder die Behörde zu ermächtigen, Befundberichte bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten einzuholen.

Ohne Schweigepflichtentbindung kann die Behörde medizinische Akten nicht beiziehen.

Wie bewertet wird: VersMedV, Diagnosen und der „Gesamt-GdB“

Die Begutachtung folgt bundesweit einheitlich der VersMedV. Sie enthält für viele Krankheitsbilder Orientierungswerte und beschreibt, welche Funktionsbeeinträchtigungen welchen GdB rechtfertigen. Maßgeblich sind nicht Diagnoselisten, sondern die Auswirkungen im Alltag und auf die Teilhabe; am Ende wird ein Gesamt-GdB gebildet. Die Begutachtungsgrundsätze sind für die Behörden verbindlich.

Ablauf, Dauer und was bei Funkstille hilft

Nach Antragseingang holt die Behörde in der Regel Befundberichte ein; in Einzelfällen kann auch eine eigene ärztliche Untersuchung veranlasst werden. Bleibt eine Entscheidung lange aus, eröffnet § 88 SGG die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage: Nach sechs Monaten ohne Bescheid bzw. nach drei Monaten ohne Widerspruchsbescheid kann die gerichtliche Bescheidung eingefordert werden.

Rechtsmittel: Vom Bescheid bis vor Gericht

Fällt der Bescheid niedriger aus als erhofft, kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Lehnt auch die Widerspruchsbehörde ab, steht die sozialgerichtliche Klage offen. Die Klagefrist beträgt in der Regel einen Monat ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids.

Gleichstellung als Brücke im Arbeitsleben

Wer „nur“ einen GdB von 30 oder 40 hat, kann sich bei der Bundesagentur für Arbeit schwerbehinderten Menschen gleichstellen lassen, wenn ohne die Gleichstellung der Arbeitsplatz gefährdet ist oder eine Einstellung scheitert. Die Gleichstellung bringt viele arbeitsrechtliche Schutzrechte mit sich, ersetzt jedoch nicht alle Nachteilsausgleiche, die erst mit GdB 50 gelten. Sie ist oft eine sinnvolle flankierende Maßnahme, während die Erhöhung des GdB betrieben wird.

Nach der Erhöhung: Ausweis und Nachteilsausgleiche

Wird der GdB mit 50 oder höher festgestellt, kann der Schwerbehindertenausweis beantragt werden. Er dient im Alltag als Nachweis für Nachteilsausgleiche, die sich je nach Bundesland und Merkzeichen unterscheiden.

Einige Länder weisen darauf hin, dass die Steuerverwaltung künftig automatisiert informiert wird: In Berlin etwa ist ab 1. Januar 2026 die elektronische Übermittlung des GdB an das Finanzamt vorgesehen.

Typische Stolpersteine – und wie man sie vermeidet

In vielen Verfahren scheitert die GdB-Erhöhung nicht am materiellen Anspruch, sondern an der Beweisführung. Wer nur Diagnosen aufzählt, ohne die konkreten funktionellen Einschränkungen nachvollziehbar zu belegen, macht es den Gutachterinnen und Gutachtern schwer.

Hilfreich sind aktuelle, aussagekräftige Befunde, die die Einschränkungen bei Gehen, Heben, Konzentration, Belastbarkeit oder sozialer Teilhabe greifbar machen. Zu beachten ist außerdem, dass im Neufeststellungsverfahren der gesamte Gesundheitszustand erneut bewertet werden kann; selten führt das auch zu niedrigeren Werten, wenn frühere Annahmen nicht mehr belegt sind.

Praxisfall: Vom GdB 30 zum GdB 50 in Niedersachsen

Herr K., 52 Jahre alt, Maschinenführer aus Hannover, hat seit 2022 einen festgestellten Grad der Behinderung von 30. Grundlage waren damals chronische Rückenbeschwerden nach einem Bandscheibenvorfall sowie eine leichte depressive Episode.

Mit dem GdB 30 war er arbeitsrechtlich nicht als schwerbehindert anerkannt, nutzte aber bereits innerbetriebliche Entlastungen. 2024 verschlechterte sich seine Situation deutlich: Nach einer zweiten Operation traten anhaltende radikuläre Schmerzen, Taubheitsgefühle im rechten Bein und eine spürbar reduzierte Belastbarkeit auf.

Parallel wurde ein insulinpflichtiger Diabetes diagnostiziert; die depressive Symptomatik verstärkte sich trotz Therapie.

Der erste Versuch – und warum er scheitert

Im September 2024 stellte Herr K. beim zuständigen Landesamt einen Antrag auf Neufeststellung. Er fügte den Operationsbericht und zwei aktuelle MRT-Befunde bei. Im Alltag konnte er jedoch nur noch etwa 300 bis 500 Meter am Stück gehen, schwer heben war kaum möglich, langes Stehen provozierte Schmerzen, die Konzentration ließ im Schichtbetrieb rasch nach.

Diese funktionellen Einschränkungen standen in den eingereichten Unterlagen kaum greifbar. Die Behörde holte einen knappen Hausarztbericht ein und ließ es dabei bewenden.

Im Dezember 2024 erhielt Herr K. einen Bescheid, der den bisherigen GdB 30 bestätigte. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass „keine wesentliche Änderung“ erkennbar sei.

Widerspruch mit neuer Strategie

Herr K. legte fristgerecht Widerspruch ein. Er verließ sich diesmal nicht allein auf Diagnosetitel, sondern dokumentierte die konkreten Auswirkungen im Alltag und im Beruf.

Ein Schmerztherapiezentrum erstellte ein ausführliches funktionelles Leistungsprofil: Gehen nur unter Schmerzen möglich, maximale Gehstrecke ohne Pause unter 400 Metern, Heben und Tragen über fünf Kilogramm nicht durchführbar, sitzende Tätigkeiten nur in kurzen Intervallen von 20 bis 30 Minuten, häufige Lagewechsel erforderlich.

Ein neurologischer Befund bestätigte Sensibilitätsstörungen und eine Schwäche in der Fußhebung. Die Psychotherapeutin bescheinigte eine mittelgradige Depression mit deutlichen Einschränkungen der Belastbarkeit, Schlafstörungen und erhöhter Fehleranfälligkeit.

Der Diabetologe dokumentierte schwankende Werte trotz leitliniengerechter Behandlung mit mehreren Unterzuckerungen im Frühdienst.

Unterstützung im Arbeitsleben: Gleichstellung als Brücke

Parallel beantragte Herr K. bei der Bundesagentur für Arbeit die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen. Der Arbeitgeber legte dar, dass der Arbeitsplatz im stehenden Maschinenbetrieb ohne dauerhafte Anpassungen gefährdet sei.

Bereits im November 2024 wurde die Gleichstellung bewilligt. Damit gewann Herr K. Kündigungsschutz und bessere Chancen auf betriebliche Anpassungsmaßnahmen, während das Widerspruchsverfahren weiterlief.

Die medizinische Neubewertung

Im Februar 2025 forderte die Widerspruchsbehörde ergänzend eine versorgungsärztliche Stellungnahme an. Auf Grundlage der Versorgungsmedizinischen Grundsätze wurden die einzelnen Beeinträchtigungen nicht nur diagnosen-, sondern funktionsbezogen eingeordnet.

Für die Wirbelsäulenproblematik mit neurologischer Ausfallerscheinung wurden die höheren Orientierungswerte herangezogen, die depressive Störung wurde als mittelgradig mit anhaltenden Leistungs- und Teilhabeeinschränkungen bewertet, der Diabetes als behandlungsintensiv mit relevanten Alltagsrisiken eingestuft.

In der Gesamtschau ergab sich kein reines „Addieren“ einzelner Werte, sondern eine wertende Bildung des Gesamt-GdB: Die wechselnden Schmerzspitzen, die nachgewiesene Gehstreckenbegrenzung, die kognitive Ermüdung und die metabolischen Schwankungen verstärkten sich wechselseitig. Die versorgungsärztliche Stellungnahme schlug deshalb einen Gesamt-GdB von 50 vor.

Der Erfolgsbescheid und seine Folgen

Im März 2025 half die Behörde dem Widerspruch ab und stellte rückwirkend zum Antragsmonat September 2024 einen GdB von 50 fest. Ein zusätzliches Merkzeichen wurde in diesem Fall nicht vergeben, weil die Voraussetzungen dafür nicht hinreichend belegt waren.

Herr K. beantragte umgehend den Schwerbehindertenausweis. Im Betrieb konnten nun formell fünf zusätzliche Urlaubstage gewährt und der besondere Kündigungsschutz umgesetzt werden.

Mit der Schwerbehinderteneigenschaft wurde außerdem der steuerliche Pauschbetrag relevant; der Personalbereich passte die Lohnsteuermerkmale nach Vorlage des Ausweises entsprechend an. Gemeinsam mit dem Betriebsarzt und dem Integrationsfachdienst wurden konkrete Maßnahmen vereinbart: ein höhenverstellbarer Arbeitsplatz mit Sit-Stand-Dynamik, Taktwechsel im Schichtplan, ein Lastenhandling unter fünf Kilogramm sowie regelmäßige Kurzpausen.

Was den Ausschlag gab

Nicht die Menge der Unterlagen, sondern ihre Aussagekraft war entscheidend. Der erste Antrag blieb im Diagnoseraster stecken. Im Widerspruch überzeugten schließlich die präzisen Beschreibungen der Alltags- und Berufsfolgen, die konsistente Befundlage aus mehreren Fachrichtungen und ein Arbeitsplatzprofil, das die praktische Relevanz der Einschränkungen belegte.

Die systematische Übertragung dieser Funktionsdaten in die Logik der versorgungsmedizinischen Bewertung ermöglichte die schlüssige Gesamtwürdigung. Die früh beantragte Gleichstellung hielt die Erwerbsbiografie stabil, bis der höhere GdB rechtskräftig war.

Lehren für Betroffene

Wer eine Erhöhung von 30 auf 50 anstrebt, sollte die eigene Gesundheitslage nicht nur als Liste von Diagnosen verstehen, sondern als Summe konkreter Funktionsverluste. Alltag, Beruf und Therapieaufwand müssen greifbar werden, idealerweise durch strukturierte ärztliche Stellungnahmen, objektivierbare Tests und eine klare Beschreibung des Arbeitsplatzes.

Kommt es zunächst zur Ablehnung, kann ein gut begründeter Widerspruch die Tür öffnen. Die Gleichstellung kann parallel helfen, akute Risiken im Job während des laufenden Verfahrens abzufedern.

Fazit

Der Weg vom GdB 30 zum GdB 50 ist kein Formularakt, sondern ein rechtlich und medizinisch geprägtes Verfahren. Wer die richtige Strategie wählt, Fristen wahrt, die VersMedV-Logik versteht und seine Beeinträchtigungen gut dokumentiert, verbessert seine Chancen spürbar.

Wo der Schutz im Job akut benötigt wird, kann die Gleichstellung die Lücke bis zur Schwerbehinderteneigenschaft schließen. Bei ausbleibender Entscheidung stehen mit Widerspruch, Klage und notfalls Untätigkeitsklage durchsetzungsstarke Instrumente bereit.