Rund 4,2 Millionen Haushalte in Deutschland waren 2024 bei Energieversorgern in Zahlungsverzug. Das geht aus Daten des Statistischen Bundesamtes hervor. Demnach konnten etwa fünf Prozent der Bevölkerung ihre Gas- und Stromrechnungen nicht oder nicht pünktlich begleichen.
Besonders heikel wird es zum Jahresende: Viele Betriebskostenabrechnungen treffen im Dezember ein, Vermieter müssen Abrechnungen spätestens bis Jahresende vorlegen. Viele Nachforderungen werden diesmal hoch ausfallen.
Inhaltsverzeichnis
Einmalige KdU: Auch Wohngeld- und Kinderzuschlag-Haushalte können Ansprüche geltend machen
Nicht nur Beziehende von Bürgergeld oder Sozialhilfe können unterstützt werden. Auch Haushalte mit Wohngeld oder Kinderzuschlag dürfen einmalige Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen Nebenkosten- beziehungsweise Heizkostennachforderungen beim Jobcenter (SGB II) oder Sozialamt (SGB XII) im Monat der Fälligkeit beantragen.
Wichtig: Einmalige Leistungen wie Betriebskostennachzahlungen oder Brennstoffkosten führen nicht zum Ausschluss und machen Wohngeld- oder Kinderzuschlagsbescheide nicht unwirksam.
Rechtsgrundlage: „Kosten der Unterkunft und Heizung“ in tatsächlicher Höhe
Für Leistungsbeziehende nach SGB II/SGB XII besteht regelmäßig ein Übernahmeanspruch, da die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in tatsächlicher Höhe zu tragen sind (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II; § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII).
Grundsatz: Betriebs- und Heizkostennachforderungen sind sozialrechtlicher Bedarf im Monat ihrer Fälligkeit beziehungsweise der Rechnungsstellung (BSG, 10. 04. 2024 – B 7 AS 21/22 R; BSG, 22. 03. 2010 – B 4 AS 62/09 R). Bei fehlender Fälligstellung greift § 286 Abs. 3 BGB (Fälligkeit nach 30 Tagen).
Diese Kosten sind in voller tatsächlicher Höhe als Unterkunfts- und Heizkosten zu berücksichtigen – unabhängig davon, ob der Rückstand während eines Zeitraums ohne Leistungsbezug entstanden ist (BSG, 24. 11. 2011 – B 14 AS 121/10 R).
Das gilt für SGB II/SGB XII-Beziehende und für Nichtleistungsbeziehende, die temporär hilfebedürftig werden.
Besonderheit: Betriebskostennachzahlungen sind auch dann zu übernehmen, wenn im SGB II die KdU wegen fehlender Umzugserfordernis nach § 22 Abs. 1 S. 6 SGB II begrenzt wurden (BSG, 23. 08. 2012 – B 4 AS 32/12 R).
Einmaliger Bedarf auch bei Kinderzuschlag oder Wohngeld
Personen, die Kinderzuschlag (KiZ) oder Wohngeld erhalten, können zusätzlich einmalige SGB II-Leistungen beanspruchen (§ 6a Abs. 7 S. 3 BKGG; Durchführungserlass BMI vom 04. 08. 2020 – Az. SW II 4-72307/229). Einmalige Leistungen wie Betriebskostennachzahlungen oder Brennstoffkosten schließen den Wohngeld- oder KiZ-Bezug nicht aus.
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Bescheid prüfenAnspruchsberechtigt können auch Menschen sein, die nicht im laufenden SGB II-/SGB XII-Bezug stehen, aber für einen Monat durch die Abrechnung hilfebedürftig werden. Bei temporärer Hilfebedürftigkeit gilt keine Vermögenskarenz (§ 12 Abs. 6 SGB II).
Praxisbeispiel: Nachforderung trotz Kinderzuschlag – Jobcenter muss zahlen
Beispiel: Alleinerziehende Mutter mit zwei minderjährigen Kindern. Trotz Kinderzuschlag muss das Jobcenter eine fällige Heiz- und Betriebskostennachforderung von rund 700 Euro als einmaligen Bedarf der Kosten für Unterkunft und Heizung übernehmen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. 11. 2018 – L 6 AS 764/16).
Ausführlich:
Bürgergeld: Jobcenter muss trotz Kinderzuschlag Miete und Heizung zahlen
So sehen es auch die Behörden: Dienstanweisungen bestätigen Anspruch
Die Durchführungsanweisung der Familienkasse zum Kinderzuschlag (Stand Juli 2015, DA106a.142 „Hilfebedürftigkeit“) stellt klar: „Die Gewährung einmaliger Leistungen nach § 22 SGB II ist möglich, auch wenn die vorrangigen Leistungen Kinderzuschlag und Wohngeld bezogen werden.“
Auch die Bundesagentur für Arbeit führt in ihrem WDB-Beitrag Nr. 121006 zur Bevorratung mit Heizmaterial aus: Stellt jemand einen Antrag nach dem SGB II und kommt der kommunale Träger zu dem Ergebnis, dass die Heizkosten als einmalige KdU gemäß § 22 SGB II im Monat der Bevorratung zu berücksichtigen sind, ist für diesen Monat zu prüfen, ob Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II vorliegt.
Kinderzuschlag und Wohngeld sind dabei als Einkommen nach § 11 SGB II anzurechnen. Liegt Hilfebedürftigkeit vor, sind Leistungen zu bewilligen.
Kompaktüberblick: Wer kann was beantragen?
Konstellation | Anspruch/Grundlage |
SGB II- oder SGB XII-Bezug | Übernahme der tatsächlichen KdU im Monat der Fälligkeit (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II; § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) |
Wohngeld/Kinderzuschlag | Zusätzlich einmalige SGB II-Leistungen möglich (§ 6a Abs. 7 S. 3 BKGG; BMI-Erlass 04.08.2020) |
Kein laufender Leistungsbezug | Temporäre Hilfebedürftigkeit für einen Monat ausreichend; keine Vermögenskarenz (§ 12 Abs. 6 SGB II) |
Nachforderung trotz KdU-Begrenzung | Übernahme trotz Begrenzung nach § 22 Abs. 1 S. 6 SGB II (BSG 23.08.2012 – B 4 AS 32/12 R) |
Entstehung in Nichtleistungszeit | Unerheblich für die Übernahme (BSG 24.11.2011 – B 14 AS 121/10 R) |
Wichtiger Hinweis zur Fälligkeit
Entscheidend ist der Monat, in dem die Forderung fällig wird bzw. die Rechnung zugeht. Ohne ausdrückliche Fälligkeitsangabe gilt die Forderung nach 30 Tagen als fällig (§ 286 Abs. 3 BGB). Nur dann kann die Nachforderung als einmaliger Bedarf berücksichtigt werden.
Verwaltungslogik darf nicht zu Lasten der Familien gehen
Ein zusätzlicher, singulärer Bedarf außerhalb eines laufenden Leistungsbezugs kann die Hilfebedürftigkeit nach § 7 SGB II auslösen. Die häufige Behördenpraxis, einmalige Bedarfe nur anzuerkennen, wenn eine mehrmonatige Hilfebedürftigkeit vorliegt, ist zirkelschlüssig und würde die Anerkennung des Bedarfs faktisch vereiteln.
Kurzfristige Wechsel zwischen den Sozialleistungssystemen mögen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung unerwünscht sein – sie dürfen aber keine Schlechterstellung von Familien bewirken. Ändern könnte dies nur der Gesetzgeber durch Verteilregelungen.