Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe kann in Fällen der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit im Zeitpunkt der Eheschließung ausnahmsweise dann widerlegt werden, wenn sich die Eheschließung als konsequente Verwirklichung eines schon vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung bestehenden (konkreten und bestimmten) Heiratsentschlusses erweist ( so aktuell das LSG NRW Az. L 21 R 940/24 ).
Ein Antragsteller hat Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente, wenn die Ehe zwischen ihm und der Versicherten zwar weniger als ein Jahr gedauert habe. Denn die daraus kraft Gesetzes folgende (widerlegbare) Vermutung, es sei alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat gewesen, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, sei aber widerlegt.
Zur Überzeugung der Gerichts seien besondere Umstände erwiesen, die mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auf ein weiteres für die Eheschließung mindestens gleichwertiges Motiv schließen ließen und mindestens (negativ abgrenzend) eine Versorgungsabsicht als (Haupt-)Ursache für die Heirat ausschlössen.
Dazu das Gericht:
„Als besondere Umstände sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Macht der Hinterbliebene von sich aus oder auf Befragen entsprechende Angaben und sind diese glaubhaft, so sind auch diese persönlichen Gründe in die (abschließende) Gesamtbetrachtung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu würdigen.
Eine gewichtige Bedeutung kommt dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel der Ausnahmetatbestand nicht erfüllt.
Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde.
Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung war. Der Ausnahmetatbestand ist nur erfüllt, wenn insoweit der volle Beweis erbracht ist (…).
Dazu die sozialgerichtliche Rechtsprechung
Die sozialgerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe in Fällen der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit im Zeitpunkt der Eheschließung ausnahmsweise dann widerlegt werden kann, wenn der Entschluss zur Hochzeit bereits zuvor gefasst worden war und sich die Eheschließung damit als konsequente Verwirklichung eines schon vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung des Partners bestehenden – konkreten und bestimmten – Heiratsentschlusses erweist (vgl. zuletzt LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. Juni 2023 – L 4 R 160/19 – ).
Nicht ausreichend sind hingegen vage Vorstellungen und/oder Ankündigungen bezüglich einer späteren Eheschließung, ohne dass sich ein konkreter Entschluss und eine zumindest ungefähre zeitliche Planung feststellen lassen. Zudem ist es erforderlich, dass der vorbestehende Hochzeitsentschluss als der zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung führende Umstand im Vollbeweis gesichert ist.
Zur Überzeugung der Kammer ist die gesetzliche Vermutung diesen Anforderungen entsprechend widerlegt
Die Entscheidung des Klägers und der Versicherten, am 00.00.0000 die Ehe zu schließen, stellt sich zur Überzeugung der Kammer als konsequente Umsetzung eines bereits vor Bekanntwerden der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs gefassten Entschlusses dar.
Nicht hingegen gab es nur vage Vorstellungen und/oder Ankündigungen bezüglich einer späteren Eheschließung. Ausgangspunkt dieses Entschlusses war der Wunsch der Versicherten, im Alter von 60 Jahren noch einmal zu heiraten. Dies hat auch die Zeugin L., die Tochter der Versicherten, bestätigt.
Anmerkung des Gerichts
Schließlich ist aus Sicht der Kammer nicht zu ignorieren, dass sich die gesamte Bundesrepublik in den hier maßgeblichen Jahren 2020 und 2021 Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der Corona-Pandemie zu unterwerfen hatte und dies auch das Planen großer Feiern beeinflusste.
Rechtstipp
Gewährung einer großen Witwenrente bei stabilem Zustand einer Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung ( LSG Baden-Württemberg Az. L 2 R 3931/18 ).
Auch bei lebensbedrohlicher Erkrankung muss Witwenrente gezahlt werden