Die Schlagworte sind vertraut: zu wenig Geld in den Rentenkassen, Fachkräftemangel, Forderungen nach der Abschaffung der „abschlagsfreien Rente mit 63“. Wer so argumentiert, übersieht jedoch einen zentralen Punkt:
Eine abschlagsfreie Altersrente mit 63 gibt es für neue Jahrgänge praktisch nicht mehr. Der Begriff stammt aus einer Übergangsphase und führt heute häufig in die Irre. Was derzeit möglich ist, welche Fristen und Voraussetzungen gelten und wie sich vorzeitige Rentenstarts auswirken, zeigt dieser Überblick.
Was aus der „Rente mit 63“ geworden ist
Die sprichwörtliche „Rente mit 63“ bezog sich auf die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte – also Menschen mit sehr langen Versicherungsbiografien. Diese Möglichkeit bestand in der Form „mit 63 und ohne Abschlag“ nur für ältere Jahrgänge und läuft über Stufen aus.
Heute kann niemand mehr neu und generell abschlagsfrei mit 63 in Rente gehen. Für die Mehrheit ist eine abschlagsfreie Altersrente frühestens mit 65, zunehmend mit 66 bis 67 Jahren erreichbar, abhängig vom Geburtsjahr.
Im Sommer 2025 betrifft die frühere, geringfügig vorgezogene abschlagsfreie Möglichkeit nur noch drei Geburtsjahrgänge. Wer 1961 geboren ist, kann – bei erfüllten Voraussetzungen – ein halbes Jahr vor dem 65. Geburtstag starten.
Jahrgang 1962 schafft es vier Monate davor, Jahrgang 1963 zwei Monate davor. Für alle 1964 und später Geborenen liegt die reguläre abschlagsfreie Altersgrenze bei 67 Jahren.
Wartezeiten: Die stille Stellschraube der Rentenansprüche
Ob, wann und in welcher Rentenart ein abschlagsfreier Start möglich ist, entscheidet sich wesentlich an der Wartezeit. Gemeint ist die Mindestversicherungszeit, die vor Rentenbeginn erfüllt sein muss.
Gezählt werden nicht nur Zeiten mit Pflicht- oder freiwilligen Beiträgen, sondern auch bestimmte Anrechnungszeiten, etwa Kindererziehungszeiten. Welche Zeiten konkret zählen, hängt von der beantragten Rentenart ab.
Für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte sind 45 Jahre erforderlich, für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen 35 Jahre.
Stufenweiser Anstieg des regulären Rentenalters
Parallel zur Auslaufphase der „63 ohne Abschläge“ steigt das reguläre Renteneintrittsalter schrittweise an. Zunächst kletterte es jahrgangsweise um einen Monat, inzwischen um zwei Monate pro Jahrgang – bis es für ab 1964 Geborene regulär 67 Jahre beträgt. Wer die Voraussetzungen für eine der vorgezogenen, aber abschlagsfreien Varianten nicht erfüllt, muss bis zu dieser Regelaltersgrenze warten.
Vorzeitige Altersrente mit 63: Was Abschläge bedeuten
Unverändert möglich ist ein Rentenstart mit 63, wenn mindestens 35 Jahre Wartezeit vorliegen – dann aber mit Abschlägen. Diese Kürzung ist dauerhaft und bleibt auch nach Erreichen der individuellen Regelaltersgrenze bestehen.
Wichtig: Für jeden Monat, den die Rente früher beginnt, reduziert sie sich um 0,3 Prozent. Wer statt mit 67 schon mit 63 startet, liegt 48 Monate früher und akzeptiert somit 14,4 Prozent Abschlag. Die Berechnungsbasis ist die individuelle Regelaltersgrenze; sie liegt für ab 1964 Geborene bei 67, für ältere Jahrgänge etwas darunter.
Schwerbehinderung: Früher starten, weniger kürzen
Für Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung gelten günstigere Rahmenbedingungen. Bei erfüllter 35-jähriger Wartezeit ist der abschlagsfreie Start – je nach Jahrgang – früher möglich als in der Regelaltersrente.
Zudem kann die Rente bis zu drei Jahre vor dieser abschlagsfreien Schwerbehinderten-Altersgrenze begonnen werden; die Abschläge fallen dabei oft deutlich geringer aus, weil sie ab dem frühestmöglichen abschlagsfreien Zeitpunkt für Schwerbehinderte berechnet werden.
Ein Beispiel zeigt dies: Eine Frau des Jahrgangs 1964 mit anerkannter Schwerbehinderung und erfüllter Wartezeit könnte mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen.
Wählt sie den Start bereits mit 62, beginnt die Rente 36 Monate früher, die dauerhafte Kürzung beträgt 10,8 Prozent.
Wo dieselbe Person ohne Schwerbehinderung mit 63 starten würde, lägen 48 Monate zwischen Rentenbeginn und Regelalter 67 – das ergäbe 14,4 Prozent Abschlag.
Die Anerkennung der Schwerbehinderung führt in dieser Konstellation also zu einer höheren monatlichen Rente.
45 Versicherungsjahre: Früherer Zugang – und doch nicht immer günstiger
Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte eröffnet bei 45 Jahren Wartezeit einen abschlagsfreien Start bis zu zwei Jahre vor der persönlichen Regelaltersgrenze. Wer darüber hinaus noch früher beginnen möchte, kann das zwar tun, muss dann aber Abschläge hinnehmen – und zwar nicht ab der 45-Jahre-Grenze, sondern ab der Regelaltersgrenze.
Für einen 1964 Geborenen mit durchgängigem Versicherungsverlauf seit dem 18. Geburtstag bedeutet ein Start mit 63 daher ebenfalls 48 Monate Vorlauf gegenüber 67 und damit wieder 14,4 Prozent Abschlag. Nur bei anerkannter Schwerbehinderung würde sich diese Kürzung in einem solchen Fall merklich verringern.
Wechsel der Rentenart: Eine Einbahnstraße
Von zentraler Bedeutung ist eine oft unterschätzte Regel: Ist eine Altersrente einmal bewilligt, lässt sich die Rentenart später nicht mehr wechseln.
Wer heute eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen beginnt, kann nicht zu einem späteren Zeitpunkt in eine andere, abschlagsfreie Altersrente umsteigen. Diese Unumkehrbarkeit spricht dafür, den Zeitpunkt des Rentenstarts und die passende Rentenart sorgfältig zu prüfen.
Warum die Rente bei frühem Start doppelt niedriger ausfällt
Die Kürzungsfaktoren sind nur die halbe Wahrheit. Wer früher aufhört zu arbeiten, zahlt auch früher keine Beiträge mehr ein. Das drückt die Rentenhöhe zusätzlich, weil dann weniger Entgeltpunkte gesammelt werden, als es bis zur Regelaltersgrenze der Fall wäre.
Prognosen aus der jährlichen Renteninformation basieren in der Regel darauf, dass bis zum regulären Rentenalter weiter gearbeitet wird. Für echte Vergleichswerte empfiehlt sich daher eine individuelle Berechnung auf Basis eines realistischen Erwerbsverlaufs.
Arbeiten neben der Rente: Entgeltpunkte als Puffer
Ein Vorzug des geltenden Rechts ist die flexible Hinzuverdienstmöglichkeit bei Altersrenten. Zusatzeinkommen führt nicht zu Rentenkürzungen, kann aber die Steuerlast erhöhen. Wer neben einer vorgezogenen Altersrente arbeitet, bleibt bis zur Regelaltersgrenze in der Regel rentenversicherungspflichtig.
Die daraus entstehenden Beiträge – einschließlich des Arbeitgeberanteils – werden in Entgeltpunkte umgerechnet. Diese Punkte erhöhen automatisch die Rentenhöhe, sobald die Regelaltersgrenze erreicht ist. In der Praxis lassen sich damit zumindest Teile der zuvor hingenommenen Abschläge ausgleichen.
Planung in der Praxis: Drei Prüfsteine für die Entscheidung
Vor einer Entscheidung über den vorgezogenen Rentenstart lohnt ein systematisches Vorgehen. Maßgeblich ist zunächst die Klärung des eigenen Versicherungsverlaufs, um festzustellen, ob und wann die Wartezeiten von 35 oder 45 Jahren erfüllt sind.
Ebenso wichtig ist die Prüfung eines möglichen Anspruchs auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen; bei gesundheitlichen Einschränkungen kann die Anerkennung der Schwerbehinderung nachweislich zu besseren Rentenkonditionen führen.
Schließlich gehört eine seriöse Rentenberechnung auf Basis des tatsächlichen, nicht des idealisierten weiteren Erwerbsverlaufs dazu, inklusive der Frage, ob und wie lange eine Beschäftigung neben der Rente in Betracht kommt.
Fazit: Jenseits der Schlagworte zählt der eigene Versicherungsweg
Die politische Debatte über die „Rente mit 63“ verfehlt häufig den aktuellen Rechtsstand. Abschlagsfrei mit 63 ist für neue Fälle vom Tisch; übrig geblieben sind differenzierte, an Jahrgänge und Wartezeiten geknüpfte Wege in die Rente.
Wer vorzeitig starten möchte, muss die dauerhafte Wirkung von Abschlägen ebenso einkalkulieren wie die entfallenden Beitragsjahre – und sollte mögliche Vorteile einer anerkannten Schwerbehinderung prüfen.
Die gute Nachricht: Flexible Zuverdienstregeln und zusätzliche Entgeltpunkte können finanzielle Einbußen abfedern. Am Ende ist die sorgfältige Einzelfallprüfung die verlässlichste Antwort auf die Frage, was heute wirklich geht – und was nicht.