Das Sozialgericht Stuttgart stellte bereits zu Hartz-IV-Zeiten klar: § 7 Abs. 4a SGB II a. F. gilt nicht für schwangere Leistungsberechtigte, wenn Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) greifen. In solchen Fällen darf der Bürgergeld-Anspruch nicht wegen Ortsabwesenheit versagt werden. (Az: S 12 AS 1909/10)
Inhaltsverzeichnis
Der Fall: Schwangerschaft, Umzug und Leistungsaufhebung
Die Klägerin erhielt Leistungen nach dem SGB II und war schwanger – dem Jobcenter war das unbekannt. Auf ärztlichen Rat zog sie aus gesundheitlichen Gründen zur Betreuung zu den Eltern ihres Partners. Diese wohnten außerhalb des bisherigen Zuständigkeitsbereichs.
Position des Jobcenters: Leistungsausschluss wegen § 7 Abs. 4a SGB II a. F.
Das Jobcenter hob die Leistungen für zwei Monate auf und verlangte Erstattung. Begründung: Die Klägerin sei in den Bereich eines anderen Trägers gezogen, ohne dies mitzuteilen. Damit liege ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II a. F. vor.
Entscheidung des Gerichts: Mutterschutz geht vor
Das Gericht folgte dem nicht und entschied:
- § 7 Abs. 4a SGB II a. F. ist auf Schwangere mit Beschäftigungsverbot nach MuSchG nicht anwendbar.
- Keine Eingliederung – keine Ortsbindung: Ist eine Eingliederung in Arbeit ausgeschlossen, besteht kein Anlass, die Handlungsfreiheit einzuschränken. Das gilt besonders, wenn nach § 10 Abs. 1 SGB II keine Erwerbstätigkeit zumutbar ist.
Bei der Klägerin wäre eine Arbeitsaufnahme unzulässig gewesen, weil sie gegen zwingende Arbeitsschutzvorschriften des MuSchG verstoßen hätte.
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Bescheid prüfenAktueller Rechtsstand seit Bürgergeld: § 7b SGB II + Erreichbarkeitsverordnung
Seit 01.07.2023 gilt § 7b SGB II. Zum 08.08.2023 trat ergänzend die Erreichbarkeitsverordnung (ErrV) in Kraft.
Ortsabwesenheit aus wichtigem Grund: Ärztlich verordnete Maßnahme
§ 7b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II nennt als wichtigen Grund für Ortsabwesenheit eine ärztlich verordnete Maßnahme.
Nach § 5 Abs. 1 ErrV umfasst dies die gesamte Behandlungsdauer inklusive An- und Abreisetage.
Übertragbarkeit auf das Bürgergeld
Damit wirkt die Stuttgarter Linie fort: Nimmt eine Leistungsberechtigte an einer medizinischen Maßnahme/Reha teil, ist das ein ausdrücklich genannter wichtiger Grund. Ein Leistungsausschluss allein wegen Ortsabwesenheit kommt dann nicht in Betracht.
Keine Zusicherung nötig bei medizinisch veranlasster Ortsabwesenheit
Schwangere Leistungsberechtigte benötigen keine vorherige Zusicherung des Jobcenters, wenn sie wegen einer ärztlich verordneten Maßnahme ( § 7b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II ) ortsabwesend sind.
Greifen Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG und raten Ärztinnen/Ärzte aus gesundheitlichen Gründen dazu, den Wohnort vorübergehend zu verlassen (z. B. Betreuung beim werdenden Vater), ist – nach der hier vertretenen Meinung – ebenfalls keine Zusicherung zur Ortsabwesenheit erforderlich.
Kurzanmerkung von Detlef Brock
Das Stuttgarter Urteil war wegweisend: Es schützt schwangere Leistungsberechtigte vor pauschalem Leistungsausschluss bei notwendiger Ortsabwesenheit. Mit § 7b SGB II und der ErrV ist der medizinische Grund heute noch klarer geregelt.
Empfehlung für Betroffene: So gehen Sie vor
- Vorab mit dem Jobcenter sprechen: Vorhaben und medizinische Notwendigkeit kurz darlegen.
- Nachweise beilegen: Ärztliche Verordnung, Hinweise zu Beschäftigungsverbot/Behandlungsplan, voraussichtliche Dauer inkl. Reisezeiten.
- Bei Ablehnung schnell handeln: Verweigert das Jobcenter die Ortsabwesenheit, umgehend einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht beantragen.