Rentenreform: Renten per Hochrechnung und die Rente steigt

Lesedauer 4 Minuten

Das Bundeskabinett hat am 3. September 2025 den Entwurf fรผr das SGB-VI-Anpassungsgesetz beschlossen. Neben Digitalisierungs- und Reha-Reformen sieht der Entwurf eine verwaltungstechnisch erleichterte Rentenfeststellung vor: Bei Altersrenten sollen die Entgelte der letzten Arbeitsmonate kรผnftig stets per Hochrechnung einbezogen werden, um Renten zรผgiger und korrekt festzusetzen. Das Bundesarbeitsministerium begrรผndet dies mit Bรผrokratieabbau und mehr Rechtsklarheit.

Die Schwachstelle des alten Systems

Bislang funktionierte die Hochrechnung so: Wer eine Altersrente beantragte, konnte verlangen, dass der Arbeitgeber die beitragspflichtigen Einnahmen der letzten Monate per gesonderter Meldung รผbermittelt.

Auf dieser Basis rechnete die Rentenversicherung die fehlenden Monate bis zum Rentenbeginn hoch, damit der Bescheid rechtzeitig ergeht.

In der Praxis erwies sich das als heikel, weil die hochgerechneten Werte bindend wurden โ€“ eine spรคtere Korrektur nach oben oder unten war regelmรครŸig ausgeschlossen.

Das Bundessozialgericht und die Landessozialgerichte stellten wiederholt klar, dass Abweichungen zwischen Hochrechnung und tatsรคchlichem Entgelt fรผr die festgestellte Altersrente grundsรคtzlich auรŸer Betracht bleiben. Wer Pech hatte und unterdurchschnittliche Hochrechnungswerte bekam, trug den Nachteil dauerhaft.

Was sich รคndert: Automatik statt Antrag โ€“ und nur noch Korrekturen nach oben

Der Gesetzentwurf dreht den Mechanismus an zwei entscheidenden Stellen:

Erstens entfรคllt bei ยง 194 SGB VI das bisherige Zustimmungserfordernis. Arbeitgeber dรผrfen die gesonderte Meldung kรผnftig automatisch an die Rentenversicherung รผbermitteln; die Hochrechnung lรคuft im Hintergrund. Wรถrtlich heiรŸt es in der Begrรผndung: โ€ž

Durch die ร„nderung des ยง 194 entfรคllt das Zustimmungserfordernis [โ€ฆ] ย Daraus ergibt sich kein Nachteil fรผr die Versicherten. Denn fรผhrt eine nach der Hochrechnung vorliegende tatsรคchliche beitragspflichtige Einnahme [โ€ฆ] zu einer hรถheren Rente, wird diese nach einer Rentenneufeststellung geleistet (siehe ยง 70).โ€œ

Zweitens wird ยง 70 SGB VI angepasst: Nach der ersten Feststellung einer Altersrente prรผft die Rentenversicherung automatisch, ob die tatsรคchlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen, die nach der Hochrechnung noch gemeldet werden, zu einer hรถheren Rente fรผhren.

Nur dann wird die Rente neu festgestellt โ€“ inklusive Nachzahlung. Bleibt es bei niedrigeren oder gleichen Werten, รคndert sich nichts. Damit wird das bisherige Risiko fรผr Versicherte beseitigt.

So funktioniert die Hochrechnung โ€“ prรคziser als bisher

Die gesetzliche Begrรผndung prรคzisiert, was unter Hochrechnung zu verstehen ist: Fรผr bis zu drei Monate vor dem Rentenbeginn wird die beitragspflichtige Einnahme aus den letzten zwรถlf davorliegenden Kalendermonaten ermittelt und hochgerechnet. Ziel sei “ein nahtloser รœbergang vom Arbeitsentgelt in die Rente und ein frรผhzeitiger Bescheid, obwohl die Lohnabrechnungen fรผr die letzten Monate naturgemรครŸ noch nicht vollstรคndig vorliegen”, so der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.

Beispiel: Angestellter mit Einkommenssteigerung vor Rentenbeginn

Um das mehr an Rente zu verdeutlichen, hier ein fiktives Beispiel.

Ein Arbeitnehmer geht zumย 1. Juli 2027ย in Altersrente. Seine letzten zwรถlf Monate vor dem Renteneintritt sehen so aus:

  • Bis Juni 2026 verdient erย 3.000 โ‚ฌ brutto monatlich.
  • Ab Juli 2026 bekommt er durch eine Tariferhรถhung und eine neue Funktionszulageย 3.500 โ‚ฌ brutto monatlich.

Die Rentenversicherung muss den Rentenbescheid aber schon vorliegend haben, obwohl die letzten Monate (April bis Juni 2027) noch nicht abgerechnet sind.

Alte Rechtslage (bis 2026)

Die Hochrechnung nahm oft einen Durchschnitt aus den letzten zwรถlf Monaten โ€“ also (6 ร— 3.000 โ‚ฌ + 6 ร— 3.500 โ‚ฌ) / 12 =ย 3.250 โ‚ฌ brutto.
Damit wurden die drei fehlenden Monate hochgerechnet.
Wenn der Versicherte in den letzten Monaten tatsรคchlichย 3.500 โ‚ฌย verdient hat, lagen die realen beitragspflichtigen Einnahmenย 250 โ‚ฌ pro Monat hรถher.
Eine nachtrรคgliche Korrektur nach oben warย nicht vorgesehenย โ€“ der Rentenbescheid blieb verbindlich.

Folge: Die Rente fiel dauerhaft geringer aus.

Neue Rechtslage (ab 2027)

Jetzt greift ยง 70 SGB VI neu.
Die Rentenversicherung stellt zunรคchst die Rente auf Basis der Hochrechnung (hier: 3.250 โ‚ฌ) fest. Sobald der Arbeitgeber aber die tatsรคchlichen Werte meldet (3.500 โ‚ฌ), wird die Renteย automatisch neu berechnet.

Unterschied in Euro:
Das deutsche Rentensystem arbeitet mitย Entgeltpunkten.
Im Jahr 2027 entspricht ein Entgeltpunkt etwa dem durchschnittlichen Jahresbrutto von ca.ย 47.700 โ‚ฌย (Stand 2025; Wert verรคndert sich jรคhrlich).

  • Unterschied pro Monat: 250 โ‚ฌ ร— 3 Monate =ย 750 โ‚ฌย mehr beitragspflichtiges Einkommen.
  • Das ergibt 750 โ‚ฌ รท 47.700 โ‚ฌ โ‰ˆย 0,0157 Entgeltpunkte.
  • Ein Entgeltpunkt bringt 2025 rundย 37,60 โ‚ฌ Monatsrenteย (West).
  • 0,0157 Punkte ergeben etwaย 0,60 โ‚ฌ monatlich mehr Renteย โ€“ lebenslang.

Dazu kommt eineย Nachzahlungย fรผr die Monate seit Rentenbeginn.
Wenn die Differenz also erst nach einem Jahr festgestellt wird, erhรคlt der Rentnerย 0,60 โ‚ฌ ร— 12 Monate = 7,20 โ‚ฌNachzahlung plus die dauerhafte Erhรถhung.

Wann die Unterschiede grรถรŸer werden

Das Beispiel zeigt eine moderate Steigerung. In der Praxis kรถnnen die Effekte deutlich stรคrker ausfallen:

  • wenn in den letzten Monatenย hohe Sonderzahlungenย wie Boni oder Abfindungen gezahlt werden,
  • wenn jemand von Teilzeit wieder in Vollzeit wechselt,
  • oder wenn eineย krรคftige Tariferhรถhungย kurz vor Rentenbeginn wirksam wird.

Dann kรถnnen schnellย mehrere Entgeltpunkteย zusรคtzlich entstehen, was die Monatsrente umย 50 โ‚ฌ bis 100 โ‚ฌ oder mehrerhรถhen kann โ€“ und zwar dauerhaft.

Zeitplan

Die ร„nderungen zur Hochrechnung und zur Neufeststellung treten am 1. Januar 2027 in Kraft. Betroffen sind Altersrenten; andere Rentenarten werden von der Neuerung nicht erfasst. Der Gesetzgeber rรคumt der Rentenversicherung damit eine Vorlaufzeit fรผr die technische Umsetzung ein.

Was das fรผr Neurentnerinnen und Neurentner praktisch bedeutet

Fรผr kรผnftige Ruhestรคndlerinnen und Ruhestรคndler entfรคllt der Antrags- und Zustimmungsaufwand rund um die Hochrechnung. Die Arbeitgebermeldung lรคuft standardisiert; die Rentenversicherung setzt die Rente zunรคchst vorlรคufig auf Basis der Hochrechnung fest und korrigiert automatisch nach oben, sobald die tatsรคchlichen Werte vorliegen.

Fรผr Betroffene bedeutet das mehr Planungssicherheit beim Rentenbeginn, keine Nachteile durch zufรคllige Untererfassung der letzten Monate und Nachzahlungen, wenn sich hรถhere Entgelte bestรคtigen. Dass der Gesetzgeber hier auch Effizienzgewinne erwartet, zeigen die Begleitkalkulationen: Sie nennen fรผr die Neuregelung zur Neufeststellung nach Hochrechnung (ยง 70) rund 300 000 Fรคlle jรคhrlich sowie deutliche Entlastungen durch die gesonderte Meldung und Hochrechnung (ยง 194) bis hin zur vollmaschinellen Erledigung vieler Regelaltersrenten.

Warum die Reform als fairer gilt

Der Kern der Fairness liegt in der EinbahnstraรŸen-Korrektur: Eine Anhebung auf die real erzielten, hรถheren beitragspflichtigen Einnahmen erfolgt automatisch, eine Absenkung wegen niedrigerer Ist-Werte bleibt ausgeschlossen.

Damit korrigiert der Gesetzgeber eine รผber Jahre kritisierte Asymmetrie, in der die hochgerechnete โ€“ und oftmals zu niedrige โ€“ Entgeltbasis dauerhaft wirkte. Der Paradigmenwechsel beseitigt das frรผhere โ€žAlles-oder-nichtsโ€œ-Moment der Hochrechnung, ohne die zรผgige Rentenfeststellung preiszugeben.

Wer jetzt in den Ruhestand startet โ€“ und wer spรคter

Fรผr Rentenbeginn bis einschlieรŸlich 2026 gelten die alten Regeln fort. Wer in diese รœbergangszeit fรคllt, sollte die beantragte Hochrechnung weiterhin sorgfรคltig abwรคgen, weil spรคtere Aufstockungen rechtlich nur ausnahmsweise mรถglich sind. Ab 2027 hingegen ist die Hochrechnung Standard, die Nachberechnung erfolgt systemseitig, und individueller Handlungsbedarf entfรคllt weitgehend.

Mehr Tempo, weniger Bรผrokratie โ€“ und fรผr viele auch mehr Rente

Mit der Neuregelung zur Hochrechnung und zur Neufeststellung schafft der Gesetzgeber eine risikofreie Brรผcke zwischen Beschรคftigung und Rentenbezug.

Wer in den letzten Monaten vor dem Ruhestand รผberdurchschnittlich verdient hat, wird davon automatisch profitieren. Gleichzeitig entlastet die Reform Verwaltungen und Betriebe, weil Prozesse vereinheitlicht und digitalisiert werden.

Fรผr die โ€žRentenboomerโ€œ-Jahrgรคnge bedeutet das eine verlรคsslichere und gerechtere Festsetzung der Altersrente โ€“ mit Nachzahlungen, wo sie hingehรถren