Das Bundeskabinett hat am 3. September 2025 den Entwurf fรผr das SGB-VI-Anpassungsgesetz beschlossen. Neben Digitalisierungs- und Reha-Reformen sieht der Entwurf eine verwaltungstechnisch erleichterte Rentenfeststellung vor: Bei Altersrenten sollen die Entgelte der letzten Arbeitsmonate kรผnftig stets per Hochrechnung einbezogen werden, um Renten zรผgiger und korrekt festzusetzen. Das Bundesarbeitsministerium begrรผndet dies mit Bรผrokratieabbau und mehr Rechtsklarheit.
Die Schwachstelle des alten Systems
Bislang funktionierte die Hochrechnung so: Wer eine Altersrente beantragte, konnte verlangen, dass der Arbeitgeber die beitragspflichtigen Einnahmen der letzten Monate per gesonderter Meldung รผbermittelt.
Auf dieser Basis rechnete die Rentenversicherung die fehlenden Monate bis zum Rentenbeginn hoch, damit der Bescheid rechtzeitig ergeht.
In der Praxis erwies sich das als heikel, weil die hochgerechneten Werte bindend wurden โ eine spรคtere Korrektur nach oben oder unten war regelmรครig ausgeschlossen.
Das Bundessozialgericht und die Landessozialgerichte stellten wiederholt klar, dass Abweichungen zwischen Hochrechnung und tatsรคchlichem Entgelt fรผr die festgestellte Altersrente grundsรคtzlich auรer Betracht bleiben. Wer Pech hatte und unterdurchschnittliche Hochrechnungswerte bekam, trug den Nachteil dauerhaft.
Was sich รคndert: Automatik statt Antrag โ und nur noch Korrekturen nach oben
Der Gesetzentwurf dreht den Mechanismus an zwei entscheidenden Stellen:
Erstens entfรคllt bei ยง 194 SGB VI das bisherige Zustimmungserfordernis. Arbeitgeber dรผrfen die gesonderte Meldung kรผnftig automatisch an die Rentenversicherung รผbermitteln; die Hochrechnung lรคuft im Hintergrund. Wรถrtlich heiรt es in der Begrรผndung: โ
Durch die รnderung des ยง 194 entfรคllt das Zustimmungserfordernis [โฆ] ย Daraus ergibt sich kein Nachteil fรผr die Versicherten. Denn fรผhrt eine nach der Hochrechnung vorliegende tatsรคchliche beitragspflichtige Einnahme [โฆ] zu einer hรถheren Rente, wird diese nach einer Rentenneufeststellung geleistet (siehe ยง 70).โ
Zweitens wird ยง 70 SGB VI angepasst: Nach der ersten Feststellung einer Altersrente prรผft die Rentenversicherung automatisch, ob die tatsรคchlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen, die nach der Hochrechnung noch gemeldet werden, zu einer hรถheren Rente fรผhren.
Nur dann wird die Rente neu festgestellt โ inklusive Nachzahlung. Bleibt es bei niedrigeren oder gleichen Werten, รคndert sich nichts. Damit wird das bisherige Risiko fรผr Versicherte beseitigt.
So funktioniert die Hochrechnung โ prรคziser als bisher
Die gesetzliche Begrรผndung prรคzisiert, was unter Hochrechnung zu verstehen ist: Fรผr bis zu drei Monate vor dem Rentenbeginn wird die beitragspflichtige Einnahme aus den letzten zwรถlf davorliegenden Kalendermonaten ermittelt und hochgerechnet. Ziel sei “ein nahtloser รbergang vom Arbeitsentgelt in die Rente und ein frรผhzeitiger Bescheid, obwohl die Lohnabrechnungen fรผr die letzten Monate naturgemรคร noch nicht vollstรคndig vorliegen”, so der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.
Beispiel: Angestellter mit Einkommenssteigerung vor Rentenbeginn
Um das mehr an Rente zu verdeutlichen, hier ein fiktives Beispiel.
Ein Arbeitnehmer geht zumย 1. Juli 2027ย in Altersrente. Seine letzten zwรถlf Monate vor dem Renteneintritt sehen so aus:
- Bis Juni 2026 verdient erย 3.000 โฌ brutto monatlich.
- Ab Juli 2026 bekommt er durch eine Tariferhรถhung und eine neue Funktionszulageย 3.500 โฌ brutto monatlich.
Die Rentenversicherung muss den Rentenbescheid aber schon vorliegend haben, obwohl die letzten Monate (April bis Juni 2027) noch nicht abgerechnet sind.
Alte Rechtslage (bis 2026)
Die Hochrechnung nahm oft einen Durchschnitt aus den letzten zwรถlf Monaten โ also (6 ร 3.000 โฌ + 6 ร 3.500 โฌ) / 12 =ย 3.250 โฌ brutto.
Damit wurden die drei fehlenden Monate hochgerechnet.
Wenn der Versicherte in den letzten Monaten tatsรคchlichย 3.500 โฌย verdient hat, lagen die realen beitragspflichtigen Einnahmenย 250 โฌ pro Monat hรถher.
Eine nachtrรคgliche Korrektur nach oben warย nicht vorgesehenย โ der Rentenbescheid blieb verbindlich.
Folge: Die Rente fiel dauerhaft geringer aus.
Neue Rechtslage (ab 2027)
Jetzt greift ยง 70 SGB VI neu.
Die Rentenversicherung stellt zunรคchst die Rente auf Basis der Hochrechnung (hier: 3.250 โฌ) fest. Sobald der Arbeitgeber aber die tatsรคchlichen Werte meldet (3.500 โฌ), wird die Renteย automatisch neu berechnet.
Unterschied in Euro:
Das deutsche Rentensystem arbeitet mitย Entgeltpunkten.
Im Jahr 2027 entspricht ein Entgeltpunkt etwa dem durchschnittlichen Jahresbrutto von ca.ย 47.700 โฌย (Stand 2025; Wert verรคndert sich jรคhrlich).
- Unterschied pro Monat: 250 โฌ ร 3 Monate =ย 750 โฌย mehr beitragspflichtiges Einkommen.
- Das ergibt 750 โฌ รท 47.700 โฌ โย 0,0157 Entgeltpunkte.
- Ein Entgeltpunkt bringt 2025 rundย 37,60 โฌ Monatsrenteย (West).
- 0,0157 Punkte ergeben etwaย 0,60 โฌ monatlich mehr Renteย โ lebenslang.
Dazu kommt eineย Nachzahlungย fรผr die Monate seit Rentenbeginn.
Wenn die Differenz also erst nach einem Jahr festgestellt wird, erhรคlt der Rentnerย 0,60 โฌ ร 12 Monate = 7,20 โฌNachzahlung plus die dauerhafte Erhรถhung.
Wann die Unterschiede grรถรer werden
Das Beispiel zeigt eine moderate Steigerung. In der Praxis kรถnnen die Effekte deutlich stรคrker ausfallen:
- wenn in den letzten Monatenย hohe Sonderzahlungenย wie Boni oder Abfindungen gezahlt werden,
- wenn jemand von Teilzeit wieder in Vollzeit wechselt,
- oder wenn eineย krรคftige Tariferhรถhungย kurz vor Rentenbeginn wirksam wird.
Dann kรถnnen schnellย mehrere Entgeltpunkteย zusรคtzlich entstehen, was die Monatsrente umย 50 โฌ bis 100 โฌ oder mehrerhรถhen kann โ und zwar dauerhaft.
Zeitplan
Die รnderungen zur Hochrechnung und zur Neufeststellung treten am 1. Januar 2027 in Kraft. Betroffen sind Altersrenten; andere Rentenarten werden von der Neuerung nicht erfasst. Der Gesetzgeber rรคumt der Rentenversicherung damit eine Vorlaufzeit fรผr die technische Umsetzung ein.
Was das fรผr Neurentnerinnen und Neurentner praktisch bedeutet
Fรผr kรผnftige Ruhestรคndlerinnen und Ruhestรคndler entfรคllt der Antrags- und Zustimmungsaufwand rund um die Hochrechnung. Die Arbeitgebermeldung lรคuft standardisiert; die Rentenversicherung setzt die Rente zunรคchst vorlรคufig auf Basis der Hochrechnung fest und korrigiert automatisch nach oben, sobald die tatsรคchlichen Werte vorliegen.
Fรผr Betroffene bedeutet das mehr Planungssicherheit beim Rentenbeginn, keine Nachteile durch zufรคllige Untererfassung der letzten Monate und Nachzahlungen, wenn sich hรถhere Entgelte bestรคtigen. Dass der Gesetzgeber hier auch Effizienzgewinne erwartet, zeigen die Begleitkalkulationen: Sie nennen fรผr die Neuregelung zur Neufeststellung nach Hochrechnung (ยง 70) rund 300 000 Fรคlle jรคhrlich sowie deutliche Entlastungen durch die gesonderte Meldung und Hochrechnung (ยง 194) bis hin zur vollmaschinellen Erledigung vieler Regelaltersrenten.
Warum die Reform als fairer gilt
Der Kern der Fairness liegt in der Einbahnstraรen-Korrektur: Eine Anhebung auf die real erzielten, hรถheren beitragspflichtigen Einnahmen erfolgt automatisch, eine Absenkung wegen niedrigerer Ist-Werte bleibt ausgeschlossen.
Damit korrigiert der Gesetzgeber eine รผber Jahre kritisierte Asymmetrie, in der die hochgerechnete โ und oftmals zu niedrige โ Entgeltbasis dauerhaft wirkte. Der Paradigmenwechsel beseitigt das frรผhere โAlles-oder-nichtsโ-Moment der Hochrechnung, ohne die zรผgige Rentenfeststellung preiszugeben.
Wer jetzt in den Ruhestand startet โ und wer spรคter
Fรผr Rentenbeginn bis einschlieรlich 2026 gelten die alten Regeln fort. Wer in diese รbergangszeit fรคllt, sollte die beantragte Hochrechnung weiterhin sorgfรคltig abwรคgen, weil spรคtere Aufstockungen rechtlich nur ausnahmsweise mรถglich sind. Ab 2027 hingegen ist die Hochrechnung Standard, die Nachberechnung erfolgt systemseitig, und individueller Handlungsbedarf entfรคllt weitgehend.
Mehr Tempo, weniger Bรผrokratie โ und fรผr viele auch mehr Rente
Mit der Neuregelung zur Hochrechnung und zur Neufeststellung schafft der Gesetzgeber eine risikofreie Brรผcke zwischen Beschรคftigung und Rentenbezug.
Wer in den letzten Monaten vor dem Ruhestand รผberdurchschnittlich verdient hat, wird davon automatisch profitieren. Gleichzeitig entlastet die Reform Verwaltungen und Betriebe, weil Prozesse vereinheitlicht und digitalisiert werden.
Fรผr die โRentenboomerโ-Jahrgรคnge bedeutet das eine verlรคsslichere und gerechtere Festsetzung der Altersrente โ mit Nachzahlungen, wo sie hingehรถren