Mit dem „Gesetz zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur vollständigen Gleichstellung der Kindererziehungszeiten“ hat das Bundeskabinett Anfang August 2025 den ersten großen Baustein einer neuen Rentenreform vorgelegt.
Kern ist die Verlängerung der Haltelinie beim Rentenniveau und die sogenannte „Mütterrente III“. Daneben enthält der Regierungsentwurf Änderungen an den Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung sowie eine arbeitsrechtliche Neuerung zur Beschäftigung im Rentenalter.
Der Entwurf ist beschlossen, das parlamentarische Verfahren steht noch aus. Laut Bundesarbeitsministerium (BMAS) gehören Stabilisierung und Gleichstellung zu den zwei ersten Komponenten der Reform, die der Koalitionsausschuss zuvor vereinbart hatte.
Inhaltsverzeichnis
Stabilisierung: Haltelinie von 48 Prozent bis 2031
Wichtigstes Element des Rentenpakets ist die Verlängerung der Haltelinie: Das Sicherungsniveau vor Steuern soll bis zum 1. Juli 2031 nicht unter 48 Prozent fallen. Ohne diese gesetzliche Klammer würde die Rentenanpassungsformel nach 2025 wieder uneingeschränkt greifen – mit dem erwartbaren Ergebnis eines Absinkens des Rentenniveaus etwa um einen Prozentpunkt bis 2031.
Nach Regierungsangaben fällt dadurch eine Standardrente von 1.500 Euro zum 1. Juli 2031 um rund 35 Euro im Monat höher aus als ohne Haltelinie; der Effekt wirkt auch darüber hinaus fort, weil die zukünftigen Rentenanpassungen von einem höheren Niveau starten.
Die Mehraufwendungen der Rentenversicherung, die allein aus der verlängerten Haltelinie entstehen, soll der Bund vollständig ausgleichen.
Damit wird der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenanpassungsformel bis 2031 faktisch ausgesetzt, was höhere Rentenanpassungen im Zeitverlauf begünstigt.
Die Deutsche Rentenversicherung begrüßte den Kabinettsbeschluss, betonte aber zugleich, dass die durch die Haltelinie entstehenden Mehrkosten laut Entwurf durch den Bund erstattet werden sollen.
Gleichstellung: Mütterrente III ab 2027 – Auszahlung ab 2028
Die zweite große Säule ist die vollständige Gleichstellung der Kindererziehungszeiten: Für vor 1992 geborene Kinder werden künftig – wie schon für nach 1992 geborene Kinder – drei Jahre Kindererziehungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt.
Rechtswirksam werden die zusätzlichen sechs Monate pro Kind zum 1. Januar 2027; die technische Umsetzung erfolgt ab 1. Januar 2028, wodurch die Leistungen für 2027 rückwirkend ausgezahlt werden. Das BMAS rechnet mit rund zehn Millionen Begünstigten, vor allem Frauen. Finanziert wird die Verbesserung vollständig aus Steuermitteln.
Um eine Neufeststellung von Millionen laufender Renten zu vermeiden, ist eine pauschalierende Lösung vorgesehen. Wer bereits Zuschläge aus den Stufen 2014/2019 erhält, bekommt – sofern die Erziehung bis zum 30. Kalendermonat nach der Geburt erfolgte – zusätzlich einen halben persönlichen Entgeltpunkt gutgeschrieben. Auch diese Mehraufwendungen trägt der Bund dauerhaft.
Beitragszahler, Steuerzahler, Bundeszuschüsse: Wer finanziert was?
Der Regierungsentwurf verankert ausdrücklich, dass sowohl die Mehraufwendungen aus der Haltelinie als auch die aus der Mütterrente III vollständig aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden sollen. Für die Jahre 2026 bis 2031 wird dazu ein Vergleichswert des „hypothetischen“ aktuellen Rentenwerts ohne Niveauschutzklausel berechnet; aus der Differenz zu den tatsächlichen Aufwendungen ergibt sich der jährliche Erstattungsbetrag, der im Rentenversicherungsbericht ausgewiesen und durch das Bundesamt für Soziale Sicherung abgerechnet wird.
Damit sollen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler grundsätzlich entlastet bleiben, während der Bund die Reformkosten trägt.
Parallel dazu wird die Systematik der Bundeszuschüsse bereinigt und vereinheitlicht. Künftig werden allgemeiner Bundeszuschuss, zusätzlicher Bundeszuschuss und dessen Erhöhungsbetrag nach einem einheitlichen Muster fortgeschrieben.
Historische „Minderungsbeträge“ (z. B. 340 Mio. Euro und 409 Mio. Euro) werden formal aus dem Gesetz gestrichen, ihre mindernde Wirkung aber über abgesenkte Ausgangswerte fortgeschrieben – und damit dynamisiert. Auch Anrechnungen einzelner Erstattungen, etwa aus dem Fremdrentenrecht, entfallen; im Gegenzug entfällt die Erstattung selbst.
Ziel ist eine transparentere, weniger fehleranfällige Berechnung, ohne den Mittelabfluss des Bundes kurzfristig stark zu verzerren.
Mehr Puffer: Höhere Mindestrücklage der Rentenkasse
Ein drittes, oft übersehenes Element betrifft die Finanzen der Rentenversicherung. Die Untergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage steigt von bisher 0,2 auf künftig 0,3 Monatsausgaben. Damit wird die Liquiditätsreserve der Rentenkasse verbreitert.
Da eine Anhebung der Mindestrücklage in einem Jahr einmalig einen höheren Beitragssatz erforderlich machen kann, sieht der Entwurf für die Fortschreibung bestimmter Bundeszahlungen einen „rechnerischen Beitragssatz“ vor. So sollen automatische Mehrausgaben des Bundes, die allein aus diesem technischen Effekt resultieren, vermieden werden.
Arbeiten nach Erreichen der Regelaltersgrenze: Ende des Anschlussverbots
Auch arbeitsrechtlich dreht das Paket an einer Stellschraube: Das sogenannte Anschlussverbot bei sachgrundloser Befristung wird für Menschen aufgehoben, die die Regelaltersgrenze erreicht haben. Ihnen soll der Wiedereinstieg beim bisherigen Arbeitgeber mit einem befristeten Vertrag erleichtert werden.
Dabei bleiben die allgemeinen Grenzen der sachgrundlosen Befristung erhalten; zusätzlich nennt der Entwurf Obergrenzen für Gesamtdauer und Anzahl solcher Verträge bei demselben Arbeitgeber. Begründet wird die Änderung mit mehr Flexibilität für Ältere und einer Reaktion auf den Fachkräftemangel.
Zeitplan, Umsetzung, offene Punkte
Der Kabinettsbeschluss datiert vom 6. August 2025. Der Regierungsentwurf liegt vor, das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag und Bundesrat steht aus; ein Inkrafttreten ist je nach Teilregelung zum 1. Januar 2026 beziehungsweise zum 1. Januar 2027/2028 vorgesehen.
Zudem verpflichtet der Entwurf die Bundesregierung, 2029 einen Bericht vorzulegen, wie Vertrauen in Stabilität und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente nach 2031 weiter gestärkt werden kann. Damit wird ausdrücklich über den Horizont der Haltelinie hinausgedacht.
Einordnung: Gewinner, Risiken, Verteilungseffekte
Kurzfristig stabilisiert die Haltelinie das Leistungsniveau; Renten steigen bis 2031 mindestens im Gleichschritt mit den Löhnen. Das schützt heutige Rentnerinnen und Rentner vor relativen Einbußen und gibt künftigen Rentenansprüchen einen höheren Ausgangswert.
Die Kehrseite ist die Verlagerung der Kosten in den Bundeshaushalt in einer Zeit ohnehin hoher fiskalischer Ansprüche. Das BMAS skizziert zugleich, dass der Beitragssatz voraussichtlich erst ab 2027 steigen wird; die wichtigsten Elemente des Pakets sollen jedoch beitragsseitig „neutral“ bleiben, weil der Bund kompensiert.
Dieser Konstruktionsgedanke nimmt Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern kurzfristig Druck, erhöht aber die Abhängigkeit der Rentenversicherung von Steuermitteln.
Bei der Gleichstellung der Kindererziehungszeiten handelt es sich sozialpolitisch um einen lange erhobenen Gerechtigkeitsanspruch. Millionen vor 1992 geborener Kinder werden nun so bewertet wie später Geborene.
Profitieren werden überwiegend Frauen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien. Kritikerinnen und Kritiker monieren dennoch die ungleiche Zielgenauigkeit, während Sozialverbände die Stabilisierung grundsätzlich begrüßen, zugleich aber ein höheres Rentenniveau fordern.
Anhebung der Mindestrücklage verbessert den Puffer der Rentenkasse
und reduziert das Risiko kurzfristiger Liquiditätsengpässe. Der vorgesehene rechnerische Beitragssatz verhindert, dass der Bund allein wegen dieses technischen Effekts automatisch mehr zahlen muss.
Aus beitrags- und haushaltspolitischer Sicht ist das folgerichtig; in der öffentlichen Wahrnehmung wird diese „Feinmechanik“ der Zuschussberechnung indes wenig sichtbar bleiben.
Schließlich kann die Aufhebung des Anschlussverbots die Erwerbsbeteiligung im Rentenalter erhöhen – ein Baustein gegen Fachkräfteengpässe. Arbeitsrechtlich bleibt zu beobachten, ob die neu geschaffene Flexibilität passgenau genutzt wird oder ob sich daraus neue Formen der Befristungskaskaden ergeben. Die im Entwurf verankerten Obergrenzen und die Fortgeltung der allgemeinen Befristungsregeln sollen dem vorbeugen.
Fazit
Das Rentenpaket 2025 kombiniert Symbolik und Substanz. Symbolisch ist das klare Bekenntnis zur Haltelinie, substanziell die schrittweise Schließung einer Gerechtigkeitslücke bei der Anerkennung von Erziehungszeiten. Technisch anspruchsvoll, aber für die Finanzierung entscheidend, sind die neuen Regeln für Bundeszuschüsse und Rücklagen.
Entscheidend wird nun, ob Parlament und Bundesrat die Balance zwischen Leistungsversprechen, Beitragsstabilität und Haushaltsrealität mittragen – und ob die 2029 vorgesehene Bestandsaufnahme rechtzeitig Antworten für die Zeit nach 2031 liefert.
Quellenhinweise: Offizielle Informationen des BMAS zum Rentenpaket 2025, zur Verlängerung der Haltelinie und zur Mütterrente III; Übersichtsdokument von Portal Sozialpolitik zum Kabinettsbeschluss mit technischen Details zu Bundeszuschüssen, Rücklage und Erstattungsmechanismus; Stellungnahmen und Einordnungen u. a. der Deutschen Rentenversicherung sowie der Bundesregierung.