Keine Witwenrente: Versorgungsehe auch nach der Heirat

Lesedauer 4 Minuten

Wenn eine Ehe weniger als ein Jahr angedauert hat, müssen wichtige Gründe vorliegen, damit die Rentenversicherung eine Hinterbliebenenrente bewilligt. Denn die Betroffenen müssen den Verdacht ausräumen, dass die Versorgung nach dem Tod das entscheidende Motiv für die Heirat war.

Keine Versorgungsehe bei unvorhersehbarem Tod

Bei unvorhersehbaren Toden (wie zum Beispiel einem Verkehrsunfall) wird eine Witwenrente auch bei Ehedauer unter einem Jahr bewilligt. Liegt jedoch bereits beim Eheschuss eine schwere Erkrankung vor, so steigt die Beweislast für die Hinterbliebenen dafür, dass Versorgung nicht die Hauptrolle für die Heirat spielt, mit dem Todesrisiko an.

Pflegebedürftigkeit und schwere Erkrankungen

Die Aspekte werden im Einzelfall abgewogen. Das kann kompliziert werden, wenn der Verstorbene bereits bei der Heirat und an verschiedenen Krankheiten litt. Wenn der Grund für die Ehe eine Versorgungsehe war, kann dies auch gelten, obwohl die konkrete Todesursache zu Beginn der Ehe nicht vorlag. Dies geht aus einem Urteil Bayerischen Landessozialgericht hervor. (L 13 R 68/19)

Ehemann braucht barrierefreie Wohnung

Die Betroffene heiratete den Versicherten am 31.07.2013, und er starb am 14.07.2014. Beide lebten in getrennten Wohnungen. Nach Aussagen der Witwe lag dies daran, dass der Ehemann als Rollstuhlfahrer auf seine behindertengerechte Wohnung angewiesen gewesen sei, während die Tochter die Wohnung der Ehefrau benötigt hätte, da sie in der Nähe zur Schule gegangen sei. Sie seien seit 2012 verlobt gewesen und hätten den Hochzeitstermin wegen diverser Erkrankungen der Witwe mehrfach verschieben müssen.

Nach dem Tod beantragte sie eine Hinterbliebenenrente. Sie erklärte, ihr Ehemann sei plötzlich verstorben aufgrund eines Herzinfarktes.

Die Versicherung lehnte den Antrag ab. Die Ehe habe weniger als ein Jahr gedauert, und die vorgetragenen Gründe könnten nicht widerlegen, dass der überwiegende Zweck der Heirat ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung sei. Im Widerspruchsverfahren erklärte die Betroffene, sie hätten eine ganz normale Ehe geführt, und erst im Mai 2014 sei bei dem Ehemann Harnblasenkrebs diagnostiziert worden.

Rentenversicherung sieht Ehe als Versorgungsehe an

Ein Widerspruch blieb ohne Erfolg. Die Rentenversicherung begründete dies damit, dass die Betroffene trotz Aufforderung keine ärztlichen Bescheinigungen über den Gesundheitszustand des Verstorbenen vor dem 31.07.2013 eingereicht hätte. So sei es nicht möglich, die damalige Gesundheit zu beurteilen. Außerdem hätte die Betroffene mit dem Vater ihrer Tochter auch weiterhin in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Die Witwe klagte vor dem Sozialgericht München.

Krebsdiagnose erst Monate nach der Eheschließung

Die Betroffene erklärte vor Gericht, sie hätten eine geeignete und größere Wohnung für die Eheleute und die Tochter gesucht. Der Sohn des Verstorbenen bestätigte, dass der Sohn und die Witwe zwischen 1992 bis 2001 ein Paar gewesen seien und in einer gemeinsamen Wohnung gelebt hätten.

Als Polizist sei der Sohn viel unterwegs gewesen, und in dieser Zeit hätten die Witwe und sein Vater sich näher kennengelernt. Auch bei Urlauben in der Türkei in den 1990er Jahren seien sowohl die Witwe wie der Verstorbene dabei gewesen. 1999 hätten der Sohn und die Witwe sich einvernehmlich getrennt.

Kindsvater war aggressiv und unzuverlässig

Nach der Trennung sei die Betroffene mit dem Kindsvater zusammengekommen und dieser bei ihr in die Wohnung gezogen. Sein Vater hätte ein Bein verloren und sei pflegebedürftig geworden. Auch nach der Geburt der Tochter hätten sein Vater, er und die Betroffene sich gut verstanden.

Der Kindsvater sei unzuverlässig gewesen, computersüchtig geworden und habe getrunken. Er habe die Betroffene gezwungen, ein zweites Kind abzutreiben. Ihn und seinen Vater habe dies sehr erschüttert. Sie hätten die Betroffene regelmäßig besucht, ihr Essen gekocht oder vorbeigebracht.

Verstorbener war seelischer Halt

Wegen der fehlenden Versorgung durch den Kindsvater habe die Betroffene sich den Lebensunterhalt mit dem Reinigen von Bahnhofstoiletten verdienen müssen. Die Situation habe dazu geführt, dass die Betroffene sich in stationäre Behandlung begeben hätte. Der Verstorbene sei ihr seelischer Halt gewesen.

Als der Kindsvater der Betroffenen gegenüber handgreiflich geworden sei, habe sein Vater ihr 2012 einen Heiratsantrag gemacht. Sie habe zugestimmt, aber gesagt, sie wolle für die Hochzeit erst gesund werden. Leider hätten sie keine gemeinsame Wohnung gefunden.

Zahlreiche Erkrankungen und Tod

Medizinische Befundberichte zeigten, dass der Verstorbene nach einer Amputation am Oberschenkel und Hirninfarkten unter zahlreichen Erkrankungen litt. Er hatte demnach ein Hochrisikoprofil für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einen Herzinfarkt hinter sich und eine koronare Herzkrankheit.

Am 11.06.2014 sei ein Blasentumor diagnostiziert worden, und am 1.07.2014 sei die Harnblase entfernt worden. Durch ein septisches Multiorganversagen und einen zusätzlichen Herzinfarkt sei er am 14.07.2014 verstorben.

Die Befunde zeigte allerdings, dass das Karzinom erst kurz vor seinem Tod diagnostiziert worden war. Der ärztliche Befund schloss, dass trotz der vielen Krankheiten keine hohe Wahrscheinlichkeit bestanden hätte, dass der Betroffene innerhalb eines Jahres nach der Hochzeit sterben würde.

Sozialgericht sieht trotzdem Versorgungsehe

Das Sozialgericht erkannte zwar an, dass die Vorerkrankungen nicht die Ursache für den Tod des Ehemannes waren. Trotzdem, so die Richter, würden die Umstände der Heirat weiterhin für eine Versorgungsehe sprechen.

Berufung bleibt erfolglos

Die Witwe legte Berufung vor dem Landessozialgericht ein, doch dort scheiterte sie ebenfalls. Die dortigen Richter erklärten ausführlich, dass es sich um eine Versorgungsehe gehandelt hätte. So sei der Zeitpunkt der Hochzeit und davor von wirtschaftlicher Not und Krankheit der Kälgerin gepärgt gewesen.

Schutzgemeinschaft statt Ehe

Grund für den Heiratsantrags sei die Zuspitzung der Situation und ein gewaöttätiger Übergriff des Kindsvaters gewesen. Die Richter führten aus:

„Selbst wenn diese Schilderung uneingeschränkt der Beurteilung des Senats zugrunde gelegt wird, ergibt sich danach ein Bild, in dem die Klägerin einerseits als schutzbedürftig und leidend und andererseits als fürsorglich dem Versicherten zugewandt beschrieben wird. Sowohl der Versicherte als auch sein Sohn hätten danach nicht mehr ertragen, mit anzusehen, wie schlecht die Klägerin von dem als wenig fürsorglich bis gewalttätig beschriebenen Vater ihrer Tochter behandelt wird. Um die Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft, wie es § 1353 BGB vorsieht, ist es danach zu keinem Zeitpunkt gegangen, sondern ausschließlich um die Unterstützung der Klägerin.“

Die Richter sahen auch das von der Betroffenen geschilderte Bild als Belege dafür, dass der entscheidende Grund für die Ehe gewesen sei, sie finanziell abzusichern. Demnach habe sie keinen Anspruch auf eine Witwenrente.

Tragisch, aber rechtlich begründet

Für die Witwe ist das Urteil ein Desaster, denn es verschlimmert die finanzielle Notlage und die katastrophale Situation gegenüber dem Kindsvater. Es sprach aber tatsächlich alles für eine Versorgungsehe, und dies auch ohne, dass die Betroffene den Tod des Ehemanns im Jahr nach der Eheschließung erwarten konnte.

Schwierig an diesem Fall ist, dass es zwar eindeutig um die Versorgung und Unterstützung der Betroffenen ging, allerdings vermutlich nicht um eine Versorgung in Form einer Hinterbliebenenrente.

Letztlich war es die Einjahres-Frist, die der Betroffenen den Boden unter den Füßen wegzog. Diese endete am 31.07.2014. Wäre der Ehemann nur zweieinhalb Wochen später verstorben, dann hätte die Frage, ob es sich um eine Versorgungsehe handelte, keine Rolle mehr gespielt. Denn die Witwe hätte dann auf jeden Fall einen Anspruch auf eine Rente gehabt.