Schwerbehinderung: Krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigt keine Gleichstellung

Ab einem Grad der Behinderung von 30 können Sie am Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, und in diesem Fall gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Voraussetzung für eine Gleichstellung ist, dass Ihr Arbeitsplatz konkret gefährdet ist – und dies wegen der Behinderung. Eine vergangene krankheitsbedingte Kündigung reicht für diesen Anspruch nicht aus, entschied das Sozialgericht Ulm. (Az: S6 AL 362/16)

Sozialrecht und Arbeitsrecht

Bei der Frage nach einer Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz mit Schwerbehinderung gehen Sozialrecht / Behindertenrecht und Arbeitsrecht ineinander über. Dies führt bisweilen bis zu rechtlichen Konflikten und immer wieder auch zu Schwierigkeiten der Richter, die Problemlage einzuschätzen. Das wird in diesem Fall deutlich.

Grad der Behinderung von 30

Der Betroffene arbeitet als Montierer in der metallverarbeitenden Industrie. Er hat einen anerkannten Grad der Behinderung von 30, vor allem wegen Herzerkrankungen und Bluthochdruck. Er ist wegen dieser Erkrankungen körperlich nur eingeschränkt belastbar.

Häufige Fehlzeiten und Kündigungen

Wegen seiner Erkrankungen fehlte der Betroffene über viele Jahre hinweg sehr häufig, und dies über längere Zeiten. 2015 kündigte ihm sein Arbeitgeber wegen dieser Fehlzeiten zweimal. Doch die Kündigungen wurden vor Gericht jeweils aufgehoben, weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich über eine Weiterbeschäftigung einigten.

Arbeitnehmer beantragt Gleichstellung

Zeitnah zu diesem Verfahren beantragte der Betroffene vor dem zuständigen Landratsamt die Gleichstellung mit einem schwer behinderten Menschen.

Der Arbeitgeber äußerte dazu, der bestehende Arbeitsplatz sei für den Betroffenen ungeeignet, was seine hohen Fehlzeiten belegten. Ein alternativer Arbeitsplatz im Betrieb sei nicht vorhanden.
Das Landratsamt lehnte die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen ab, und der Betroffene klagte vor dem Sozialgericht.

Sozialgericht entscheidet gegen die Gleichstellung

Das Sozialgericht Ulm gestand dem Betroffenen keine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen zu. Es begründete dies damit, dass die Gleichstellung nicht erforderlich sei, um den Arbeitsplatz zu erhalten. Er sei zwar behindert, und der Arbeitsplatz auch für ihn geeignet. Da seine Herzerkrankung abschließend behandelt worden sei, können er ohne negative Folgen die Tätigkeit eines Monteurs ausüben.

Eine Gleichstellung infolge seiner Behinderungen sei bei ihm nicht erforderlich. Dies gelte nur dann, wenn die Art und Schwere einer Behinderung erschwere, einen geeigneten Arbeitsplatz zu behalten oder zu bekommen. Zumindest müsse die Behinderung wesentlich für die Probleme am Arbeitsmarkt sein.

Dafür reichten betriebliche Defizite nicht aus, wenn sie nicht auf der Behinderung beruhten. Ausschlaggebend seien vielmehr die vom Versorgungsamt festgestellten Beschweren, also die Herzerkrankung, der Bluthochdruck und die verminderte Herzleistung.

Zwar seien diese häufig Ursache der Fehlzeiten und der zwei Kündigungen gewesen. Doch hätte das Arbeitsgericht die Kündigungen für unwirksam erklärt. Deshalb sei eine Gefährdung des Arbeitsplatzes unwahrscheinlich. Es bestehe auch keine negative Gesundheitsprognose mehr, und die Herzerkrankung sei ausbehandelt.

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Kritik am Urteil vom Rechtsschutz des DGB

Der Rechtsschutz des DGB sieht die Begründung des Gerichts kritisch: „Die Rechtsunwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung hat (…) eher wenig mit den Voraussetzungen der Gleichstellung im Recht der schwerbehinderten Menschen zu tun. Dort geht es ausschließlich um die Frage, ob vorhandene Behinderungen es rechtfertigen, einen behinderten Menschen mit einem schwer behinderten Menschen gleichzustellen.“

Versuchte Kündigungen zeigen eine Gefährdung des Arbeitsplatzes

Richtig sei indessen, dass das Behalten oder Erlangen eines leidensgerechten Arbeitsplatzes ein wesentliches Kriterium für eine Gleichstellung sei. Die konkrete Bedrohung des Arbeitsplatzes müsse zudem mit der Behinderung zusammen hängen.

Im Unterschied zu den Richtern sagt der Rechtsschutz des DGB jedoch, dass ein vergangener Versuch, den Betroffenen zu kündigen, durchaus für eine Gefährdung des Arbeitsplatzes spricht.

Zu starker Fokus auf Arbeitsrecht

Auch den alleinigen Bezug auf die Feststellungen des Versorgungsamts sieht der DGB kritisch. So erkenne das Gericht nicht den Unterschied zwischen Behinderung und Regelwidrigkeiten nicht. Grundsätzlich geht der DGB Rechtsschutz davon aus, dass das Urteil der Ulmer Richter sich zu stark auf Arbeitsrecht konzentriert hätte statt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu studieren.