Pflegegrad erhöhen oder beantragen: 5 Fehler vermeiden und mehr Pflegegeld bekommen

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Wer einen Pflegegrad erreichen oder erhöhen will, muss sich einer Begutachtung unterziehen. Dabei kommt es seitens der Betroffenen immer wieder zu Fehlern, die vermieden werden können. Welche Fehler das sind und welche Strategie am besten ist, um mehr Pflegegeld zu erreichen, das lest ihr in diesem Beitrag.

Sechs Module entscheiden über Pflegegrad

Seit der Reform des Pflegeversicherungsrechts 2017 entscheidet ein strukturiertes Begutachtungsverfahren mit sechs Modulen, wie viele Punkte eine Antragstellerin oder ein Antragsteller erhält und welcher Pflegegrad daraus resultiert.

Bewertet werden Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen sowie die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.

Die Gewichtung einzelner Module – beispielsweise 20 Prozent für das fünfte und 15 Prozent für das sechste Modul – macht deutlich, dass keine Dimension vernachlässigt werden darf.

Mit jedem zusätzlichen Punkt verbessert sich nicht nur der Zugang zu Sach- und Geldleistungen, sondern auch das verfügbare Budget für Kurzzeit-, Tages- oder Verhinderungspflege. Seit 1. Januar 2025 stiegen alle Pflegeleistungen um 4,5 Prozent, die Pflegesachleistungen etwa erhöhen sich im Pflegegrad 3 von 1 .432 Euro auf 1 .497 Euro im Monat.

Wer heute falsch eingestuft wird, verzichtet also künftig auf noch höhere Beträge.

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Fehler 1: Ein makelloses Zuhause – warum Ordnung zum Stolperstein wird

In vielen Haushalten wird vor dem Besuch des Medizinischen Dienstes aufgeräumt und geputzt, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Doch genau dieser Reflex kann für Skepsis sorgen.

Das Begutachtungsschema berücksichtigt ausdrücklich, wie selbstständig eine Person ihren Alltag bewältigt. Wirkt die Wohnung tadellos, liegt für Gutachterinnen und Gutachter die Annahme nahe, dass Reinigungs- und Organisationsaufgaben ohne nennenswerte Hilfe erledigt werden können.

Wer Unterstützung benötigt, sollte daher keinen museal vollendeten Zustand präsentieren, sondern den üblichen Wohnalltag zeigen – selbst wenn die pflegende Person kurz zuvor geholfen hat.

Fehler 2: Verharmlosung eigener Einschränkungen – ein fatales Missverständnis

Viele Menschen neigen in offiziellen Situationen dazu, ihre Defizite herunterzuspielen. Gerade Themen wie Inkontinenz, Orientierungsprobleme oder Schwindelgefühl sind unangenehm. Im Pflegegradverfahren zählt jedoch die schonungslose Realität.

Nur belegte Beeinträchtigungen führen zu Punkten; ausgesparte Details reduzieren das Ergebnis. Wer die Scham überwindet und Symptome exakt schildert, steigert die Chancen auf eine bedarfsgerechte Einstufung erheblich.

Fehler 3: Unvorbereitet in das Gespräch – verschenkte Punkte

Gutachterinnen und Gutachter arbeiten nach einem festen Fragenkatalog. Wer die Module vorab studiert, kann typische Szenarien durchdenken und Beispiele aus dem eigenen Alltag sammeln.

Sinnvoll ist eine Liste sämtlicher Diagnosen, Medikamente und deren konkreter Auswirkungen. So gerät kein Detail in Vergessenheit, wenn der Besuch schneller verläuft als erwartet. Gleichzeitig signalisiert eine strukturierte Vorbereitung, dass die Antragstellerseite den Prozess ernst nimmt und vollständige Angaben machen möchte.

Fehler 4: Allein vor dem Gutachter – warum eine Begleitperson unverzichtbar ist

Pflegebedürftige unterschätzen häufig Gefahren oder erinnern sich in Stresssituationen nicht an alle Schwierigkeiten. Eine nahestehende Begleitperson kann Beobachtungen ergänzen, Distanzen oder Reaktionszeiten realistisch einschätzen und darauf achten, dass zuvor notierte Stichpunkte zur Sprache kommen.

Da einige Kriterien – etwa die Gefahrenerkennung – nur Außenstehende glaubwürdig beurteilen können, erhöht eine zweite Perspektive die Genauigkeit des Gutachtens spürbar.

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Fehler 5: Fehlende Expertise – wenn ärztliche Nachweise fehlen

Bestimmte Module des Begutachtungsinstruments benötigen fachliche Diagnosen. Psychische oder neurologische Einschränkungen fließen nur dann in die Bewertung ein, wenn sie durch einen Arzt oder eine Psychotherapeutin dokumentiert sind.

Gleiches gilt für den therapeutischen Aufwand: Punkte für Physio-, Ergo- oder Logotherapie werden vergeben, wenn klar ist, dass die Termine regelmäßig wahrgenommen werden müssen oder Wege zur Praxis beschwerlich sind.

Wer bislang ausschließlich Hausbesuche erhält, kann – falls medizinisch vertretbar – vor dem Gutachten auf ambulante Termine umstellen und damit zusätzliche Punkte erschließen. Eine rechtzeitige Konsultation des Hausarztes, eines Pflegestützpunktes oder einer unabhängigen Pflegeberatung hilft, solche Stellschrauben zu identifizieren.

Wenn der Pflegegrad zu niedrig ausfällt – Widerspruch einlegen

Fällt der Bescheid der Pflegekasse geringer aus als erwartet, endet das Verfahren nicht automatisch. Wie jeder Verwaltungsakt kann auch die Einstufung in einen Pflegegrad angefochten werden.

Wer den Bescheid erhält, hat in der Regel einen Monat Zeit, schriftlich Widerspruch einzulegen; fehlt eine korrekte Rechtsbehelfs­belehrung, verlängert sich die Frist auf bis zu ein Jahr.

Wichtig ist, dass der Einspruch fristgerecht bei der Pflegekasse eingeht, Aktenzeichen und Datum des Bescheids nennt und eindeutig erklärt, dass gegen die Entscheidung Widerspruch erhoben wird. Eine ausführliche Begründung darf nachgereicht werden, wenn Unterlagen noch gesammelt werden müssen.

Nach Eingang des Schreibens prüft die Kasse den Fall erneut. Häufig beauftragt sie den Medizinischen Dienst mit einer sogenannten Widerspruchsbegutachtung, die entweder als Hausbesuch oder – seltener – auf Aktenbasis stattfindet.

Auch zu diesem Termin sollten alle medizinischen Berichte, Medikamentenpläne und Beobachtungen sorgfältig vorbereitet vorliegen, damit zuvor übersehene Einschränkungen nun in die Bewertung einfließen können.

Die Erfahrung zeigt, dass sich Einwände lohnen: Im Jahr 2022 wurde fast jeder dritte Widerspruch ganz oder teilweise anerkannt, sodass der Pflegegrad rückwirkend korrigiert werden musste. Eine erfolgreiche Korrektur führt dazu, dass alle höheren Geld- und Sachleistungen ab Erstantrag nachgezahlt werden.

Bleibt die Pflegekasse auch nach der zweiten Prüfung bei ihrer Ablehnung, steht der Weg zum Sozialgericht offen. Das Klageverfahren ist für Versicherte gerichtskostenfrei und bietet die Möglichkeit einer neutralen richterlichen Entscheidung. Oft genügt jedoch bereits der Widerspruch, um berechtigte Ansprüche durchzusetzen.

Fazit

Pflegegradbegutachtungen sind Momentaufnahmen, die jedoch langfristige finanzielle Folgen haben.

Ein reales Wohnumfeld, richtige Selbsteinschätzung, gründliche Vorbereitung, vertrauensvolle Begleitung und rechtzeitiger fachlicher Rat bilden gemeinsam das beste Fundament für eine faire Einstufung. Wer diese Prinzipien beherzigt, verhindert, dass wertvolle Unterstützung auf der Strecke bleibt – und wahrt das Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung in einer Lebensphase, in der beides besonders wichtig ist.