Eingliederungshilfe: Kosten für ein Erwachsenendreirad als Leistung zur sozialen Teilhabe
Behinderten Menschen sollen nicht in die Rolle eines Bittstellers gedrängt werden, die UN-BRK Artikel 19 (Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft ) ist als Auslegungshilfe im nationalen Recht heranzuziehen (BVerfG vom 30. Januar 2020 – 2 BvR 1005/18 – ).
Was wurde verhandelt?
Eine Schwerbehinderte, an Übergewicht leidende Antragstellerin mit Angststörungen und Panickattacken und Rollator-Fahrerin hat einen Anspruch auf ein Erwachsenendreirad, wenn hierdurch das Teilhabeziel der Sozialen Teilhabe verwirklicht wird.
Ein Erwachsenendreirad deckt nicht nur allein die Mobilität ab, sondern kann auch der eigenständigen und selbstbestimmten Lebensführung im Rahmen des Teilhabeziels Soziale Teilhabe dienen, so die Auffassung des SG Lüneburg, Urteil vom 10.06.2025 – S 38 SO 96/23 – .
Die Klägerin zählt angesichts ihrer Angsterkrankung mit Panikattacken und dem anerkannten Grad der Behinderung von 50 zum leistungsberechtigten Personenkreis. Damit ist es Aufgabe der Behörde, die Klägerin durch die Gewährung von Leistungen zur sozialen Teilhabe zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen, § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, denn auch Hilfsmittel gehören – zur sozialen Teilhabe.
Das Erwachsenendreirad stellt ein solches Hilfsmittel dar
Nach Auffassung der Kammer wird die Schwerbehinderte mit diesem Erwachsenendreirad befähigt, sich selbstständig außerhalb ihres Wohnraums in ihren Sozialraum zu begeben, Selbsthilfegruppen zu besuchen, das offene Café der Arbeiterwohlfahrt, den Frühstückstreff des sozialpsychiatrischen Dienstes und auch ihren Sohn, der an Krebs erkrankt ist und im gleichen Ort wohnt.
Auch hat eine Probefahrt hat gezeigt, dass die Klägerin sowohl in der Lage ist, dass Dreirad zu beherrschen als auch, es alleine zu nutzen. Gerade im Vergleich zu Taxifahrten bietet es den Vorteil, dass das Erwachsenendreirad vor der Tür abgestellt werden kann und damit jederzeit zur Verfügung steht, sollte die Klägerin von Angst ergriffen werden und den Wunsch verspüren, den aktuellen Aufenthaltsort zu verlassen.
Kosten sind zur Überzeugung der Kammer auch erforderlich
1. Weil Fahrdienste oder Taxiunternehmen der Klägerin nicht die gleiche Sicherheit gäben, da diese in der Regel nicht auf unbestimmte Zeit vor Ort während des Aufenthalts der Klägerin bei einem Frühstückstreff oder Café warteten.
2. Zum anderen kann für die hier vielseitig angesprochene Freizeitgestaltung – Selbsthilfegruppen, Frühstückstreffs, offenes Café, Besuchsfahrten – auch nicht vollständig auf die Hilfe durch Familie, Freunde und Verwandte verwiesen werden. Denn bereits im Hinblick auf die Tageszeiten der angebotenen Treffs möchte die Klägerin flexibel sowohl vormittags als auch nachmittags das Haus verlassen können, sodass berufstätige Verwandtschaft oder Bekannte kaum in gleicher Weise flexibel zur Verfügung stehen können.
Fazit
Selbstbestimmtheit und Eigenständigkeit ist – vordergründiges Ziel – der Eingliederungshilfe
Der behinderte Mensch soll nicht in die Rolle eines Bittstellers gedrängt werden, vgl. auch Art 19 UN-BRK, denn die UN-BRK ist als Auslegungshilfe im nationalen Recht heranzuziehen (BVerfG vom 30. Januar 2020 – 2 BvR 1005/18 – ). Nach Art 19 UN-BRK ermöglichen die Vertragsstaaten behinderten Menschen eine unabhängige Lebensführung.
Auch in diesem Licht betrachtet sind die personenzentrierten Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 104 Abs. 1 SGB IX an der Besonderheit des Einzelfalls zu messen und nach Abs. 2 ist Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen, soweit diese angemessen sind.
Die Angemessenheit liegt hier bereits darin begründet, dass ein gleich geeignetes Mittel zur Deckung des Bedarfs nicht vorhanden ist. Von einer Unangemessenheit kann darüber hinaus angesichts des vorgelegten Kostenvoranschlags auch – nicht die Rede sein.