Eine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren liegt nicht vor, wenn die entsprechende Stelle bereits vor der Bewerbung besetzt ist. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber zuvor weder die Agentur für Arbeit noch die Schwerbehindertenvertretung benachrichtigt hat. So entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Fall, der bis heute als Maßstab dienen kann. (8 AZR 608/10)
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Stellenausschreibung für einen Entwicklungsingenieur
Der Arbeitgeber schrieb auf seiner Homepage die Stelle eines Entwicklungsingenieurs Digitale Elektroniken (m/w/d) aus. Anforderungen waren ein abgeschlossenes (Fach-) Hochschulstudium, Erfahrung mit der Entwicklung digitaler Schaltungen, Versiertheit im Umgang mit DSP, CPLD, FPGA und Kenntnisse in Echtzeitanwendungen, Echtzeitbetriebssystemen und DSP-Assemblerprogrammierung.
Keine Suche nach schwerbehindertem Bewerber
Der Arbeitgeber nahm keinen Kontakt zur Agentur für Arbeit auf und beteiligte auch nicht die Schwerbehindertenvertretung. Damit verstieß er gegen die Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach Paragraf 71 des Sozialgesetzbuches IX.
Die Stelle wird vergeben
Ein nicht behinderter Bewerber bekam die Stelle und schloss mit dem Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag ab. Der Arbeitgeber unterließ es, umgehend die Stellenausschreibung von der Homepage im Internet zu löschen.
Ein Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung, der spätere Kläger, sah die Stellenausschreibung und bewarb sich unverzüglich per E-Mail darauf. Er schrieb unter anderem:
„Meine Berufserfahrung als Entwicklungsingenieur umfasst mehrere Jahre, in denen ich sowohl Hardware digitaler Elektroniken als auch die zugehörige Firmware zum Betrieb der eingesetzten Mikrocontroller entwickelte. Zur Software-Entwicklung benutzte ich die Programmiersprache C, oder programmierte in Assembler. Die umfassende Projektbearbeitung inklusive Lastenhefterstellung und Produktionsübergabe ist mir geläufig.
Die Schwerbehinderung, die bei mir gemäß Schwerbehindertengesetz anerkannt wurde, hat bei Ausübung berufsüblicher Tätigkeiten keinen Einfluss darauf.“
Bewerber vermutet Diskriminierung
Der Arbeitgeber teilte ihm mit, dass die Stelle anderweitig vergeben sei. Der Bewerber äußerte gegenüber dem Arbeitgeber die Vermutung, er sei wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren diskriminiert worden nach Paragraf 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Er forderte Schadensersatz und Entschädigung und klagte vor dem Arbeitsgericht.
Wie begründete er seine Vermutung?
Er argumentierte, der Arbeitgeber habe nicht geprüft, ob die Stelle mit einem schwerbehinderten Menschen hätte besetzt werden können, insbesondere mit einem Betroffenen, der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sei. Der Arbeitgeber habe in dieser Sache nicht frühzeitig Kontakt zur Bundesagentur für Arbeit aufgenommen. Dazu sei er aber laut Paragraf 81 des Sozialgesetzbuches IX verpflichtet.
Spätere Bewerbung sieht der Kläger als Schuld des Arbeitgebers
Der schwerbehinderte Bewerber führte aus, dass er sich bei einer frühzeitigen Information der Bundesagentur für Arbeit rechtzeitig auf die Stelle hätte bewerben können und eingestellt worden Zumindest aber hätte seine Bewerbung nicht mit dem Hinweis abgelehnt werden können, dass die Stelle bereits besetzt sei.
Kläger fordert 12.000,00 Euro Entschädigung
Auch die Schwerbehindertenvertretung sei nicht am Bewerbungsverfahren beteiligt gewesen, und das rechtfertige ebenfalls die Vermutung, dass Diskriminierung aufgrund der Behinderung vorliege. Der Kläger forderte deshalb eine Entschädigung in Höhe von mindestens drei Monatsgehältern in Höhe von jeweils 4.000,00 Euro.
Keine Diskriminierung, da die Stelle vergeben war
Der Arbeitgeber schloss eine Diskriminierung aus. Diese liege nicht vor, da die Stelle bereits vor dem Bewerbungseingang vergeben gewesen sei. Eine fehlende Beteiligung der Agentur für Arbeit könne in diesem Fall deshalb per se nicht als Indiz für eine Diskriminierung dienen. Außerdem ginge es dem Kläger lediglich um die Entschädigung. Er sei nie ernsthaft an der Stelle interessiert gewesen.
Alle Instanzen des Arbeitsgerichts sind sich einig
Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht wiesen alle drei die Klage ab. Da keine verfügbare Stelle mehr existiert habe könne auch keine Diskriminierung vorliegen. Es habe keine Entscheidung mehr über eine Einstellung gegeben, der Arbeitgeber konnte also niemanden bevorzugen oder wegen einer Behinderung benachteiligen.
Unterlassene Anfrage ist keine konkrete Diskriminierung
Zwar habe der Arbeitgeber seine Pflicht unterlassen, die Agentur für Arbeit zu benachrichtigen. Dies berechtige aber nicht zu der Vermutung, gerade der Kläger sei diskriminiert worden.
Wörtlich hieß es beim Bundesarbeitsgericht: „Die unterlassene Anfrage bei der Agentur für Arbeit vor der Ausschreibung oder Besetzung einer Stelle wirke nicht über die konkrete Stellenbesetzung hinaus, habe insbesondere keinerlei Außenwirkung gegenüber potenziellen Bewerbern um künftig zu besetzende Stellen. „Insofern unterscheide sich die Sachlage von einer angekündigten, in die Zukunft wirkenden Diskriminierung des Arbeitgebers, die schon Gegenstand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gewesen sei.“
Derjenige, der die Stelle bekam, habe sich auf eine ausgeschriebene und noch offene Stelle beworben. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer habe sich hingegen auf eine zwar noch ausgeschriebene, aber nicht mehr offene, sondern bereits besetzte Stelle beworben.
Kein Bewerbungsverfahren für besetzte Stelle
Das Gericht schloss: Der Arbeitgeber „hat (…) den Kläger deswegen nicht in die Auswahl bei der Stellenbesetzung einbezogen, weil (…) ihn in Ermangelung einer im Zeitpunkt der Besetzung vorliegenden Bewerbung weder einbeziehen konnte noch einbeziehen musste.“