Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Viele Betroffene leiden über Jahre – teils ohne adäquate Hilfe – unter den Folgen.
Eine Depression kann unter bestimmten Voraussetzungen als Behinderung anerkannt werden. Das kann sogar zu einer Schwerbehinderung führen. Doch der Weg dorthin ist steinig, voller Missverständnisse und juristischer Hürden.
Inhaltsverzeichnis
Wann gilt eine Depression als Behinderung?
Nicht die Diagnose allein entscheidet – sondern die tatsächliche Beeinträchtigung im Alltag. Das ist der zentrale Punkt: Der Grad der Behinderung (GdB) richtet sich danach, wie stark die psychische Erkrankung die Teilhabe am gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Leben einschränkt.
Leichte depressive Episoden ohne erhebliche Funktionseinbußen führen in der Regel zu keinem oder nur einem niedrigen GdB (unter 20). Erst bei deutlich spürbaren Auswirkungen – etwa starker sozialer Rückzug, reduzierte Belastbarkeit oder erhebliche Einschränkungen im Berufsleben – kann ein höherer GdB festgestellt werden.
Wie hoch ist der GdB bei Depressionen?
Die Bewertung erfolgt nach den “Versorgungsmedizinischen Grundsätzen”. Dabei werden Depressionen keiner eigenen Kategorie zugeordnet, sondern unter den Bereichen “Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumata” oder “affektive Psychosen” eingeordnet. Hier eine grobe Orientierung:
| Schweregrad | GdB-Spanne | Beschreibung |
| Leichte Depression | 0–20 | Kaum Beeinträchtigung im Alltag, Beruf weiter möglich |
| Mittelschwere Depression | 30–40 | Eingeschränkte Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, Rückzugstendenzen |
| Schwere Depression | 50–100 | Massive soziale Anpassungsschwierigkeiten, Erwerbsunfähigkeit |
Achtung: Eine Schwerbehinderung liegt erst ab einem GdB von 50 vor.
Antragstellung: Ohne Belege keine Chance
Der GdB wird nicht automatisch vergeben. Er muss beantragt werden – in der Regel beim zuständigen Versorgungsamt. Voraussetzung: Die psychische Erkrankung besteht seit mindestens sechs Monaten und beeinträchtigt das Leben dauerhaft. Der Antrag sollte gut vorbereitet sein. Denn: Je genauer die Beeinträchtigungen dokumentiert sind, desto höher die Erfolgschancen.
Ärztliche Befunde, Atteste und Gutachten sind das A und O. Sie müssen konkret beschreiben, wie sich die Depression auf Beruf, Familie, Freizeit, Alltagsbewältigung und soziale Beziehungen auswirkt. Allgemeine Diagnosen reichen nicht aus.
Das Versorgungsamt kann zusätzlich ein eigenes Gutachten anfordern, verlässt sich aber stark auf die Unterlagen der behandelnden Ärzt:innen.
Heilungsbewährung: Vorsicht bei Bipolaren Störungen
Bei lang andauernden depressiven Episoden mit früheren manischen oder bipolaren Phasen wird meist ein GdB von 50 gewährt – jedoch zunächst befristet. Grund: Die sogenannte “Heilungsbewährung”. Sie beträgt in der Regel zwei Jahre. Danach erfolgt eine Neubewertung. Ziel ist es, den dauerhaften Verlauf der Erkrankung besser einzuschätzen.
Tritt eine schwere depressive Episode erstmals auf und liegt keine bipolare Störung vor, kann auch dann ein GdB zwischen 30 und 40 anerkannt werden. Eine Befristung erfolgt dann seltener, sofern keine Besserung absehbar ist.
Depression ist nicht gleich Depression
Ein häufiger Streitpunkt ist die Diskrepanz zwischen subjektivem Erleben und objektiver Einschätzung. Wer unter Depressionen leidet, empfindet das eigene Leben oft als massiv eingeschränkt – auch wenn Beruf und Alltag scheinbar weiterlaufen.
Doch das Versorgungsamt beurteilt: Funktioniert die betroffene Person noch im Job? Gibt es soziale Kontakte? Werden alltägliche Aufgaben bewältigt?
Beispiel: Eine Lehrerin mit Depression, die nicht mehr unterrichten kann, wird anders eingestuft als jemand in einem Beruf mit wenig Sozialkontakt, der trotz Leidensdruck weiterarbeitet.
Kombination mit anderen Erkrankungen
Wichtig: Der GdB ist ein Gesamtwert. Depressionen treten oft gemeinsam mit anderen psychischen oder körperlichen Leiden auf – z. B. Angststörungen, Suchterkrankungen, chronische Schmerzen oder Stoffwechselerkrankungen. Jede dieser Diagnosen kann zusätzlich berücksichtigt werden, wenn sie eigene Beeinträchtigungen verursacht.
Das Zusammenspiel verschiedener Erkrankungen kann sich gegenseitig verstärken – und damit auch den GdB erhöhen. Eine Depression allein führt selten zu einem GdB über 50. In Kombination mit anderen gravierenden Erkrankungen sieht das anders aus.
Muss man sich behandeln lassen?
Immer wieder versuchen Versorgungsämter, einen GdB mit Verweis auf eine mögliche Therapie abzulehnen. Doch das ist rechtlich nicht haltbar. Eine Entscheidung darf nicht davon abhängen, ob eine Behandlung begonnen wurde oder nicht.
Auch Menschen, die aus Angst oder Krankheitseinsicht keine Therapie beginnen können, haben Anspruch auf einen realistischen GdB. Das hat unter anderem das Landessozialgericht Baden-Württemberg klargestellt (Az. L 6 SB 486/2).
Die Schwerbehinderung ist meist befristet
Psychische Erkrankungen gelten im Unterschied zu vielen körperlichen Leiden als potenziell heilbar. Deshalb werden GdB-Bescheide bei Depressionen oft nur befristet ausgestellt – meist für zwei bis fünf Jahre. Danach prüft das Amt erneut, ob sich der Gesundheitszustand verbessert hat.
Was tun bei Ablehnung?
Viele Anträge auf Anerkennung eines höheren GdB werden abgelehnt oder zu niedrig bewertet. Doch Betroffene müssen das nicht hinnehmen. Gegen einen Bescheid kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden.
Hilfreich ist, den Widerspruch gut zu begründen und gegebenenfalls mit weiteren ärztlichen Unterlagen zu untermauern. Bleibt der Widerspruch erfolglos, ist eine Klage vor dem Sozialgericht möglich.
Praktische Tipps: So stärken Sie Ihren Antrag
Wer eine Depression als Behinderung anerkennen lassen möchte, sollte sorgfältig dokumentieren, wie sehr die Erkrankung das tägliche Leben beeinträchtigt. Ein Tagebuch kann dabei enorm helfen: Es hält fest, wann welche Symptome auftreten, wie stark sie sind und welche Auswirkungen sie auf Beruf, Haushalt, soziale Kontakte und Freizeitverhalten haben.
Diese Aufzeichnungen liefern wertvolle Hinweise für medizinische Gutachten und können entscheidend für die Anerkennung eines angemessenen GdB sein.
Ebenso wichtig ist das offene Gespräch mit den behandelnden Ärzt:innen. Nur wenn diese umfassend über die tatsächlichen Einschränkungen informiert sind, können sie aussagekräftige Stellungnahmen verfassen.
Dabei kommt es auf Konkretheit an. Allgemeine Formulierungen helfen wenig – entscheidend ist, wie stark die Depression die Lebensführung tatsächlich beeinträchtigt.
Außerdem ist es ratsam, sich Unterstützung zu holen – sei es durch Sozialverbände, Behindertenbeauftragte oder spezialisierte Anwält:innen im Sozialrecht. Sie kennen die Fallstricke des Antragsverfahrens und können helfen, die richtigen Formulierungen und Nachweise zusammenzustellen.
Eine Depression kann sehr wohl als Behinderung anerkannt werden – doch nur, wenn die Einschränkungen klar belegt sind. Der Weg zur Anerkennung ist selten leicht, aber mit guter Vorbereitung und juristischem Durchblick machbar.




