Schwerbehinderung: Arbeitgeber muss Rücksicht auf Erkrankung nehmen – Urteil

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Gesundheitlich Eingeschränkte ohne Schwerbehindertenstatus können am Arbeitsplatz unter Umständen die gleichen Rechte beanspruchen wie Menschen mit Schwerbehinderung, und dies gilt besonders, wenn der Arbeitgeber keine Rücksicht auf ihre Erkrankung nimmt. So urteilte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 7 AL 333/03).

Gleichstellung mit Schwerbehinderung

Grundsätzlich ging es um die Frage der Gleichstellung behinderter Menschen mit einem Grad der Behinderung ab 30 mit Menschen mit Schwerbehinderung ab einem Grad von 50. Das Gericht konzentrierte sich darauf, ob die vorliegenden Behinderungen bei einer depressiven Erkrankung konkret den Arbeitsplatz gefährden. Zur Depression kam eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit zwanghafter Korrektheit.

Arbeitgeber kündigt aufgrund Illoyalität

Der Betroffene arbeitete als Bautechniker. Das Arbeitsverhältnis endete, weil er Sachverhalte seiner Vorgesetzten der Staatsanwaltschaft meldete, die er für unrechtmäßig hielt. Der Arbeitgeber kündigte ihm daraufhin mit der Begründung, er hätte die Loyalität gebrochen.

Der Arbeitgeber berief sich dabei auf den Paragrafen 8 Abs. 1 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT). Die Rechtmäßigkeit der Kündigung verhandelte das Arbeitsgericht (2 Ca 2342/00).

Das zuständige Versorgungsamt hatte ihm einen Grad der Behinderung von 30 zugesprochen wegen einer Erkrankung des Kniegelenks, Wirbelsäulenleiden und Depressionen.

Er beantragte eine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten, was sein Arbeitgeber ablehnte. Die Vorgesetzten begründeten dies damit, dass eine mögliche Gefährdung des Arbeitsplatzes nicht in Zusammenhang mit den genannten Einschränkungen stehe.

Zwanghafte Korrektheit gefährdet den Arbeitsplatz

Der Betroffene ging vor das Sozialgericht Lüneburg und machte geltend, dass er nach einer schweren Depression und Kuraufenthalt in psychiatrischer Behandlung sei. Der behandelnde Psychiater bestätigte, dass sein Patient immer wieder an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit kam und Kontrollverlust drohte.

Er sei an seinem Arbeitsplatz immer wieder mit kräftezehrenden Situationen konfrontiert und neige zu zwanghafter Korrektheit. Seine Behinderungen könnten also sehr wohl seinen Arbeitsplatz gefährden.

Arbeitgeber nimmt Hinweise des Betroffenen nicht ernst

Vor dem Sozialgericht Lüneburg erwähnte der Betroffene, dass eine Malerfirma eine asbestverseuchte Fläche ignoriert hätte, weil die Firma nichts davon gewusst hätte. Er hätte dies bei seinem Vorgesetzten beanstandet, dieser hätte ihn jedoch gegängelt und alle Schreiben des Betroffenen kontrolliert.

Diese belastende Arbeitssituation stehe also im Kontext seiner Behinderungen, besonders mit seiner übermäßigen Korrektheit. Trotz dieser Ausführungen wies das Sozialgericht die Klage ab.

Recht auf Gleichstellung

Das Landessozialgericht hob das Urteil der ersten Instanz auf und gab dem Betroffenen Recht. Er müsse mit Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Sein Arbeitgeber hat ihm gegenüber rechtswidrig gehandelt. Die Behinderung sei wesentlich die Ursache für die Gefährdung seines Arbeitsplatzes und für die ausgesprochene Kündigung gewesen.

Die Depression und zwanghafte Korrektheit stellen in Konflikten am Arbeitsplatz eine Gefährdung der Stelle dar, und dies rechtfertige eine Gleichstellung mit einer Schwerbehinderung.

Behinderung betrifft auch die soziale Stellung im Betrieb

Das Gericht verwies darauf, dass Behinderung auch eine Störung an der Teilhabe (in Beruf und Gesellschaft) bedeute. Darum sei auch die soziale Stellung der Betroffenen im Betrieb wichtig, um einen Arbeitsplatz zu behalten. Das bedeutet, auf ihn besondere Rücksicht zu nehmen.

Konflikte mit dem Arbeitgeber erfährt der Betroffene als mangelnde Fürsorge. Eine Borderline-Symptomatik führe zudem dazu, dass der Betroffene sich am Arbeitsplatz unfair behandelt fühlt und sich veranlasst fühle, dagegen vorzugehen.

Vorgesetzter verstärkt die Konfrontation

Bei dieser Disposition sei es vorprogrammiert, dass die Behinderung den Arbeitsplatz gefährde. Der Arbeitgeber hätte das aufkommende Konfliktpotenzial nicht entschärft, sondern verstärkt.

Charakteristisch wäre dafür der Vorfall, der zu seiner Kündigung führte. So hätte der Arbeitgeber von der asbestverseuchten Fläche gewusst, dies aber gegenüber den Malern verschwiegen. Der Betroffene hätte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren können, Stillschweigen zu bewahren.

Die Anzeige war nicht ohne Grund

Er hätte zum einen keine Möglichkeit gesehen, sich an interne Stellen zu wenden, sei sich aber auch nicht bewusst gewesen, dass es rechtswidrig sein könnte, die Information weiterzuleiten. Es handelt sich nicht um eine grundlose Strafanzeige, obwohl es möglich gewesen sei, interne Stellen einzuschalten. Vielmehr hätte der Betroffene seine Empfindungen und seine Krankheit ausgedrückt.