Viele Menschen, die einen nahen Angehörigen zu Hause pflegen, erleben die Belastung doppelt: Die Pflege kostet Zeit, Kraft und oft auch Erwerbseinkommen. Gleichzeitig wächst die Sorge, ob sich diese Auszeit später in der eigenen Rente bemerkbar macht. In der Praxis führt das immer wieder zu der Erwartung, dass der Staat oder die zuständige Stelle automatisch Beiträge für die Altersvorsorge der Pflegeperson übernimmt.
Ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zeigt jedoch, wie eng die Voraussetzungen sind und an welchen Punkten Pflegepersonen rechtlich an Grenzen stoßen.
Im entschiedenen Fall ging es um eine pflegebedürftige Frau, die Pflegegeld bei Pflegegrad 4 erhielt. Sie beantragte zusätzlich, dass für ihre Pflegeperson Altersvorsorgebeiträge übernommen werden. Die Behörde lehnte ab. Der Streit landete schließlich vor Gericht.
Die Berufung war zwar zulässig, hatte in der Sache aber keinen Erfolg. Entscheidend waren dabei nicht nur materielle Voraussetzungen, sondern auch verfahrensrechtliche Hürden, die viele Betroffene im Alltag nicht auf dem Schirm haben.
Der Fall: Pflegegeld ja, Altersvorsorgebeiträge nein
Ausgangspunkt war die Konstellation, dass die pflegebedürftige Person Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe erhielt, also Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch.
Sie wollte erreichen, dass die öffentliche Hand Beiträge zur Alterssicherung der Pflegeperson trägt. Die Behörde blieb bei ihrer Ablehnung, und das Gericht bestätigte diese Linie.
Das Urteil zeigt, dass Pflegegeld und Rentenbeiträge zwar häufig gedanklich zusammengehören, rechtlich aber aus unterschiedlichen Systemen stammen und jeweils eigene Zugangsvoraussetzungen haben.
Wer sich allein auf die Vorstellung verlässt, Pflege müsse automatisch zu einer abgesicherten Rente führen, kann in ein schmerzhaftes Loch zwischen Anspruch und Wirklichkeit geraten.
Warum die Pflegeperson nicht einfach selbst klagen kann
Ein Punkt, der auf den ersten Blick formal wirkt, für Betroffene aber ganz konkrete Folgen hat, betrifft die Klagebefugnis. Das Gericht stellte klar, dass der Anspruch auf die Erstattung von Aufwendungen für Altersvorsorgebeiträge im Sozialhilferecht grundsätzlich bei der gepflegten Person liegt.
Der Bescheid richtet sich also an sie, nicht an die Pflegeperson. Die Pflegeperson kann zwar faktisch profitieren, weil Beiträge am Ende ihr Rentenkonto stärken würden. Rechtlich reicht dieser Vorteil jedoch nicht aus, um aus eigenem Recht gegen die Ablehnung vorzugehen.
Damit entsteht eine Konstellation, die viele Familien als paradox empfinden: Ausgerechnet die Person, deren Alterssicherung es betrifft, kann nicht ohne Weiteres als „eigene Anspruchsinhaberin“ auftreten, wenn die Verwaltung den Antrag ablehnt.
Praktisch bedeutet das, dass Verfahren und Antragstellung über die pflegebedürftige Person laufen müssen. Ist diese dazu nicht mehr in der Lage, wird die Frage schnell auch zu einer der rechtlichen Vertretung.
Rentenbeiträge aus der Pflegeversicherung: Das greift nur im System des SGB XI
In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Rentenabsicherung pflegender Angehöriger vor allem mit der Pflegeversicherung verbunden. Tatsächlich zahlt die Pflegeversicherung unter bestimmten Bedingungen Rentenversicherungsbeiträge für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen.
Dafür müssen unter anderem bestimmte Mindestpflegezeiten erfüllt sein und es darf nur eine begrenzte Erwerbstätigkeit neben der Pflege bestehen. Entscheidend ist aber noch etwas anderes: Die pflegebedürftige Person muss Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, also aus dem Elften Buch Sozialgesetzbuch.
Genau hier lag im Fall der juristische Bruch. Wenn die Pflege nicht über die Pflegeversicherung, sondern über Sozialhilfeleistungen organisiert wird, entsteht nicht automatisch dieselbe rentenrechtliche Pflichtversicherung.
Das Gericht stellte heraus, dass die Pflichtversicherung als Pflegeperson nach dem Rentenrecht an den Bezug von Leistungen der Pflegeversicherung gekoppelt ist. Fehlt diese Grundlage, trägt auch nicht die Pflegekasse die Beiträge, und eine Klage, die auf die Zahlung von Pflichtbeiträgen zielt, läuft ins Leere.
§ 64f SGB XII: Erstattung von Beiträgen zur „angemessenen Alterssicherung“
Damit ist allerdings nicht gesagt, dass es im Sozialhilfesystem überhaupt keine Möglichkeit gäbe, Altersvorsorgebeiträge zu berücksichtigen. Das Sozialhilferecht kennt mit § 64f SGB XII eine Regelung, nach der zusätzlich zum Pflegegeld Aufwendungen für Beiträge einer Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung erstattet werden können, soweit diese Absicherung nicht anderweitig gewährleistet ist.
Der Wortlaut klingt für viele zunächst wie eine Auffangvorschrift, die den Systemwechsel von der Pflegeversicherung zur Sozialhilfe abfedern soll.
Das Urteil zeigt jedoch, dass diese Erstattung nicht als pauschale Anerkennung von Pflegeleistung funktioniert, sondern als eng begrenztes Instrument. Sie ist an Voraussetzungen gebunden, die sich am Zweck der Regelung orientieren. Und dieser Zweck ist nicht, Pflegepersonen einen höheren Lebensstandard zu ermöglichen oder eine „normale“ Erwerbsbiografie zu ersetzen. Gemeint ist vielmehr Schutz vor Altersarmut, verstanden als Schutz davor, im Alter selbst auf Sozialhilfe angewiesen zu sein.
Die entscheidende Hürde: Was als „angemessen“ gilt
Im Mittelpunkt der materiellen Prüfung stand deshalb die Frage, ob durch die begehrten Beiträge voraussichtlich eine Alterssicherung erreichbar wäre, die späteren Sozialhilfebezug vermeidet.
Das Gericht verlangte eine Prognose, die nicht nur abstrakt auf Beitragshöhen schaut, sondern die bisherige Versicherungsbiografie und die realistische weitere Lebensplanung einbezieht. Wer bislang keine oder kaum rentenrechtliche Zeiten aufgebaut hat, kann selbst mit nachträglichen Beiträgen häufig keine Absicherung erreichen, die über dem existenzsichernden Niveau liegt. Genau das war nach den Feststellungen im Fall maßgeblich.
Wichtig ist dabei der zeitliche Blickpunkt. Die Angemessenheit wird nicht losgelöst beurteilt, sondern anhand des Zeitpunkts der letzten behördlichen Entscheidung.
Wer also erst spät im Verfahren neue Umstände vorträgt oder seine Lebensplanung verändert, kann damit an eine Stelle stoßen, an der das Verfahren rechtlich bereits „eingefroren“ ist. Das ist für Betroffene schwer nachvollziehbar, folgt aber der Logik des Verwaltungsrechts, das gerichtliche Kontrolle an den damaligen Entscheidungsstand anbindet.
Freiwillige Beiträge als Ausweg – aber nicht automatisch auf Kosten der Sozialhilfe
Theoretisch kann eine Pflegeperson, die nicht pflichtversichert ist, freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Auch Nachzahlungen können in bestimmten Konstellationen möglich sein.
Die Existenz solcher Möglichkeiten bedeutet aber nicht, dass die Sozialhilfe sie finanzieren muss. Das Gericht machte deutlich, dass die Erstattung nach dem Sozialhilferecht gerade an der erwartbaren Wirkung gemessen wird. Wenn die erwartete Rentenleistung trotz Beiträgen voraussichtlich nicht ausreicht, um später ohne Sozialhilfe auszukommen, scheidet eine Erstattung aus.
Damit rückt ein unangenehmer Gedanke in den Vordergrund: Wer in einer ohnehin prekären Lebenslage pflegt und gleichzeitig keine stabile Rentenbiografie aufbauen konnte, ist ausgerechnet in jener Lage, in der die Erstattungsregel besonders häufig versagt.
Die Vorschrift zielt auf Vermeidung künftiger Hilfebedürftigkeit, nicht auf Anerkennung von Pflegearbeit als solcher. Das kann man sozialpolitisch kritisieren, rechtlich ist es die Linie, die das Gericht hier konsequent fortschreibt.
Was das Urteil für Pflegepersonen in der Praxis bedeutet
Für Pflegepersonen ist das Urteil vor allem eine Warnung vor falschen Erwartungen. Rentenbeiträge aus der Pflege sind in Deutschland möglich, aber sie hängen stark davon ab, aus welchem Leistungssystem die pflegebedürftige Person unterstützt wird.
Wer über die Pflegeversicherung versorgt wird, kann unter den dortigen Voraussetzungen rentenrechtlich abgesichert werden. Wer hingegen im Rahmen der Sozialhilfe gepflegt wird, muss sich darauf einstellen, dass es keinen Automatismus gibt und dass Erstattungsansprüche eng geprüft werden.
Ebenso wichtig ist die prozessuale Seite: Wenn eine Pflegeperson selbst gegen eine Ablehnung vorgehen will, stößt sie schnell an das Problem, dass der Anspruch rechtlich bei der gepflegten Person liegt.
Das zwingt Familien dazu, Anträge und gegebenenfalls Rechtsmittel sauber über die richtige Anspruchsinhaberin zu führen. In der Realität heißt das oft, frühzeitig zu klären, wer rechtsverbindlich handeln kann und welche Unterlagen erforderlich sind, damit ein Antrag nicht schon an formalen Punkten scheitert.
Ein nüchternes Signal: Pflege schützt nicht automatisch vor Rentenlücken
Das Urteil ist kein Angriff auf pflegende Angehörige. Es ist aber ein nüchternes Signal, dass das Recht Pflegearbeit nicht in jedem Fall so behandelt, wie es sich viele Betroffene wünschen würden. Wer pflegt, leistet gesellschaftlich enorm viel. Juristisch entsteht daraus jedoch nicht automatisch ein Anspruch auf staatlich finanzierte Altersvorsorge.
Quellen
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil AZ: L 7 SO 3983/20 (Zusammenfassung/Leitsätze). § 64f SGB XII (Gesetzestext).
§ 3 SGB VI (Gesetzestext, Versicherungspflicht u. a. für Pflegepersonen)




