Das Bundesarbeitsgericht hat ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg aufgehoben und den Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen (Az. 2 AZR 240/19). Im Mittelpunkt steht die Frage, ob eine Kündigung auch bei langer Erkrankung wirksam sein kann, wenn Arbeitnehmer ihre Meldepflichten verletzen.
Die Richter am Bundesarbeitsgericht entschieden nicht abschließend über die Wirksamkeit der Kündigung. Sie machten indessen grundsätzlich deutlich, dass eine langjährige Krankheit nicht automatisch vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen schützt.
Inhaltsverzeichnis
Lange Erkrankung entbindet nicht von Meldepflichten
Der betroffene Arbeitnehmer war über Jahre als Lagerist beschäftigt und seit Juli 2016 durchgehend arbeitsunfähig. Trotz dieser langen Erkrankung verlangte der Arbeitgeber eine unverzügliche Anzeige jeder Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass diese Pflicht unabhängig von der Dauer der Erkrankung besteht.
Kündigung wegen Verhaltens trotz Krankheit möglich
Nach Auffassung der Erfurter Richter kann eine Kündigung auch bei langer Erkrankung sozial gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer schuldhaft gegen seine Pflichten verstößt. Wer die Fortdauer einer Erkrankung verspätet meldet, beeinträchtigt die Planungsinteressen des Arbeitgebers. Gerade bei wiederholten Verstößen kann dies eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.
Vorinstanzen bewerteten Pflichtverstöße zu milde
Das Landesarbeitsgericht hatte die Kündigung zunächst für unwirksam erklärt und ein nur geringes Verschulden angenommen. Diese Einschätzung beanstandete das Bundesarbeitsgericht deutlich. Es kritisierte, dass die Richter der Vorinstanz das Ausmaß der Schuld nicht konkret geprüft und die Abmahnungen nicht ausreichend gewürdigt hätten.
Auch bei Langzeiterkrankung besteht Planungssicherheit für Arbeitgeber
Das Bundesarbeitsgericht betonte, dass Arbeitgeber grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass Arbeitnehmer nach Ablauf der gemeldeten Krankheitsdauer wieder erscheinen. Bleibt eine erneute Mitteilung aus, trifft die Abwesenheit das Unternehmen nicht automatisch vorbereitet – und des gilt auch bei längerfristiger Arbeitsunfähigkeit. Auch bei langer Erkrankung bleibt das Interesse des Arbeitgebers an verlässlicher Planung schutzwürdig.
Der konkrete Fall: Kündigung nach wiederholten verspäteten Krankmeldungen
Der Kläger arbeitete seit vielen Jahren als Lagerist und war ab Juli 2016 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Sein Arbeitgeber verlangte, dass jede Verlängerung der Erkrankung unverzüglich dem Vorgesetzten gemeldet wird und nicht nur durch das Einreichen von Bescheinigungen erfolgt.
Mehrfach erhielt der Arbeitnehmer Abmahnungen, weil Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen den Vorgesetzten nicht rechtzeitig erreichten. Besonders relevant war ein Fall im August 2017, in dem die Bescheinigung zwar abgegeben wurde, den zuständigen Vorgesetzten jedoch erst nach Beginn der Kernarbeitszeit erreichte.
Der Arbeitgeber kündigte daraufhin ordentlich zum Jahresende 2017. Der Arbeitnehmer hielt die Kündigung für sozial ungerechtfertigt, er ging vor Gericht, um die Klage für unwirksam erklären zu lassen, und das Landessozialgericht sah mildere Mittel als angemessen.
Landessozialgericht hält mildere Mittel für angemessen
Die Richter am Landessozialgericht argumentierten, dass zwar Pflichtverletzungen vorlägen, dass diese aber bei einer durchgehenden langfristigen Erkrankung milder zu bewerten seien als bei einer unvorhergesehenen und kurzen Erkrankung.
Bundesarbeitsgericht sieht Kündigung bei wiederholter Pflichtverletzung gerechtfertigt
Das Bundesarbeitsgericht lehnte diese Einschätzung der vorhergehenden Instanz ab. Es erkannte ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass wiederholte Pflichtverletzungen auch bei langer Erkrankung eine Kündigung rechtfertigen können, sofern die Tatsachen sauber aufgeklärt werden.
Interessenabwägung verlangt genaue Feststellungen
Die Richter beim Bundesarbeitsgericht machten deutlich, dass Gerichte Pflichtverletzungen nicht pauschal als geringfügig einstufen dürfen. Sie müssen prüfen, ob der Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat und ob Abmahnungen ihr Ziel erreicht haben. Erst auf dieser Grundlage lässt sich beurteilen, ob eine Kündigung trotz langer Erkrankung zumutbar ist.
Verfahren geht zurück an das Landesarbeitsgericht
Da wesentliche Tatsachen nicht geklärt waren, verwies das Bundesarbeitsgericht den Fall zur neuen Verhandlung zurück. Das Landesarbeitsgericht muss nun erneut prüfen, ob die verspäteten Krankmeldungen eine Kündigung rechtfertigen. Dabei muss es die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts konsequent berücksichtigen.
FAQ: Kündigung bei langer Erkrankung
Schützt eine lange Erkrankung grundsätzlich vor Kündigung?
Nein, eine lange Erkrankung schützt nicht automatisch vor einer Kündigung, insbesondere wenn vertragliche Pflichten verletzt werden.
Muss ich bei jeder Verlängerung der Krankheit erneut Bescheid geben?
Ja, Sie müssen Ihren Arbeitgeber unverzüglich über jede Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit informieren.
Reicht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allein aus?
Nein, wenn sie den Arbeitgeber nicht rechtzeitig erreicht oder keine direkte Anzeige erfolgt, genügt sie nicht.
Kann eine Kündigung trotz Abmahnungen wirksam sein?
Ja, wenn Abmahnungen erfolglos bleiben und Pflichtverletzungen fortgesetzt werden, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein.
Warum ist die Interessenabwägung so wichtig?
Weil Gerichte nur durch eine sorgfältige Abwägung aller Umstände entscheiden können, ob eine Kündigung trotz langer Erkrankung zumutbar ist.
Fazit: Was bedeutet dieses Urteil für Arbeitnehmer?
Das Urteil zeigt klar, dass eine lange Erkrankung Sie nicht von Ihren arbeitsrechtlichen Pflichten entbindet. Sie müssen auch bei fortdauernder Krankheit jede Verlängerung unverzüglich melden und dürfen sich nicht auf Routine oder Kulanz verlassen. Wer diese Pflichten missachtet, riskiert selbst nach vielen Jahren im Betrieb eine wirksame Kündigung.




