Erwerbsminderungsrente: Begutachtung nur ohne Begleitung Dritter

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In einem verhandelten Fall ordnete das Gericht eine รคrztliche Untersuchung an, da die Klรคgerin eine Erwerbsminderungsrente beantragte und Zweifel bestanden, ob die Antragstellerin berechtigt ist.

Volle Erwerbsminderungsrente beantragt

In dem entschiedenen Rechtsstreit hatte die auslรคndische Klรคgerin eine volle Erwerbsminderungsrente beantragt. Sie war zuletzt als Kรผchenhilfe beschรคftigt und seit dem 17. Oktober 2014 arbeitsunfรคhig und arbeitslos.

Seit 2016 bezog sie Bรผrgergeld (damals Hartz IV). Sie machte neben orthopรคdischen insbesondere psychische Grรผnde fรผr ihre Erwerbsunfรคhigkeit geltend.

Das Sozialgericht Reutlingen beauftragte daraufhin einen Sachverstรคndigen zur Erstellung eines Gutachtens. Dieser stellte unter anderem ein schmerzhaftes Wirbelsรคulensyndrom, eine depressive Stรถrung und unterschwellige Angst fest.

Die Klรคgerin kรถnne leichte Tรคtigkeiten nur noch weniger als drei Stunden arbeitstรคglich ausรผben. Wรคhrend der Anamnese und Befunderhebung fungierte die Tochter der Klรคgerin als รœbersetzerin. Die Frau habe daher Anspruch auf eine befristete volle Erwerbsminderungsrente, so das Gericht.

Begutachtung regelmรครŸig ohne Beteiligung Dritter

Doch das LSG hob diese Entscheidung mit Urteil vom 23. September 2022 wieder auf. Die Klรคgerin habe keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Ein weiteres eingeholtes Gutachten hatte ergeben, dass keine mittel- bis schwergradige Depression vorliege.

Die Frau habe zu ihrer Familie ein gutes Verhรคltnis und sei nicht sozial zurรผckgezogen. Auch die angefรผhrten orthopรคdischen Einschrรคnkungen kรถnnten eine Erwerbsminderungsrente nicht begrรผnden.

LSG Stuttgart: Bei Sprachproblemen vereidigter Dolmetscher nรถtig

Zudem sei das vom Sozialgericht eingeholte รคrztliche Gutachten nicht verwertbar. Bei einer psychiatrischen Untersuchung und Befunderhebung dรผrfe keine dritte Person anwesend und beteiligt sein, da diese die Begutachtung beeinflusse.

Hier sei die Tochter als Dolmetscherin hinzugezogen worden, obwohl die Sprachkenntnisse der Klรคgerin fรผr die Begutachtung ausgereicht hรคtten. Bei bestehenden Sprachschwierigkeiten dรผrfe auch nicht auf Angehรถrige, sondern mรผsse auf einen vereidigten Dolmetscher zurรผckgegriffen werden, forderte das LSG.

Die Anwesenheit einer dritten Person wรคhrend einer psychiatrischen Untersuchung sei nur in absoluten Ausnahmefรคllen denkbar, etwa wenn der Proband auf die stรคndige Unterstรผtzung einer Pflegeperson angewiesen sei.

Das Urteil in der รœbersicht

Bei einer gerichtlich angeordneten psychiatrischen Untersuchung darf regelmรครŸig keine dritte Person anwesend sein und mitwirken. Verfรผgt der Betroffene nicht รผber ausreichende Sprachkenntnisse, muss statt eines Angehรถrigen ein vereidigter Dolmetscher hinzugezogen werden, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Wรผrttemberg in Stuttgart in einem am Mittwoch, 2. November 2022, bekanntgegebenen Urteil (Az.: L 8 R 2664/21). Andernfalls bestehe die Gefahr, dass das psychiatrische Gutachten verfรคlscht werde.

Bundessozialgericht: Begleitung bei medizinischen Gutachten mรถglich

Am 27. Oktober 2022, also nach der LSG-Entscheidung, hatte das Bundessozialgericht (BSG) geurteilt, dass bei einem gerichtlich angeordneten medizinischen Gutachten die zu begutachtende Person regelmรครŸig die Mitnahme einer Vertrauensperson verlangen kann (Az.: B 9 SB 1/20 R).

Werde allerdings โ€ždie objektive, effektive oder unverfรคlschte Beweiserhebung erschwert oder verhindertโ€œ, kรถnne das Gericht, nicht aber der Gutachter, den Ausschluss der Vertrauensperson von der Begutachtung anordnen. Dies kรถnne etwa von der Beziehung des Beteiligten zur Begleitperson abhรคngen oder auch bei psychischen Erkrankungen erforderlich sein. fle/mw