Bürgergeld oder Sozialhilfe: Einen Doppelantrag stellen hält besser

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Wenn es um Sozialleistungen geht, können für Leistungsberechtigte oft mehrere Ansprüche nebeneinander bestehen oder zumindest als „Plan B“ in Betracht gezogen werden. Genau dies zeigt ein aktueller Fall, in dem sich ein spanisches Ehepaar in Deutschland lediglich zur Arbeitssuche aufhielt und zunächst Arbeitslosengeld II (jetzt Bürgergeld) erhielt, später jedoch keinen Anspruch darauf hatte.

Warum sollte man im Zweifel zwei Sozialleistungen beantragen?

Steht nicht fest, ob Leistungsberechtigten ein Anspruch auf eine konkrete Sozialleistung zusteht, ist es ratsam, auch eine weitere in Frage kommende Leistung zu beantragen.

Diese Vorgehensweise wird häufig mit dem Motto „Doppelt hält besser“ umschrieben.

Hintergrund dieser Vorgehensweise ist die Unsicherheit, ob ein erster – vermeintlicher – Anspruch tatsächlich besteht. Damit Betroffene nicht ohne jegliche finanzielle Absicherung dastehen, lohnt es sich, eine zweite Leistung vorsorglich zu beantragen.

Wichtige Gründe für einen doppelten Antrag (in der Regel SGB II und SGB XII) können sein:

  • Unklare Rechtslage zur Zuständigkeit einzelner Träger
  • Schwierige Abgrenzung zwischen verschiedenen Anspruchsvoraussetzungen
  • Offene Fragen, ob eine Erwerbsfähigkeit (für SGB II) oder besondere Bedürftigkeit (für SGB XII) vorliegt

Zudem lassen sich spätere Rückforderungen vermeiden oder zumindest abmildern, wenn parallel ein zweiter Leistungsanspruch rechtlich gesichert ist und der zuständige Träger tatsächlich leistet.

Worum ging es im konkreten Fall?

Im Zentrum des Verfahrens stand ein spanisches Ehepaar, das sich in Deutschland aufhielt, um Arbeit zu suchen. Für den Zeitraum von März bis September 2015 erhielt das Ehepaar zunächst vorläufig Arbeitslosengeld II (heute Bürgergeld).

Zu dieser Zeit war nämlich noch nicht endgültig geklärt, ob EU-Bürgerinnen und -Bürger, die lediglich auf Arbeitssuche sind, in Deutschland tatsächlich einen Anspruch auf ALG II haben.

Erst später entschied der Europäische Gerichtshof, dass sich EU-Ausländer bei bloßer Arbeitsplatzsuche nicht auf einen ALG-II-Anspruch berufen können.

Für das Ehepaar hatte dies gravierende Folgen: Das Jobcenter stellte den Leistungsanspruch für den Zeitraum März bis September 2015 nachträglich auf null Euro fest und forderte die bereits gezahlten 8.735,87 Euro zurück.

Weshalb fehlte ein paralleler Antrag auf Sozialhilfe?

Der wesentliche Knackpunkt: Das spanische Ehepaar hatte keinen Antrag auf Sozialhilfe nach § 23 SGB XII gestellt. Dabei hätte diese Leistung – anders als ALG II – für EU-Bürger in einer reinen Arbeitssuchphase unter Umständen in Frage kommen können. Weil jedoch kein Antrag eingereicht wurde, gingen dem zuständigen Sozialhilfeträger wichtige Informationen zu einem möglichen Leistungsanspruch nicht zu. Ohne diese Kenntnis sieht das Gesetz – insbesondere § 105 Abs. 3 SGB X – keinen Erstattungsanspruch vor.

Wie entschied das Landessozialgericht und warum?

In erster Instanz hatte das Landessozialgericht (LSG) die Rückforderung des Jobcenters abgelehnt. Die Richterinnen und Richter argumentierten, das Jobcenter habe einen „vorrangigen Erstattungsanspruch“ gegen den Sozialhilfeträger, weil das Ehepaar bei diesem einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gleicher Höhe gehabt hätte.

Damit sei nicht das Ehepaar in die Pflicht zu nehmen, sondern vielmehr der Sozialhilfeträger, der anstelle des Jobcenters für die Ausgaben hätte aufkommen müssen.

Nach dieser Lesart hätte das Jobcenter also auf den Sozialhilfeträger zugreifen können, um sich das fälschlicherweise gezahlte ALG II erstatten zu lassen.

Was sagt das Bundessozialgericht?

Das Bundessozialgericht (BSG) hob die Entscheidung des LSG auf und gab dem Jobcenter Recht (BSG, Urteil vom 11.09.2024, B 4 AS 6/23 R). Aus Sicht des BSG bestand nämlich kein Erstattungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger, da dieser keine Kenntnis von einer etwaigen Leistungsverpflichtung hatte. Nach § 105 Abs. 3 SGB X ist eine Erstattung nur möglich, wenn der andere Sozialleistungsträger wusste oder zumindest hätte wissen können, dass er für die betreffenden Leistungen eigentlich zuständig gewesen wäre.

Im konkreten Fall wurde kein entsprechender Antrag auf Sozialhilfe gestellt, weshalb sich die Kenntnis des Jobcenters nicht einfach auf den Sozialhilfeträger übertragen lässt. Zudem war den Sozialämtern offiziell gar nicht bekannt, dass dem Ehepaar gegebenenfalls Leistungen nach § 23 SGB XII zustanden. Eine Zurechnung der Kenntnis des Jobcenters an den Sozialhilfeträger schied daher aus.

Welche Konsequenzen hat die Entscheidung für Betroffene?

Die BSG-Entscheidung hat für EU-Bürger, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, ebenso wie für andere Personengruppen wegweisende Bedeutung. Sie macht deutlich:

  1. Klarheit über den Leistungsanspruch ist entscheidend: Wer sich unsicher ist, welche Leistung tatsächlich greift, sollte vorsorglich mehrere Anträge stellen – zumindest, wenn es Hinweise gibt, dass eine andere Leistung zuständig sein könnte.
  2. Parallelanträge verhindern finanzielle Risiken: So lässt sich vermeiden, dass nachträgliche Rückforderungen entstehen, die man aus eigener Tasche begleichen muss.
  3. Behördenwissen ist nicht austauschbar: Wissen, das ein Leistungsträger (z. B. Jobcenter) hat, kann nicht einfach einem anderen (z. B. Sozialamt) zugerechnet werden.

Gerade in Fällen, bei denen der konkrete Anspruch erst nachträglich durch Gerichte geklärt wird, hilft ein breiter Ansatz an Leistungsanträgen, sich gegen unvorhergesehene finanzielle Folgen abzusichern.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Fall ziehen?

Die wichtigste Lehre lautet: Wenn es Zweifel gibt, immer auch den alternativen Anspruch im Blick behalten. Da die Rechtslage in vielen Konstellationen komplex ist und sich bisweilen ändert, sollten sich Betroffene umfassend beraten lassen – etwa durch Sozialverbände oder spezialisierte Anwältinnen und Anwälte.

Im Fall des spanischen Ehepaares hätte ein zusätzlicher Antrag auf Sozialhilfe verhindern können, dass ihnen eine hohe Rückforderung ins Haus flattert. Zwar ist rückblickend immer klarer, wie ein Fall entschieden werden müsste.

In der Realität können jedoch neue Urteile oder Gerichtsentscheidungen die Rechtslage erst Jahre später eindeutig bestimmen. Wer dann nicht frühzeitig sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hat, trägt oftmals selbst das finanzielle Risiko.