Das Gericht kritisiert den Erstattungsanspruch des Jobcenters wegen Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht.
Das Jobcenter muss von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II absehen, wenn dies für den Leistungsempfänger eine Härte bedeuten würde, so das aktuelle Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15.10.2025 (L 6 AS 105/23).
Das Lösen des Arbeitsverhältnisses vor Unterzeichnung eines neuen Arbeitsvertrags stellt zwar grundsätzlich eine Pflichtverletzung dar, diese ist jedoch durch die Verhängung der Sperrzeit und der Sanktion hinreichend geahndet worden, sodass der Ersatzanspruch des Jobcenters für den Antragsteller eine unzumutbare Härte darstellen würde (§ 34 Abs. 1 Satz 3 SGB II).
Inhaltsverzeichnis
§ 34 SGB II ist von den Sanktionstatbeständen gemäß § 31 SGB II abzugrenzen, so auch schon die Vorinstanz des Sozialgerichts Kassel
Denn zwar können Tatbestände des § 31 SGB II Ersatzansprüche nach § 34 SGB II begründen (vgl. BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 55/12 R – ), daraus folgt jedoch nicht, dass jede Verwirklichung eines nach § 31 SGB II sanktionsbewehrten Tatbestands zugleich einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II begründet.
Das Sozialgericht Kassel hat schon eine Sozialwidrigkeit des Verhaltens des Klägers verneint und jedenfalls auf der subjektiven Ebene des Vorwurfs, der Kläger sei sich der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grob fahrlässig nicht bewusst gewesen, einen Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II abgelehnt.
Ergänzend weist der 6. Senat des LSG Hessen auf Folgendes hin:
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist der einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II tragende Vorwurf der Sozialwidrigkeit darin begründet, dass der Betreffende – im Sinne eines objektiven Unwerturteils – in zu missbilligender Weise sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen in die Lage gebracht hat, existenzsichernde Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen (BSG, Urteil vom 29. August 2019 – B 14 AS 50/18 R- ).
Soll dasselbe Verhalten neben den Minderungsfolgen der §§ 31a und 31b SGB II zusätzlich eine Ersatzpflicht nach § 34 SGB II auslösen
So setzt das nach Auffassung des Gerichts mit Blick auf die unter Umständen erheblich schwerer wiegenden Folgen der Inanspruchnahme nach § 34 SGB II nach der Regelungssystematik regelmäßig vielmehr einen grundsätzlich gesteigerten Verschuldensvorwurf voraus, der den unterschiedlichen Belastungswirkungen der §§ 31 ff SGB II auf der einen und des § 34 SGB II auf der anderen Seite gerecht wird; ansonsten bedürfte es der Minderungsregelung der §§ 31 ff SGB II und ihrer differenzierten Rechtsfolgen nicht (BSG, Urteil vom 29. August 2019 – B 14 AS 49/18 R – ).
Soweit ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II an ein Verhalten anknüpfen soll, das schon Anlass für eine Leistungsminderung nach den §§ 31 ff SGB II gegeben hat, ist zu beachten, dass beide in einem Stufenverhältnis stehen.
Dementsprechend hat das BSG klargestellt, dass nach Verwirklichung eines nach § 31 SGB II sanktionsbewehrten Tatbestandes (nur) in einem besonderen Ausnahmefall zusätzlich ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II geltend zu machen ist. Kennzeichen dessen ist, dass – deliktsähnlich – die in den Tatbeständen des § 31 SGB II ausgedrückten Verhaltenserwartungen in besonders hohem Maß verletzt worden sind.
Nur unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls
Ob ein Verhalten als sozialwidrig anzusehen ist oder nicht, ist regelmäßig nur unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu bewerten, wobei maßgebend nicht das Maß der Pflichtverletzung im Beschäftigungsverhältnis, sondern im Verhältnis zur Allgemeinheit ist, die als Solidargemeinschaft die Mittel der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufzubringen hat (BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 43/19 R –).
Das Jobcenter hat das Stufenverhältnis der Regelungen §§ 31 ff SGB II zu § 34 SGB II nicht hinreichend beachtet
Denn würde man der Argumentation des Jobcenters folgen, dann ergäbe sich aus der durch die Bundesagentur für Arbeit nach dem SGB III festgestellten und bestandskräftigen Sperrzeit ganz regelmäßig die Rechtsfolge des § 34 SGB II. Dieses Normverständnis trägt aber dem vom BSG erkannten Ausnahmecharakter von § 34 SGB II nicht (hinreichend) Rechnung.
Welche Fehler hat das Jobcenter begangen
Keine Einzelfallprüfung
1. Es hat weder im Ausgangsbescheid noch im Überprüfungsverfahren die konkreten Umstände des hiesigen Sachverhalts gewürdigt.
Prüfung der Härte für den Antragsteller hat das Jobcenter unterlassen
2. Auch eine Prüfung von § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB II, wonach von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs abzusehen ist, soweit sie eine Härte bedeuten würde, hat er unterlassen.
3. Gesundheitliche Probleme des Antragstellers wurden unzureichend ermittelt – Jobcenter verletzt Amtsermittlungspflicht – keine eigenen Ermittlungen
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Bescheid prüfenSo werden die vom Kläger vorgetragen gesundheitlichen Beschwerden – trotz Amtsermittlungspflicht des Jobcenters – ohne eigene Prüfung und weitergehende Ermittlungen im angegriffenen Widerspruchsbescheid in Frage gestellt. Denn das Jobcenter argumentiert mit dem Umstand, dass der Kläger 2016, also rund ein Jahr nach Auflösung des früheren Arbeitsvertrages eine der alten Tätigkeit vergleichbare Tätigkeit wieder aufgenommen habe.
Der Grundsicherungsträger sieht auch, wie sich aus dem Widerspruchsbescheid ergibt, dass der Kläger diese Tätigkeit nach rund neun Monaten wegen offenbar erheblicher Knieprobleme wieder aufgegeben musste. Das Jobcenter sieht darin – ohne eigene Ermittlungen – jedoch keinen Beleg dafür, dass eine Weiterbeschäftigung 2015 unzumutbar gewesen sei.
4. Das Jobcenter berücksichtigte weiterhin nicht dass auch eine Motivation für den angestrebten Arbeitsplatzwechsel die Aussicht auf einen höheren Verdienst gewesen ist
Wenngleich zuzugeben ist, dass das Lösen des Arbeitsverhältnisses vor Unterzeichnung eines neuen Arbeitsvertrages eine Pflichtverletzung darstellt, so ist nach Ansicht des Senats diese durch die Verhängung der Sperrzeit und der Sanktion hinreichend geahndet worden.
Fazit
Der Senat kann wie auch das Sozialgericht nicht erkennen, dass die Lösung des Arbeitsverhältnisses erfolgte, um die Solidargemeinschaft in Anspruch zu nehmen.
Hiergegen sprechen folgende Umstände:
Zum einen hat der Kläger sowohl davor als auch nach dem Leistungsbezug seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften gedeckt.
Zum anderen hat er erst nach Verbrauch seiner eigenen Mittel einen Antrag auf Leistungen gestellt. Diese Umstände zeigen auf, dass der Kläger gerade vermeiden wollte, die Solidargemeinschaft zur Sicherung des Lebensunterhalts zu beanspruchen.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
1. Nach meiner Meinung hat sowohl die Vorinstanz als auch der 6. Senat des LSG Hessen hier die richtige Entscheidung getroffen und zwar aus mehreren Gründen, denn das Jobcenter hatte hier seine Hausaufgaben nicht gemacht.
2. Verletzung der Amtsermittlungspflicht § 20 SGB X
3. Keine Einzelfallprüfung: Keine Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zum Ersatzanspruch, wonach nicht – jede Verwirklichung eines nach § 31 SGB II sanktionsbewehrten Tatbestands zugleich einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslöst.
Schlussbemerkung:
Diese Gerichtsentscheidung macht sehr deutlich, welche Fehler in den Jobcentern begangen werden, meint der Sozialrechtsexperte Detlef Brock.
Hier hat das Jobcenter von Anfang an bis zum Ende einen Fehler nach dem Anderen begangen und das Gericht hat das Jobcenter zu Recht dazu verurteilt, den Erstattungsanspruch zurück zu nehmen.
Wenn das Jobcenter Arbeit fordert, ist das rechtens, aber wenn es Leistungen zurück fordert im Rahmen eines Ersatzanspruches nach § 34 SGB 2, muss auch ein sozialwidriges Verhalten vorliegen, was das Jobcenter im Einzelfall zu beweisen hat.
Das Jobcenter fordert hier Leistungen zurück, obwohl es den Sachverhalt ungenügend aufgeklärt und erforscht hat, dass ist aber Aufgabe eines Jobcenters – Amtsermittlungspflicht § 20 SGB X.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum – Ersatzanspruch – war dem Jobcenter wohl nicht bekannt oder es wollte diese nicht berücksichtigen.
Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt: B 14 AS 49/18 R.
Die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei Sozialwidrigkeit zusätzlich zu einer Leistungsminderung bei Pflichtverletzung (“Sanktion”) wegen desselben Verhaltens erfordert regelmäßig einen gesteigerten Verschuldensvorwurf, der sich auf die ihm vom Jobcenter zugrunde gelegten Umstände stützen muss.
Hier hat das Jobcenter auf ganzer Linie versagt und das hat das Gericht auch richtig erkannt. Für so ein Arbeitsverhalten gibt es von mir persönlich die NOTE 5.



