Ein Geschäftsmodell, um Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen und damit seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, ist Rechtsmissbrauch. So entschied das Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 05.12.2023, 6 Sa 896/23).
Inhaltsverzeichnis
Mann bewirbt sich als „Sekretärin“ und klagt wegen Benachteiligung
Der Betroffene hat Abitur, eine Ausbildung als Industriekaufmann, ist derzeit offiziell erwerbslos und bezieht Bürgergeld. Er bewarb sich mehrfach auf Stellenausschreibungen als „Sekretärin“ bei diversen Unternehmen. Nach der Ablehnung der Bewerbung zog er dann wegen einer etwaigen Benachteiligung seines (männlichen) Geschlechts vor Gericht.
Stellenanzeige bei eBay Kleinanzeigen
2021 schrieb ein Kfz-Händler in Schleswig-Holstein eine Stelle für eine „Sekretärin“ bei eBay Kleinanzeigen aus. Über die Chat-Funktion postete der Bürgergeld-Bezieher:
„Hallo,
ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen.
Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.
Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.
Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau?
In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben. Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann.
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
Ich wäre ab sofort verfügbar.
Mit freundlichen Grüßen, (…)”
Ausschließlich Frau gesucht
Er erhielt eine Absage mit der Begründung, dass ausschließlich eine Frau gesucht werde. Der Betroffene forderte daraufhin vom Unternehmen Entschädigung in Höhe von 7.800,00 Euro aufgrund einer Benachteiligung seines Geschlechts mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht Elmshorn (4 Ca 592a/21). Das Unternehmen argumentierte, er habe sich nur auf die Stelle beworben, um eine Entschädigung einzustreichen.
In Schleswig-Holstein bekommt er Entschädigung
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab und begründete dies mit Mängeln in der Bewerbung. Er habe nicht einmal ein Mindestmaß an Informationen über seine Person und Qualifikation angegeben, die eine Prüfung ermöglicht hätten. Es handle sich nur um eine Kontaktaufnahme, nicht um eine Bewerbung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Doch im Berufungsverfahren bekam der Bürgergeld-Bezieher Recht. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein sprach ihm eine Entschädigung von 7.800,00 Euro zu (2 Sa 21/22).
Arbeitsgericht Berlin sieht Rechtsmissbrauch
Nach dergleichen Methode ging der arbeitslose Industriekaufmann immer wieder vor. Hierzu kam es auch vor dem Arbeitsgericht Berlin. Er hatte sich bei einem Umzugsunternehmen in Berlin auf eine Stelle als „Sekretärin“ beworben und anschließend Entschädigung wegen Benachteiligung als Mann verlangt. Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage ab (42 Ca 10434/21). Zwar lägen grundsätzlich Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vor.
Das Entschädigungsverlangen des Klägers sei aber rechtsmissbräuchlich. So lagen allein vor dem Arbeitsgericht Berlin binnen 15 Monaten elf Klagen aufgrund der Benachteiligung wegen des Geschlechts vor. Die dagegen gerichtete Berufung blieb vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erfolglos (3 Sa 898/22).
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Bescheid prüfenJedes Mal habe er sich auf ausgeschriebene Stellen als Sekretärin beworben und danach Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geltend gemacht. Dies spreche für ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen.
„Er habe insbesondere in seiner E-Mail vom 29.08.2021 ausdrücklich gefragt, ob ausschließlich eine Frau gesucht werde und gleichzeitig festgestellt, dass das Unternehmen dies so angegeben habe. Dies sei unnötig gewesen und habe lediglich darauf hinweisen sollen, dass es sich bei dem Kläger gerade um einen Mann handele.
Entsprechend habe er die E-Mail auch mit ‚Herr …‘ unterzeichnet. Dabei sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass Fragen zu Stellenanzeigen im Rahmen eines Anschreibens äußerst unüblich seien.“
Bewerbungen absichtlich auf niedrigem Niveau gehalten
Das Arbeitsgericht Berlin sagte, es sei überzeugt, dass der Kläger sich nur über Entschädigungen eine Einnahmequelle verschaffen wollte und an der jeweiligen Stelle kein Interesse gehabt hätte.
Dieses Geschäftsmodell zeige sich auch darin, dass er nach verlorenen Entschädigungsprozessen gezielt darauf geachtet habe, Rechtsmissbrauchsmerkmale in den Bewerbungen anzupassen und zugleich die Bewerbung auf konstant niedrigem Niveau zu halten – um die Stelle auf keinen Fall zu bekommen.
Gerichte in Nordrhein-Westfalen urteilen ähnlich wie in Berlin
Auch in Nordrhein-Westfalen kam der Betroffene mit seinem Anspruch auf Entschädigung nach dem gleichen Muster nicht durch. Das Arbeitsgericht Hagen erkannte Rechtsmissbrauch (2 Ca 1421/21), und das Landesarbeitsgericht Hamm wies die Berufung zurück (9 Sa 538/22).
Das Landesarbeitsgericht Hamm musste außerdem in einem weiteren Verfahren entscheiden, in dem der Betroffene mit seiner Methode 5.400,00 Euro Entschädigung beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen durchgesetzt hatte (2 Ca 547/22). Auf die Berufung der Arbeitgeberin scheiterte der Betroffene vor dem LAG Hamm (18 Sa 888/22).
Systematisch geplanter Rechtsmissbrauch
Das Landesarbeitsgericht Hamm erklärte ausführlich, warum es sich um Rechtsmissbrauch handelt. Die objektiven Umstände zeigten, dass kein echtes Interesse an der Stelle bestanden habe: Entfernung zum Arbeitsplatz, Unvereinbarkeit von Vollzeitstelle und Vollzeitstudium, Art und Weise der Bewerbung sowie die Entwicklung des Geschäftsmodells.
Das umfassende Zitieren der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Rechtsmissbrauch durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers zeige vollumfängliche Kenntnisse der einzelnen Rechtsmissbrauchsmerkmale und damit eine systematische Vorbereitung. Sein Bewerbungsverhalten diente folglich allein dazu, Entschädigungszahlungen zu erlangen. Der Kläger verfolgte die Absicht, sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen.