Wohnungssorgen mit Bürgergeld: Karenzzeit wirkt sich kaum positiv aus

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Die mit dem Bürgergeld eingeführte Karenzzeit für Wohnkosten sollte Betroffenen primär eines ermöglichen: Stabilität und Zeit für die Jobsuche. Eine aktuelle Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zeigt jedoch, dass dieses Ziel nur teilweise erreicht wird.

Zwar schützt die Regelung kurzfristig vor Umzügen, dennoch bleibt die Angst vor Wohnungsverlust unter Bürgergeldempfängern weitverbreitet. Auch Jobcenter-Mitarbeiter äußern gemischte Bewertungen zur Wirksamkeit der Karenzzeit.

Was die Karenzzeit leisten soll

Seit der Einführung des Bürgergeldes im Jahr 2023 gilt eine neue Regelung zur Übernahme der Unterkunftskosten: Die sogenannte Karenzzeit sieht vor, dass während der ersten zwölf Monate des Leistungsbezugs die Kaltmiete vollständig übernommen wird – unabhängig davon, ob sie als „angemessen“ gilt.

Heizkosten hingegen unterliegen weiterhin einer sofortigen Prüfung. Die Maßnahme verfolgt mehrere Ziele:

  • Vermeidung kurzfristiger Umzüge zu Beginn des Leistungsbezugs
  • Entlastung der Jobcenter durch weniger Widersprüche
  • Konzentration der Betroffenen auf Jobsuche oder Qualifizierung

Ein ähnlicher Schutz galt bereits temporär während der Corona-Pandemie. Doch während damals pandemiebedingte Härten im Vordergrund standen, soll die neue Regelung strukturell entlasten – insbesondere in einem zunehmend angespannten Wohnungsmarkt.

Wohnraumangst trotz finanzieller Sicherung

Trotz der Karenzzeit bleibt die Sorge um die eigene Wohnung unter Bürgergeldempfängern überdurchschnittlich hoch. Daten aus der IAB-Studie „Arbeiten und Leben in Deutschland“ (OPAL) zeigen:

Während sich im Bevölkerungsdurchschnitt 23 Prozent Sorgen um den Wohnungsverlust machen, liegt dieser Wert bei Bürgergeldbeziehern mit eigentlich angemessenen Wohnkosten bei 51 Prozent.

Besonders alarmierend: Bei jenen, deren Wohnkosten über der akzeptierten Grenze liegen und bei denen eine Kürzung der Leistungen angekündigt wurde, steigt dieser Anteil auf 70 Prozent.

Die Angst ist also präsent – selbst dort, wo objektiv kein akuter Handlungsdruck besteht. Forschende wie Fetzer, Sen und Souza (2022) haben bereits belegt, dass Unsicherheit in der Wohnsituation messbar negative Folgen auf psychische Gesundheit und finanzielle Stabilität hat. Für Menschen in prekären Lebenslagen verstärkt sich dieser Effekt zusätzlich.

Reaktionen der Betroffenen: Eigenverantwortung statt Umzug

Die Karenzzeit verschafft Zeit – aber nicht immer auch Lösungsspielraum. Wer mit überhöhten Wohnkosten konfrontiert ist, reagiert auf ganz unterschiedliche Weise:

  • 45 % zahlen die Mehrkosten aus eigener Tasche – häufig zulasten des Existenzminimums.
  • 22 % konnten das Jobcenter zur Übernahme der vollen Kosten bewegen, etwa durch besondere Härtefälle.
  • 13 % suchen aktiv eine günstigere Wohnung, weitere 20 % planen diesen Schritt.
  • 11 % einigten sich mit Vermieter:innen auf Mietsenkungen.
    Nur wenige nutzen Alternativen wie Untervermietung oder Rechtsmittel.

Diese Zahlen zeigen, dass ein erheblicher Teil der Betroffenen bereit ist, auf eigene Ressourcen zurückzugreifen – sei es durch Hinzuverdienst, den Rückgriff auf Erspartes oder den Verzicht auf andere Bedürfnisse. Doch gerade dieser Weg birgt Risiken, da die Mittel begrenzt sind und langfristig neue Problemlagen entstehen können.

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Bedeutung im Alltag der Jobcenter

In den Beratungsgesprächen der Jobcenter spielt das Thema Wohnen eine überdurchschnittliche Rolle. 39 Prozent der befragten Fachkräfte gaben an, dass die Wohnsituation „immer“ oder „sehr häufig“ zur Sprache kommt. Weitere 33 Prozent bestätigten, dass sie „häufig“ über dieses Thema sprechen. Nur vier Prozent erleben dies selten oder gar nicht.

Auch die Kosten der Unterkunft werden regelmäßig angesprochen. Hintergrund ist nicht nur die objektive Angemessenheit der Miete, sondern auch die subjektiv empfundene Unsicherheit – etwa durch drohende Mietsteigerungen oder familiäre Veränderungen, die die Kostenstruktur verschieben können.

Skepsis unter Jobcenter-Beschäftigten

Die Einschätzung der Karenzzeit durch die Mitarbeitenden der Jobcenter fällt insgesamt zurückhaltend aus. Zwar erkennen 37 Prozent von ihnen an, dass die Regelung soziale Härte wirksam abmildert, etwa indem sie kurzfristige Wohnungsverluste verhindert. Doch darüber hinaus bleiben die Erwartungen vielfach unerfüllt.

Nur ein kleiner Teil der Befragten geht davon aus, dass die Karenzzeit tatsächlich dazu beiträgt, dass sich Leistungsbezieher stärker auf die Jobsuche konzentrieren. Auch die Hoffnung, durch die neue Regelung den Verwaltungsaufwand zu verringern oder die Zahl der Widersprüche zu senken, hat sich bislang nicht erfüllt.

Im Gegenteil: In der Praxis bringt die Karenzzeit neue Herausforderungen mit sich – beispielsweise bei der Berechnung individueller Karenzzeiträume, wenn Leistungsbezüge unterbrochen werden. Die positiven Effekte der Regelung zeigen sich also in erster Linie in der Vermeidung akuter Umzüge. Strukturelle Verbesserungen im Hinblick auf Arbeitsmarktintegration oder eine nachhaltige Entlastung der Verwaltung sind hingegen bislang kaum erkennbar.

Bewertung und Ausblick: Zwischen Erwartung und Realität

Die Einführung der Karenzzeit war eine politische Reaktion auf die realen Belastungen des Wohnungsmarktes – und auf die individuellen Sorgen von Menschen im Leistungsbezug. Kurzfristig wirkt sie stabilisierend, insbesondere bei jenen, die nur temporär auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.

Langfristig zeigen sich jedoch deutliche Spannungen im System. Trotz der Karenzzeit bleibt bei vielen Leistungsbeziehern die Angst vor zukünftiger Unsicherheit bestehen – selbst dann, wenn aktuell keine Kürzungen der Wohnkosten angekündigt sind.

Die erhoffte Entlastung der Jobcenter tritt ebenfalls nicht ein, denn das Thema Wohnen nimmt weiterhin einen großen Raum in den Beratungsgesprächen ein. Gleichzeitig versuchen viele Betroffene, durch Eigenzahlungen oder Verhandlungen mit Vermieterinnen und Vermietern die finanzielle Mehrbelastung selbst zu bewältigen.

Dieses Verhalten steht zwar für ein hohes Maß an Eigenverantwortung, offenbart jedoch zugleich das Fehlen tragfähiger, struktureller Lösungen im Umgang mit steigenden Wohnkosten.

Die vollständige Bewertung der Karenzzeit erfolgt im Rahmen der laufenden Bürgergeld-Evaluation. Das IAB will anhand von Prozessdaten bis 2026 untersuchen, ob sich das Verhalten der Betroffenen – etwa bei der Jobsuche – durch die Regelung tatsächlich verändert. Bis dahin bleibt die Karenzzeit ein gut gemeintes, aber in der Umsetzung begrenzt wirksames Instrument.