In Deutschland gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Abfindung, dennoch wird sie in Tausenden Fällen jedes Jahr gezahlt. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange, erläutert, wie die Methode„Will weg statt Eigenkündigung“ funktioniert.
Dahinter steckt die Idee, den Arbeitsplatz zu verlassen, ohne selbst zu kündigen – und dabei dennoch eine Abfindung zu erzielen.
Inhaltsverzeichnis
Warum Arbeitgeber überhaupt eine Abfindung zahlen
Eine Abfindung ist im Regelfall ein Motivationsinstrument des Arbeitgebers: Er möchte das Arbeitsverhältnis beenden, ohne sich einem langwierigen Kündigungsschutzprozess auszusetzen.
Für Beschäftigte gilt daher das Umkehrprinzip: Wer offen sagt, dass er ohnehin gehen will, zerstört die eigene Verhandlungsposition. Anwalt Lange sagt: „Wenn der Arbeitgeber weiß, dass du sowieso weg willst, zahlt er nichts.“
Damit ist die Grundvoraussetzung benannt: Der Arbeitgeber muss glauben, dass die Trennung in seinem Interesse liegt, nicht im Interesse des Beschäftigten.
Der Kardinalfehler vieler Beschäftigter
Die Hälfte aller Ratsuchenden habe bereits „den größten Fehler“ begangen, berichtet der Anwalt: Sie haben dem Arbeitgeber ihr Weggangs-Interesse offenbart, bevor sie eine Strategie hatten. Personalabteilungen dürfen betriebliche Mittel nicht „verschenken“.
Sobald klar ist, dass der oder die Beschäftigte ohne weiteres kündigen würde, erlischt jeder Anreiz, eine Abfindung zu zahlen. Dieser psychologische Mechanismus ist die Achillesferse spontaner Eigenkündigungen.
Kündigungsschutz als Verhandlungsgrundlage
Ohne rechtlichen Druck zahlt kein Unternehmen eine Abfindung. Der Dreh- und Angelpunkt ist daher das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Es greift, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht und der Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt
Nur dann muss der Arbeitgeber jede Beendigung sozial rechtfertigen; ansonsten kann er weitgehend frei kündigen. Wer in Kleinbetrieben unterhalb dieser Schwelle tätig ist, hat kaum Verhandlungsmasse.
Besondere Schutzstatute – etwa Schwerbehinderung, Schwangerschaft oder Elternzeit – erhöhen den Druck zusätzlich, weil dann selbst betriebsbedingte Kündigungen nahezu unmöglich sind.
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Der taktische Hebel: Vertragsverstöße des Arbeitgebers
Warum sollte ein Unternehmen plötzlich den Wunsch entwickeln, eine ansonsten geschützte Arbeitskraft loszuwerden? Der Anwalt rät, nicht selbst pflichtwidrig zu handeln, sondern konsequent auf bereits bestehende Pflichtverletzungen des Arbeitgebers hinzuweisen.
Das können ausstehende Überstundenvergütungen, Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz oder unwirksame Abmahnungen sein.
Jede fundierte Rüge schafft Unruhe, zieht Ressourcen in der Personalabteilung und kann im schlimmsten Fall zu Streitwerten führen, die eine Abfindung günstiger erscheinen lassen als eine gerichtliche Auseinandersetzung. Juristisch betrachtet handelt es sich nicht um „Erpressung“, sondern um die Geltendmachung legitimer Ansprüche.
Voraussetzungen
Mandanten müssen brauchbare Ansatzpunkte liefern. Findet sich keine Pflichtverletzung des Arbeitgebers, lässt sich kaum Druck aufbauen. Lange empfiehlt, vor einer Kontaktaufnahme eines Anwalts zunächst Beweise zu sichern: E-Mails zu Überstunden, Dienstpläne, Lohnabrechnungen und ähnliche Dokumente.
Ohne Substanz, so der Anwalt, „macht es keinen Sinn zu antworten“. Fehlt Material, heißt die Devise: abwarten, beobachten, sammeln.
Viele Arbeitnehmer halten zu lange an belastenden Arbeitsverhältnissen fest, bis psychische oder physische Erkrankungen drohen. Lange plädiert dafür, den Absprung strategisch früh zu planen.
Wer den Kündigungsschutz als Hebel nutzt, kann nicht nur profitieren, sondern sich auch vor Burn-out und Langzeitkrankheit schützen. Die Botschaft lautet: „Lieber verhandeln, als krank aussteigen.“
Rechtlicher Kontext und übliche Abfindungshöhen
In verhandlungsgetriebenen Szenarien orientiert sich die Abfindung oft am Faustwert von 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr – ein Wert, der aus § 1a KSchG für betriebsbedingte Kündigungen abgeleitet, aber in freien Verhandlungen flexibel handhabbar ist. Je nach Konfliktpotenzial, Beweislage und Hierarchieebene können die Summen erheblich darüber liegen oder darunter.
Maximal nerven ohne selbst vertragswidrig zu sein
Das Konzept „maximal nerven, ohne selbst vertragswidrig zu werden“ klingt scharf, ist jedoch arbeitsrechtlich zulässig. Kritiker verweisen darauf, dass eine offensive Anspruchsstrategie das Betriebsklima irreversibel belasten kann, falls die Verhandlungen scheitern.
Beschäftigte sollten daher stets ein realistisches Exit-Szenario haben – zum Beispiel einen neuen Arbeitsvertrag in Reichweite. Zudem ersetzt das Modell keine klassische Klagebereitschaft: Eskaliert der Konflikt, landet man doch vor Gericht.




