Viele Riester-Verträge liegen seit Jahren beitragsfrei, weil das Einkommen schwankte, die Kinderzulagen ausliefen oder die Kosten als zu hoch empfunden wurden. Spätestens wenn die jährliche Standmitteilung nüchtern wirkt und die Rendite mager ist, stellt sich die Frage: Sollte man einen stillgelegten Riester-Vertrag jetzt kündigen – oder ist Abwarten klüger?
Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Wer richtig prüft, vermeidet jedoch teure Fehlentscheidungen.
Inhaltsverzeichnis
Was „Stilllegung“ konkret bedeutet
Wird ein Riester-Vertrag beitragsfrei gestellt, ruhen Einzahlungen und staatliche Förderung. Der Vertrag besteht fort, das vorhandene Kapital bleibt angelegt, laufende Verwaltungs- und ggf. Garantiekosten können jedoch weiterhin anfallen.
Die garantierte Kapitalerhaltung gilt weiterhin erst zum Beginn der Auszahlungsphase; zwischendurch können Kurs- oder Zinsbewegungen das Guthaben schwanken lassen. Das unterscheidet die Stilllegung deutlich von der Kündigung, bei der das Vertragsverhältnis beendet und ein Auszahlungsbetrag fällig wird.
Kündigung ist fast immer „schädliche Verwendung“
Rein rechtlich gilt die vorzeitige Kündigung einer Riester-Rente als „schädliche Verwendung“. Die Folge: Sämtliche Grund- und Kinderzulagen sowie gewährte Steuerermäßigungen müssen zurückgezahlt werden.
Die zentrale Stelle (ZfA) berechnet die Rückforderung, der Anbieter behält den Betrag aus dem Vertragsguthaben ein und zahlt nur den verbleibenden Rest aus. Zusätzlich können Erträge steuerpflichtig werden. Damit kann der Auszahlungsbetrag deutlich niedriger ausfallen als das ausgewiesene Guthaben.
Welche Förderung steht im Raum?
Für die Wirtschaftlichkeitsrechnung ist wichtig, wie viel Förderung im Laufe der Jahre in den Vertrag geflossen ist.
Die Grundzulage beträgt aktuell 175 Euro pro Jahr. Hinzu kommen Kinderzulagen: 185 Euro je Kind mit Geburtsjahr bis 2007 und 300 Euro je Kind ab 2008. Wurden diese Zulagen regelmäßig beantragt, summieren sie sich schnell auf mehrere Tausend Euro – und genau diese Beträge gehen bei Kündigung verloren.
Der Schlüsselwert: Rückkaufswert nach Abzug der Rückforderungen
Ob sich eine Kündigung trotz der Nachteile lohnen kann, entscheidet der „Netto-Rückkaufswert“. Er ergibt sich aus dem aktuellen Vertragswert minus Zulagenrückforderung, minus erstatteter Steuerförderung und minus etwaiger Kündigungs- oder Abwicklungskosten.
Den aktuellen Rückkaufswert nennt der Anbieter; ohne diese Zahl bleibt jede Entscheidung Spekulation. Offizielle Stellen empfehlen ausdrücklich, den Rückkaufswert zu erfragen, bevor man kündigt.
Wann eine Kündigung sinnvoll sein kann
Es gibt Einzelfälle, in denen die Kündigung rational begründbar ist. Wenn das geförderte Kapital sehr klein ist, die Kostenquote relativ hoch bleibt und keine weitere Förderung mehr zufließt, kann der Netto-Rückkaufswert – nach Abzug aller Rückforderungen – die beste Option sein, um das verbleibende Geld flexibler und kostengünstiger neu anzulegen.
Auch wer sehr weit vom Rentenbeginn entfernt ist, keine Kinderzulagen mehr erhält und einen altmodischen, teuren Vertrag hält, kann über einen sauberen Schnitt nachdenken.
In solchen Konstellationen ist die rechnerische Hürde geringer, weil die zurückzuzahlenden Förderbeträge überschaubar sind und die Alternativrendite über einen langen Zeitraum wirken kann.
Die Rechnung bleibt dennoch individuell und hängt letztlich von Kosten, Restlaufzeit, Steuersatz und der Summe aller erhaltenen Zulagen ab.
Wann das Durchhalten oder Reaktivieren klüger ist
Wer viele Jahre Kinderzulagen und Grundzulagen erhalten hat, vernichtet bei einer Kündigung fast immer überproportional viel Förderung. In diesen Fällen ist es häufig vorteilhafter, den Vertrag bis zum Rentenbeginn zu halten – selbst wenn er beitragsfrei ist – oder ihn zu reaktivieren, um erneut Zulagen mitzunehmen.
Gerade nah an der Auszahlungsphase wiegt der Fördervorteil schwer, weil nur noch wenige Jahre Kosten anfallen und die Garantie zum Rentenstart greift. Auch für Haushalte, die im Alter voraussichtlich Grundsicherung beziehen, ist die Riester-Rente nicht automatisch ein Nachteil: Seit 2018 gibt es einen Freibetrag, durch den Riester-Leistungen in der Grundsicherung nicht vollständig angerechnet werden. Das verbessert die Nettowirkung im Alter und spricht gegen übereilte Kündigungen.
Alternative Wege ohne „Förderschaden“
Bevor man kündigt, lohnt der Blick auf Alternativen. Ein Anbieterwechsel über eine förderunschädliche Übertragung kann Kosten senken oder die Anlagestrategie verbessern.
Wer selbstgenutztes Wohneigentum finanziert oder modernisiert, kann „Wohn-Riester“ nutzen und gefördertes Kapital zweckgebunden entnehmen, ohne die Förderung zu verlieren; die Besteuerung erfolgt dann über das Wohnförderkonto im Rentenalter.
Auch die einfache Beitragsfreistellung – also die Fortsetzung der Stilllegung – bleibt die risikoärmste Zwischenlösung, wenn eine Entscheidung noch nicht reif ist. Entscheidend ist, die Fördervorteile nicht durch einen formalen Fehltritt zu verspielen; die klassische Kündigung ist unter den Alternativen der mit Abstand teuerste Hebel.
Sonderfall: Kleinbetragsrente – legale Kapitalauszahlung ohne Kündigung
Fällt die zu erwartende Riester-Monatsrente zum Rentenbeginn unter die gesetzliche Kleinbetragsgrenze, darf das gesamte Kapital einmalig ausgezahlt werden – ohne „schädliche Verwendung“ und damit ohne Rückzahlung der Zulagen. Für 2025 liegt diese Grenze bei 37,45 Euro Monatsrente (ein Prozent der jährlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV).
Die Einmalkapitalzahlung ist voll zu versteuern, kann aber liquiditätsseitig attraktiver sein als eine sehr kleine Rente. Wer erkennbar auf diese Schwelle zusteuert, sollte die Kündigung vermeiden und stattdessen die reguläre Kapitalabfindung zum Rentenstart nutzen.
So treffen Sie eine belastbare Entscheidung
Die Entscheidung beginnt mit Zahlen statt mit Gefühlen. Erstens benötigt man den Rückkaufswert und die vom Anbieter beziehungsweise der ZfA veranschlagten Rückforderungen.
Zweitens muss klar sein, welche Steuerentlastungen in der Vergangenheit über die Steuererklärung geltend gemacht wurden; diese sind bei Kündigung zu erstatten.
Drittens empfiehlt sich ein Vergleichsszenario: Wie entwickelt sich das Kapital, wenn der Vertrag beitragsfrei bis zum Rentenbeginn liegen bleibt, und wie sähe eine gleich hohe Alternativanlage – nach Kosten und Steuern – über denselben Zeitraum aus?
Erst wenn diese drei Bausteine vorliegen, ist eine Kündigungsentscheidung seriös zu treffen. Dass bei Kündigung sowohl Zulagen als auch Steuerermäßigungen zurückzuzahlen sind und der Anbieter die Rückforderung direkt vom Auszahlungsbetrag abzieht, ist dabei die rechnerisch wichtigste Stellgröße – und wird in der Praxis häufig unterschätzt.
Steuerliche und formale Fallstricke
Die Rückzahlung der Förderung ist keine Kleinigkeit. Die ZfA setzt die Rückforderung fest, der Anbieter rechnet ab, und das Finanzamt kann zusätzlich Erträge besteuern.
Wer den Vertrag in der Vergangenheit als Sonderausgabenabzug genutzt hat, muss die entsprechende Steuerersparnis zurückführen. Fehler bei Anträgen – etwa nicht fristgerecht gestellte Zulagenanträge – führen wiederum dazu, dass vermeintliche Fördervorteile kleiner ausfallen als gedacht. Gerade bei langen Laufzeiten lohnt es sich, die Förderhistorie zu prüfen, bevor man voreilig kündigt.
Praxisbeispiel: „Es klang nach Befreiung – bis die Zahlen auf dem Tisch lagen“
Martina K., 43, hat ihre Riester-Rente seit 2020 stillgelegt. Eingezahlt hat sie zwischen 2013 und 2019 insgesamt 8.400 Euro. Laut aktueller Standmitteilung beträgt das Vertragsguthaben 10.100 Euro.
Außerdem weist der Anbieter aus, dass über die Jahre 1.120 Euro Grundzulagen und 1.295 Euro Kinderzulagen geflossen sind; in ihren Steuerbescheiden summierten sich die tatsächlichen Steuerentlastungen auf rund 400 Euro.
Als Martina die Kündigung prüft, fragt sie den Rückkaufswert an – also, was nach allen Rückforderungen wirklich bei ihr ankommt. Ergebnis: Bei Kündigung müssten 2.415 Euro Zulagen und 400 Euro Steuerersparnisse zurückgezahlt werden.
Zusätzlich fällt eine Abwicklungsgebühr von 100 Euro an. Aus 10.100 Euro Vertragsguthaben würden damit 7.185 Euro Nettopayout. Der Abstand von fast 3.000 Euro überrascht sie. Martina entscheidet sich deshalb gegen die Kündigung.
Stattdessen lässt sie den Vertrag vorerst weiter ruhen und prüft parallel, ob ein förderunschädlicher Anbieterwechsel mit niedrigeren Kosten oder eine spätere Wohn-Riester-Nutzung infrage kommt. Die bittere Erkenntnis aus ihrem „Kassensturz“: Nicht das Guthaben entscheidet, sondern das, was nach Abzug aller Rückforderungen wirklich auf ihrem Konto landet.
Fragen und Antworten zur Kündigung der Riester-Rente
Was passiert bei einer Kündigung mit Zulagen und Steuervorteilen?
Die vorzeitige Kündigung gilt als schädliche Verwendung.
Sämtliche Grund- und Kinderzulagen sowie tatsächlich genutzte Steuervergünstigungen werden zurückgefordert und direkt vom Auszahlungsbetrag abgezogen. Dadurch liegt die Auszahlung oft deutlich unter dem zuletzt ausgewiesenen Vertragsguthaben.
Lohnt es sich, den stillgelegten Vertrag einfach liegen zu lassen?
Häufig ja, vor allem wenn über die Jahre viele Zulagen geflossen sind. Das Kapital bleibt angelegt, die Förderung bleibt erhalten, und zum Rentenbeginn greift die Garantie. Zwar können laufende Kosten drücken, aber sie sind meist günstiger als die sofortigen Verluste durch eine Kündigung.
Kann ich ohne Förderschaden zu einem günstigeren Anbieter wechseln?
Ja. Eine förderunschädliche Übertragung des gesamten Guthabens auf einen anderen zertifizierten Riester-Anbieter ist möglich.
Das kann sich lohnen, wenn Verwaltungskosten hoch sind oder das Anlagekonzept nicht mehr passt. Vorab sollte man sich die Wechsel- und Übertragungskosten schriftlich nennen lassen.
Gibt es Alternativen zur Kündigung, wenn ich Geld für Wohneigentum brauche?
Mit Wohn-Riester lässt sich gefördertes Kapital für Kauf, Bau oder Entschuldung selbstgenutzter Immobilien einsetzen, ohne die Förderung zu verlieren. Die Besteuerung erfolgt später über das Wohnförderkonto. Wer keine Immobilie plant, kann den Vertrag beitragsfrei stellen oder mit kleinen Beiträgen reaktivieren, um wieder Zulagen mitzunehmen.
Was ist die Kleinbetragsrente – und wann bekomme ich alles auf einmal?
Liegt die zu erwartende monatliche Riester-Rente zum Rentenbeginn unter der gesetzlichen Kleinbetragsgrenze, darf das gesamte Kapital einmalig ausgezahlt werden, ohne Zulagen zurückzuzahlen.
Die Summe ist dann zu versteuern, aber es entsteht kein Förderschaden. Wer erkennbar unter die Grenze fällt, sollte nicht kündigen, sondern die reguläre Kapitalabfindung zum Rentenstart nutzen.
Fazit: Kündigen nur nach Kassensturz – Stilllegen ist oft die bessere Brücke
Eine stillgelegte Riester-Rente zu kündigen, lohnt sich in 2025 nur in klar umrissenen Ausnahmefällen: wenn die Fördersummen gering, die Kosten hoch, die Restlaufzeit lang und die Alternativanlage überzeugend sind. Für alle anderen ist die Kündigung ein teures Missverständnis, weil Zulagen und Steuervorteile verloren gehen und der Netto-Auszahlungsbetrag ernüchternd ausfallen kann.
In der Praxis ist es oft vernünftiger, den Vertrag weiter ruhen zu lassen, gezielt zu optimieren oder auf förderunschädliche Wege auszuweichen – und erst nach einem vollständigen Kassensturz zu entscheiden.
Wer die Entscheidung richtig vorbereitet und die rechtlichen Konsequenzen kennt, vermeidet den größten Fehler: aus Frust über eine magere Entwicklung die über Jahre angesammelte Förderung zu verschenken.




