Viele Betroffene stellen einen Änderungsantrag, weil sich die Gesundheit spürbar verschlechtert hat. Trotzdem bleibt der Grad der Behinderung (GdB) unverändert oder der Antrag wird abgelehnt. Das ist häufig kein Zeichen dafür, dass „nichts passiert“ ist, sondern dafür, dass das Versorgungsamt den entscheidenden Punkt nicht erkennen kann: die nachvollziehbare Verschlechterung im Vergleich zum letzten Bescheid.
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Warum das Versorgungsamt nicht „neu hinschaut“, sondern vergleicht
Änderungsanträge werden in der Praxis wie ein Vergleich gelesen. Der alte Feststellungsbescheid ist die Ausgangslage, der neue Antrag muss zeigen, was heute schlechter ist als damals. Bewertet werden dabei nicht Krankheitsnamen, sondern Funktionsbeeinträchtigungen und Teilhabeeinschränkungen – also das, was im Alltag nicht (mehr) funktioniert.
Wenn dieser Unterschied im Antrag nicht klar sichtbar wird, wirkt die Lage aus Aktenperspektive „gleich wie früher“ – und eine Ablehnung ist aus Sicht der Behörde folgerichtig, selbst wenn das reale Leben längst schwerer geworden ist.
Der häufigste Fehler: Diagnosen wiederholen statt Funktionsverlust zeigen
Ein Klassiker ist die erneute Einreichung bekannter Diagnosen: neue Arztbriefe, die dieselbe Erkrankung bestätigen, aber keine neue Qualität der Einschränkung beschreiben. Damit liefert man dem Amt kaum Material für eine Höherstufung, weil nicht die Diagnose zählt, sondern die Intensität der funktionalen Einschränkung.
Entscheidend ist also nicht, dass eine Erkrankung weiter besteht, sondern dass sie heute mehr beeinflusst: mehr Ausfalltage, weniger Belastbarkeit, mehr Hilfebedarf, weniger Verlässlichkeit, mehr Rückzug, mehr Abbrüche.
So wird Verschlechterung „aktenfest“: Vorher–Heute–Folge
Ein erfolgreicher Änderungsantrag übersetzt Leben in prüfbare Kriterien. Am besten funktioniert das mit einer konsequent vergleichenden Darstellung: Was ging früher – was geht heute nicht mehr – und welche Folgen hat das?
Eine einfache Struktur, die fast immer trägt, sieht so aus:
| Früher (Zeitpunkt des letzten Bescheids) | Heute (seit wann, wie oft, mit welchen Folgen) |
| „Ich konnte …“ | „Ich kann … nur noch / gar nicht mehr, weil …“ |
| Belastung möglich ohne Folgetage | Belastung führt zu Abbruch / Rückzug / Ausfall am Folgetag |
| Termine verlässlich | Termine scheitern regelmäßig (Häufigkeit/Gründe) |
| Haushalt/Wege selbstständig | Hilfe nötig (wobei, wie oft, durch wen) |
| soziale Kontakte stabil | Kontakte brechen weg (konkret: wie, warum) |
Der Schlüssel ist, dass aus „mehr Schmerzen“ ein prüfbarer Satz wird wie: „Früher konnte ich 30 Minuten einkaufen, heute muss ich nach 10 Minuten abbrechen und brauche anschließend eine Ruhephase; an zwei bis drei Tagen pro Woche gelingt es gar nicht, weil …“.
Unterlagen, die wirklich helfen – und solche, die meist verpuffen
Das Amt entscheidet aus Akten. Deshalb ist nicht nur entscheidend, was du schreibst, sondern ob medizinische Unterlagen den Funktionsverlust stützen.
Hilfreich sind vor allem Berichte, die Funktion beschreiben: fachärztliche Verlaufsberichte mit konkreten Einschränkungen, Reha-Entlassungsberichte, Therapieberichte, Testungen (z. B. Belastbarkeit, Gehstrecke, Konzentration), Medikamentenpläne inklusive Nebenwirkungen, Hinweise auf Hilfsmittel oder Pflege-/Unterstützungsbedarf.
Schwach sind Unterlagen, die nur Diagnosen bestätigen oder mit Standardfloskeln arbeiten („stabil“, „unter Therapie“, „unauffällig“), ohne den Alltag zu übersetzen. „Stabil“ kann medizinisch heißen „keine akute Krise“, sagt aber ohne Kontext wenig über Teilhabe.
GdB erhöhen – oder Merkzeichen erreichen?
Viele brauchen nicht nur einen höheren GdB, sondern vor allem ein Merkzeichen (z. B. G, aG, H, B, RF, Gl). Dafür gelten eigene Voraussetzungen. Deshalb sollte im Antrag klar sein, ob es um eine Höherstufung, ein Merkzeichen oder beides geht.
Risiko: Neufeststellung kann auch zur Herabstufung führen
Ein Änderungs-/Neufeststellungsantrag setzt eine umfassende Prüfung in Gang. Das kann im Ergebnis auch bedeuten, dass der GdB für die Zukunft niedriger festgesetzt wird, etwa wenn die Behörde eine Besserung annimmt oder alte Feststellungen nicht mehr ausreichend belegt sieht. Deshalb sollte ein Antrag nicht „aus Prinzip“ gestellt werden, sondern dann, wenn die Verschlechterung dauerhaft und gut belegbar ist.
Typische Stolpersteine nach Krankheitsbild – und wie du sie entschärfst
Psychische Erkrankungen: Symptome allein reichen selten. Entscheidend sind konkrete Ausfälle in Struktur und Teilhabe: Terminabbrüche, Vermeidung, sozialer Rückzug, Scheitern von Verpflichtungen, fehlende Alltagsverlässlichkeit. „Stabil“ ist hier ohne Funktionsbeschreibung oft missverständlich.
Long Covid / Fatigue / ME/CFS: Entscheidend sind Abbrüche, Crash/PEM, Folgetage, Ausfallhäufigkeit und die Unmöglichkeit, Belastung nachhaltig zu steigern. Gute Tage sind nicht problematisch, wenn klar ist, dass sie Ausnahmen sind und wie der Durchschnitt aussieht.
Chronische Schmerzen: Wer „funktioniert trotz Schmerzen“, liefert der Akte leicht ein Bild von Belastbarkeit. Besser ist die realistische Beschreibung: Tätigkeiten gehen nur mit Pausen, eingeschränkter Dauer, erheblichen Nachwirkungen, Konzentrations- und Schlafproblemen – und genau diese Folgen begrenzen Teilhabe.
Neurologische Erkrankungen (MS, Epilepsie, Parkinson): Schwankungen werden oft als „unklar“ missverstanden. Dann muss deutlich werden: Die Unplanbarkeit selbst ist die Einschränkung, weil sie Verlässlichkeit und Teilhabe zerstört.
Autoimmun/systemische Erkrankungen: Laborwerte sind selten der Kern. Entscheidend ist der Funktionsverlust: Schubhäufigkeit, Entzündungsphasen, Belastungsintoleranz, Rückzug, wiederkehrende Ausfälle und Einschränkungen, die äußerlich nicht sichtbar sind.
Wenn der Bescheid negativ ist: Widerspruch kann sich lohnen – Frist beachten
Gegen einen Feststellungs- oder Ablehnungsbescheid kann Widerspruch eingelegt werden. Maßgeblich ist die Frist in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids (häufig ein Monat nach Bekanntgabe).
Der Widerspruch ist nicht nur „noch ein Brief“, sondern oft der Moment, in dem strukturiert nachermittelt wird: fehlende Befunde nachreichen, Funktionsverlust sauber darstellen, den Vergleich zum alten Bescheid konsequent herausarbeiten.
Formulierungsbeispiel, das beim Vergleichslesen funktioniert
„Im Bescheid vom [Datum] wurde von einer Belastbarkeit ausgegangen, die es mir damals noch erlaubte, Termine regelmäßig wahrzunehmen und den Haushalt weitgehend selbstständig zu führen. Seit [Monat/Jahr] hat sich das deutlich verschlechtert:
Ich muss Tätigkeiten wie [konkret] nach [Zeit/Umfang] abbrechen, weil [Symptom] zu [Folge] führt. Termine scheitern inzwischen [Häufigkeit], weil [konkreter Ablauf]. An [X] Tagen pro Woche bin ich so eingeschränkt, dass [konkrete Hilfe/Unterstützung] erforderlich ist. Diese Entwicklung ist in den beigefügten Befunden dokumentiert.“
FAQ: Änderungsantrag GdB und Merkzeichen
Warum reicht eine neue Diagnose oft nicht aus?
Weil nicht der Krankheitsname, sondern die Auswirkung auf Funktionen und Teilhabe bewertet wird.
Kann ein Änderungsantrag gefährlich werden?
Ja. Eine Neufeststellung kann auch zu einer niedrigeren Einstufung für die Zukunft führen, wenn eine Besserung angenommen wird oder alte Feststellungen nicht mehr belegt sind.
Sind gute Tage ein Problem?
Nicht an sich. Problematisch wird es nur, wenn sie im Antrag als „Normalzustand“ wirken. Entscheidend ist der Durchschnitt und die Häufigkeit von Abbrüchen/Ausfällen.
Was ist wichtiger: Symptome oder Folgen?
Die Folgen. Symptome werden erst über konkrete Alltags- und Teilhabeauswirkungen bewertbar.
Wie lange habe ich für den Widerspruch Zeit?
Steht in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids (häufig ein Monat nach Bekanntgabe).
Was muss ich für ein Merkzeichen anders begründen?
Merkzeichen werden nach eigenen Kriterien vergeben. Deshalb sollte der Antrag klar auf die dafür relevanten Alltags- und Teilhabeeinschränkungen ausgerichtet sein.




