Fรผr viele Betroffene ist die Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen weit mehr als eine finanzielle Leistung. Sie ist der gesetzliche Ausgleich dafรผr, dass eine gesundheitliche Beeintrรคchtigung den Lebens- und Arbeitsalltag erschwert โ und sie erรถffnet die Mรถglichkeit, frรผher aus dem Erwerbsleben auszusteigen, ohne dauerhaft existenzielle Sorgen zu haben.
Wer mindestens einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 vorweisen kann und 35 Versicherungsjahre erfรผllt, darf grundsรคtzlich zwei Jahre vor der eigenen Regelaltersgrenze abschlagsfrei in Ruhestand gehen.
Fรผr den Jahrgang 1963 bedeutet das: eine abschlagsfreie Rente ab 64 Jahren und 10 Monaten, statt erst mit 66 Jahren und 10 Monaten.
Wer sich noch frรผher entscheidet, muss zwar dauerhaft Kรผrzungen hinnehmen, kann die Rente aber schon ab 61 Jahren und 10 Monaten beziehen โ bei einem maximalen Abschlag von 10,8 Prozent.
Was geschieht, wenn das Versorgungsamt den GdB kurz vor der Rente herabsetzt?
Die Praxis zeigt, dass รberprรผfungsverfahren kurz vor dem Rentenstart zum Stolperstein werden kรถnnen. Wird der GdB unter die Schwelle von 50 gesenkt, entfรคllt auf dem Papier die Schwerbehinderteneigenschaft โ und damit zunรคchst auch die Grundlage fรผr die vorgezogene Rente.
Genau das erlebte eine 61-jรคhrige Frau aus dem Jahrgang 1963: Nach einer Brustkrebserkrankung war ihr 2018 ein GdB 50 zuerkannt worden.
Bei der planmรครigen Nachprรผfung 2024 setzte das Versorgungsamt den Grad jedoch auf 40 herab. Ihr Widerspruch blieb erfolglos, und weil sie die Klagefrist verstreichen lieร, wurde der Bescheid am 15. Mรคrz 2025 bestandskrรคftig.
Wie schรผtzt ยง 199 SGB IX Betroffene in dieser Situation?
Der Gesetzgeber hat fรผr solche Fรคlle eine dreimonatige Schon- beziehungsweise Schutzfrist eingefรผhrt.
Nach ยง 199 Abs. 1 SGB IX gilt die Schwerbehinderteneigenschaft noch drei volle Kalendermonate, nachdem der Herabsetzungsbescheid unanfechtbar geworden ist. In diesen Monaten bleiben sรคmtliche Rechte aus dem Status erhalten โ einschlieรlich des Zugangs zur Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen.
Schutzfrist im konkreten Fall
Weil der Bescheid am 15. Mรคrz 2025 unanfechtbar wurde, begann die Schutzfrist am 1. April 2025 und endet am 30. Juni 2025.
Ein Rentenantrag, der innerhalb dieses Zeitfensters gestellt wird und dessen Rentenbeginn ebenfalls in die Frist fรคllt โ beispielsweise zum 1. Juni 2025 โ wird so behandelt, als lรคge weiterhin ein GdB 50 vor.
Die Betroffene kann die Rente also trotz Herabstufung beantragen und erhรคlt sie mit dem regulรคren Abschlag von 10,8 Prozent, weil sie 34 Monate vor der abschlagsfreien Grenze liegt.
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Welche Fristen dรผrfen Betroffene keinesfalls versรคumen?
Zentral sind zwei Zeitfenster: zunรคchst die einmonatige Widerspruchs- oder Klagefrist gegen den Herabsetzungsbescheid und anschlieรend die dreimonatige Schutzfrist.
Wird schon die erste Frist genutzt, bleibt der Rentenzugang so lange offen, bis รผber das Rechtsmittel entschieden ist. Geht der Bescheid dagegen in Bestandskraft รผber, tickt die Schutzfrist unaufhaltsam. Wer in diesen drei Monaten keinen Rentenantrag stellt, verliert den privilegierten Eintritt unwiderruflich.
Warum kann ein gut gemeinter Erhรถhungsantrag kurz vor dem Ruhestand zur Falle werden?
Wer seinen GdB kurz vor dem geplanten Rentenbeginn offiziell erhรถhen lassen will, lรถst damit ein neues Prรผfverfahren aus.
Dabei kann die Behรถrde nicht nur bestรคtigen oder erhรถhen, sondern auch herabstufen. Wird der Status auf unter 50 abgesenkt, lรคuft sofort das Fristen-Karussell an โ und die Sicherheiten der Schwerbehindertenrente stehen auf dem Spiel.
Fachleute raten deshalb, Erhรถhungsantrรคge in dieser Phase sehr genau abzuwรคgen und im Zweifel erst nach dem Rentenbeginn zu stellen, wenn alle Ansprรผche bereits feststehen.
Welche Strategien empfehlen Expertinnen und Experten, um den Rentenanspruch zu wahren?
Dr. Utz Anhalt, Sozialrechtsexperte unserer Redaktion, rรคt, jede erhaltene Entscheidung umgehend prรผfen zu lassen, notfalls innerhalb der Monatsfrist Widerspruch einzulegen und gleichzeitig den Schwerbehindertenausweis bis zum Ende der Schutzfrist verlรคngern zu lassen.
“Lรคuft die Frist, sollte zรผgig der Rentenantrag gestellt werden; er kann spรคter immer noch zurรผckgezogen oder der Beginn verschoben werden, wenn sich eine bessere Option auftut”, so Anhalt.
Welche Lehren lassen sich aus dem Fall ziehen?
Die dreimonatige Schutzfrist ist keine groรzรผgige Zugabe, sondern ein letzter Anker. Wer sie verpasst, muss in der Regel warten, bis die eigene Regelaltersgrenze erreicht ist oder auf eine andere Rentenart ausweichen โ oft mit finanziellen Nachteilen.
Umso wichtiger ist es, alle Bescheide ernst zu nehmen, Fristen akribisch zu notieren und bei Unsicherheiten sofort Fachrat einzuholen. Dann bleibt der Nachteilsausgleich, den die Schwerbehindertenrente verspricht, nicht nur ein rechtliches Versprechen, sondern eine verlรคssliche Brรผcke in einen sicheren Ruhestand.