Wenn die Schwerbehinderung anerkannt ist, entsteht oft sofort ein neuer Gedanke: „Dann kann ich doch jetzt früher in Rente, oder?“ In vielen Fällen ist das richtig. Die Anerkennung mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 eröffnet eine eigene Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Trotzdem entscheidet nicht allein der Schwerbehindertenausweis über den Rentenbeginn, sondern das Zusammenspiel aus Geburtsjahr, Versicherungszeiten und dem Zeitpunkt, zu dem die Schwerbehinderung tatsächlich vorliegt.
Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt erklärt, wann die Rente für schwerbehinderte Menschen möglich ist, welche Abschläge drohen, welche Alternativen existieren und welche Schritte nach dem Bescheid sinnvoll sind.
Inhaltsverzeichnis
Was zählt als Schwerbehinderung – und was nicht?
Für die Schwerbehindertenrente kommt es nicht auf „gesundheitlich stark eingeschränkt“ im Alltag an, sondern auf die formale Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Maßgeblich ist der festgestellte Grad der Behinderung. Erst ab einem Grad der Behinderung von 50 gilt man als schwerbehindert im Sinne dieser Rentenart.
Häufig wird außerdem die Gleichstellung missverstanden. Wer einen Grad der Behinderung von 30 oder 40 hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen in der Arbeitswelt gleichgestellt werden. Das hilft etwa beim Kündigungsschutz, ersetzt aber nicht die Schwerbehinderung für die Altersrente. Für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen reicht Gleichstellung nicht aus.
Welche Rente ist überhaupt gemeint?
Im Sprachgebrauch wird „Schwerbehindertenrente“ schnell auf alles übertragen, was irgendwie mit Gesundheit zu tun hat. Sozialrechtlich ist die Lage klarer. Die wichtigste Rentenart in diesem Zusammenhang ist die Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Diese hat eigene Altersgrenzen und verlangt eine lange Versicherungszeit.
Daneben gibt es die Regelaltersrente, die ausschließlich vom Geburtsjahr abhängt. Es gibt außerdem Altersrenten für langjährig oder besonders langjährig Versicherte, die je nach Versicherungsbiografie günstiger sein können. Und es gibt die Erwerbsminderungsrente, die nicht an eine Altersgrenze gekoppelt ist, sondern an die Frage, wie viele Stunden täglich noch gearbeitet werden kann.
Wer schwerbehindert ist, hat damit nicht automatisch „die“ eine Option, sondern oft mehrere mögliche Wege in den Ruhestand.
Die Voraussetzungen: Wann besteht Anspruch auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen?
Für diese Rentenart müssen zwei große Bedingungen zusammenkommen. Zum einen muss bei Rentenbeginn eine anerkannte Schwerbehinderung vorliegen, also ein Grad der Behinderung von mindestens 50. Zum anderen muss die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt sein. Diese 35 Jahre bestehen nicht nur aus Beschäftigungszeiten. Auch Zeiten der Kindererziehung, Pflege, Zeiten mit bestimmten Lohnersatzleistungen und weitere rentenrechtliche Zeiten können eine Rolle spielen.
Besonders wichtig ist der Zeitpunkt: Die Schwerbehinderung muss beim Start der Rente bestehen. Wer den Bescheid erst nach dem geplanten Rentenbeginn erhält, kann diese Rentenart für diesen Zeitpunkt nicht einfach rückwirkend „nachholen“. Umgekehrt führt eine spätere Änderung des Grades der Behinderung in der Regel nicht dazu, dass eine bereits bewilligte Altersrente wieder entzogen wird.
Ab wann darf ich jetzt in Rente gehen?
Die Altersgrenzen für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen wurden in den letzten Jahren schrittweise angehoben. Deshalb hängt der früheste Beginn stark vom Geburtsjahr ab.
Für Versicherte, die 1964 oder später geboren sind, ist die Systematik am einfachsten: Die Rente kann frühestens mit 62 Jahren begonnen werden, allerdings mit lebenslangen Abschlägen. Abschlagsfrei ist sie ab 65 Jahren möglich, sofern die 35 Jahre erfüllt sind und die Schwerbehinderung beim Rentenstart vorliegt. Im Vergleich zur Regelaltersrente, die für diese Jahrgänge regelmäßig erst mit 67 Jahren beginnt, ist das ein deutlicher Zeitgewinn.
Für ältere Jahrgänge gelten Übergangsregelungen, bei denen die Altersgrenzen in Monatsstufen steigen. Wer zwischen 1952 und 1963 geboren ist, hat je nach Jahrgang andere Grenzen. Die schrittweise Anhebung führt dazu, dass der frühestmögliche Start mit Abschlägen von 60 auf 62 Jahre steigt und die abschlagsfreie Grenze von 63 auf 65 Jahre.
Tabelle: Ab wann darf ich mit einer Schwerbehinderung in Rente gehen?
Die folgende Tabelle zeigt das Lebensalter, ab dem Sie die Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen können – frühestens mit Abschlägen oder abschlagsfrei (jeweils unter der Voraussetzung, dass zum Rentenbeginn GdB ≥ 50 vorliegt und 35 Versicherungsjahre erfüllt sind).
| Geburtsjahrgang | Rente für schwerbehinderte Menschen: frühestens (mit Abschlägen) / abschlagsfrei |
|---|---|
| bis 1951 | frühestens: 60 Jahre / abschlagsfrei: 63 Jahre |
| 1952 (Januar) | frühestens: 60 Jahre + 1 Monat / abschlagsfrei: 63 Jahre + 1 Monat |
| 1952 (Februar) | frühestens: 60 Jahre + 2 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 2 Monate |
| 1952 (März) | frühestens: 60 Jahre + 3 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 3 Monate |
| 1952 (April) | frühestens: 60 Jahre + 4 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 4 Monate |
| 1952 (Mai) | frühestens: 60 Jahre + 5 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 5 Monate |
| 1952 (Juni–Dezember) | frühestens: 60 Jahre + 6 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 6 Monate |
| 1953 | frühestens: 60 Jahre + 7 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 7 Monate |
| 1954 | frühestens: 60 Jahre + 8 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 8 Monate |
| 1955 | frühestens: 60 Jahre + 9 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 9 Monate |
| 1956 | frühestens: 60 Jahre + 10 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 10 Monate |
| 1957 | frühestens: 60 Jahre + 11 Monate / abschlagsfrei: 63 Jahre + 11 Monate |
| 1958 | frühestens: 61 Jahre / abschlagsfrei: 64 Jahre |
| 1959 | frühestens: 61 Jahre + 2 Monate / abschlagsfrei: 64 Jahre + 2 Monate |
| 1960 | frühestens: 61 Jahre + 4 Monate / abschlagsfrei: 64 Jahre + 4 Monate |
| 1961 | frühestens: 61 Jahre + 6 Monate / abschlagsfrei: 64 Jahre + 6 Monate |
| 1962 | frühestens: 61 Jahre + 8 Monate / abschlagsfrei: 64 Jahre + 8 Monate |
| 1963 | frühestens: 61 Jahre + 10 Monate / abschlagsfrei: 64 Jahre + 10 Monate |
| ab 1964 | frühestens: 62 Jahre / abschlagsfrei: 65 Jahre |
Früh starten heißt meistens: dauerhafte Abschläge
Der Rentenbeginn vor der abschlagsfreien Altersgrenze ist möglich, kostet aber dauerhaft Geld. In der gesetzlichen Rentenversicherung gilt bei vorgezogenen Altersrenten grundsätzlich: Pro Monat, den die Rente früher startet, wird sie um 0,3 Prozent gemindert. Da bei dieser Rentenart maximal drei Jahre vorgezogen werden können, liegt der maximale Abschlag bei 10,8 Prozent.
Diese Minderung bleibt lebenslang bestehen. Sie verschwindet nicht, wenn später die Regelaltersgrenze erreicht wird. Deshalb ist es sinnvoll, die Entscheidung nicht nur mit Blick auf „früher raus“ zu treffen, sondern auch auf die langfristige finanzielle Tragfähigkeit. Gleichzeitig kann ein früherer Rentenbeginn medizinisch oder psychisch entlasten, was sich nicht in Prozentpunkten messen lässt. Genau hier liegt die typische Abwägung.
Was ist günstiger: Schwerbehindertenrente oder eine andere Altersrente?
Nicht immer ist die Altersrente für schwerbehinderte Menschen der beste Weg. Wer sehr lange Versicherungszeiten hat, kann unter Umständen über die Altersrente für besonders langjährig Versicherte günstiger fahren, weil dort ein abschlagsfreier Beginn möglich sein kann, ohne die spezifische Schwerbehindertenvoraussetzung zu benötigen. Dafür ist dann allerdings eine längere Versicherungszeit erforderlich.
Umgekehrt kann die Schwerbehindertenrente die bessere Wahl sein, wenn die 45 Jahre nicht erreicht werden, aber die 35 Jahre bereits sicher erfüllt sind und die Schwerbehinderung vorliegt. Viele Versicherte unterschätzen zudem, wie stark einzelne Monate beim Rentenstart den Abschlag beeinflussen. Manchmal liegt ein sinnvoller Kompromiss nicht beim maximal frühen Beginn, sondern einige Monate später, wenn dadurch der Abschlag spürbar sinkt.
Wenn Arbeiten kaum noch geht: Erwerbsminderungsrente als Alternative
Schwerbehinderung und Erwerbsminderung sind nicht dasselbe. Eine Person kann schwerbehindert sein und trotzdem voll arbeiten. Umgekehrt kann jemand erwerbsgemindert sein, ohne einen Grad der Behinderung von 50 zu haben.
Wenn die Arbeitsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen so weit sinkt, dass nur noch wenige Stunden täglich möglich sind, kann eine Erwerbsminderungsrente in Betracht kommen. Diese Entscheidung ist medizinisch geprägt und wird in der Praxis häufig durch Gutachten begleitet. In manchen Konstellationen kann die Erwerbsminderungsrente finanziell günstiger sein als ein sehr früher Start einer Altersrente mit hohen Abschlägen. Gleichzeitig ist sie an strengere Voraussetzungen geknüpft und nicht einfach „die bessere Schwerbehindertenrente“, sondern ein eigener Rechtsbereich.
Hinzuverdienst: Rente beziehen und trotzdem weiterarbeiten
Ein Punkt, der das Bild in den letzten Jahren verändert hat, ist der Hinzuverdienst. Bei Altersrenten spielt eine starre Hinzuverdienstgrenze heute in der Praxis kaum noch die frühere Rolle. Wer eine Altersrente bezieht, kann grundsätzlich auch weiterarbeiten.
Ob das im Einzelfall sinnvoll ist, hängt von Steuern, Kranken- und Pflegeversicherung sowie davon ab, wie belastbar die Situation wirklich ist. Gerade bei Schwerbehinderung ist der Gedanke verbreitet, dass „Rente“ automatisch „komplett aufhören“ bedeutet. Häufig ist aber ein gleitender Übergang realistischer, etwa mit einer spürbaren Stundenreduzierung.
Was Sie nach dem Bescheid konkret tun sollten
Nach der Anerkennung einer Schwerbehinderung lohnt sich ein nüchterner Blick auf das Versicherungskonto. In der Praxis scheitert der gewünschte Rentenstart nicht selten daran, dass Zeiten fehlen oder falsch gespeichert sind. Eine Kontenklärung kann klären, ob die 35 Jahre bereits erreicht sind oder welche Zeiten noch nachgewiesen werden müssen.
Für die Planung ist außerdem entscheidend, welche Rentenart am Ende tatsächlich die beste ist. Eine Rentenauskunft zeigt die voraussichtliche Höhe bei unterschiedlichen Startzeitpunkten und macht die Abschläge in Euro sichtbar. Erst dann wird aus der abstrakten Frage „ab wann?“ eine tragfähige Entscheidung.
Ergebnis: Früherer Rentenbeginn ist möglich – aber selten „automatisch richtig“
Mit anerkannter Schwerbehinderung ist ein früherer Rentenbeginn oft möglich. Für jüngere Jahrgänge liegt der früheste Start typischerweise bei 62 Jahren mit Abschlägen und der abschlagsfreie Beginn bei 65 Jahren, sofern die 35 Versicherungsjahre erfüllt sind. Für ältere Jahrgänge gelten abgestufte Übergangsgrenzen.
Ob der früheste Zeitpunkt wirklich der beste ist, hängt am Ende nicht nur vom Gesetz, sondern vom Alltag ab: von der Gesundheit, von den Reserven, vom Arbeitsplatz, von familiären Pflichten und von der Frage, wie hoch die Rente bei welchem Start tatsächlich ausfällt. Wer sich nach dem Bescheid die Zeit für eine saubere Berechnung nimmt, verhindert, dass ein rechtlicher Vorteil später zur finanziellen Dauerbelastung wird.
Quellen: Deutsche Rentenversicherung: Informationen zur Altersrente für schwerbehinderte Menschen, Altersgrenzen und Abschläge.
Sozialgesetzbuch VI: Regelungen zur Altersrente für schwerbehinderte Menschen und zu Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbeginn.




